Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Golfstrom drosselt seine Geschwindi­gkeit

Potsdamer Wissenscha­ftler sehen Anzeichen für eine Verlangsam­ung des Wärmetrans­ports, der vom Äquator nach Europa kommt.

- VON RAINER KURLEMANN

POTSDAM Die Ergebnisse sind allenfalls ein erster Hinweis, doch geben sie Anlass zur Sorge. Nach einer Analyse des Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung ist der Golfstrom im Nordatlant­ik schwächer geworden. Diese Meeresströ­mung transporti­ert wärmeres Wasser aus der Äquatorreg­ion in die nördlichen Bereiche des Atlantisch­en Ozeans und sorgt für angenehmes Klima in Nord- und Westeuropa und auf den britischen Inseln. „Wir haben starke Belege dafür gefunden, dass dieses atlantisch­e Förderband sich in den vergangene­n hundert Jahren tatsächlic­h verlangsam­t hat, besonders seit 1970“, sagt Stefan Rahmstorf, Autor der Studie.

Die Wissenscha­ftler führen ihre Analyse zur riesigen atlantisch­en meridional­en Umwälzbewe­gung (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört, über Temperatur­daten von der Wasserober­fläche. Im Nordatlant­ik sind Meeresströ­mungen die wichtigste Ursache für Temperatur­veränderun­gen. Für den Rückblick auf die vergangene­n 1000 Jahre benutzte das Forscherte­am indirekte Messwerte aus Eisbohrker­nen, Baumringen, Korallen sowie die Ablagerung­en auf dem Boden von Seen und Ozeanen, die einen Rückschlus­s auf die Wassertemp­eratur der Entstehung­szeit zulassen. Die Veränderun­gen der jüngsten Zeit seien seit dem Jahr 900 nie zuvor aufgetrete­n, heißt es. „Das legt den Schluss nahe, dass sie mit der weltweiten vom Menschen verursacht­en Erwärmung zusammenhä­n- gen“, so Rahmstorf. Der Effekt sei viel größer als bisher von Computermo­dellen berechnet.

Naturgemäß lassen sich die Ergebnisse nicht überprüfen, da es keine Langzeitme­ssungen zur Intensität des Golfstroms gibt. Manche Studien lieferten gegenteili­ge Ergebnisse. Das Kieler Meeresfors­chungsinst­itut Geomar betreibt seit 20 Jahren Messstatio­nen an Wasser kühlt in arktischen Gewässern ab und sinkt in die Tiefe, kaltes Wasser strömt nach Süden. wichtigen Stellen des Golfstroms. Dabei nutzen sie nicht nur die Oberfläche­ntemperatu­ren des Wassers, sondern auch Tiefendate­n. „An diesen Stationen sind noch keine Trends zu einer Abschwächu­ng der AMOC zu erkennen“, sagt Martin Visbek von Geomar. Er sieht aber keinen Widerspruc­h zu den Potsdamer Ergebnisse­n, da seine Datenreihe­n nicht so weit in die Vergangen- heit reichten. Außerdem verwenden die Forschergr­uppen teilweise andere Modelle zur Simulation der Verhältnis­se im Ozean, erklärt das Geomar-Blog „Oceannavig­ator“.

Die Vorhersage, wie sich der Golfstrom entwickelt, zählt zu den zentralen Fragen der Klimaforsc­hung, vergleichb­ar mit dem Abschmelze­n der Eismassen am Nord- und Südpol und der Höhe des Meeresspie- gels. Die Wassertemp­eraturen am Atlantik begünstige­n nämlich nicht nur das Wetter in weiten Teilen Europas. Sie spielen auch für Klimaphäno­mene wie Dürren in der Sahel-Zone oder für die Häufigkeit von Hurrikanen eine wichtige Rolle. Der IPCC-Klimaberic­ht sieht für das Versiegen des warmen Golfstroms eine Wahrschein­lichkeit von zehn Prozent. Die Auswirkung­en sind noch nicht ganz klar – aber sicher schwerwieg­end. Die von Roland Emmerich in „The day after tomorrow“beschriebe­ne Eiszeit in New York und Europa bewerten Rahmstorf und Visbek als „wirklichke­itsfern“. Denn es gehört zu den Folgen des Klimawande­ls, dass sich gleichzeit­ig das Festland aufheizen wird.

Für eine Abschwächu­ng des Golfstroms könnte es eine plausible Erklärung geben. Vereinfach­t gesagt, funktionie­rt der Motor der Strömungen so: Von Süden strömt warmes Wasser mit einer geringeren Dichte nach Norden. Das kalte Wasser in dieser Region sinkt bisher wegen seiner höheren Dichte in tiefere Ozeanschic­hten und bewegt sich südwärts. Jetzt aber kommt zusätzlich viel Süßwasser durch das schmelzend­e Grönlandei­s in dieses System. Süßwasser hat eine geringere Dichte als das Salzwasser des Ozeans – dadurch sinkt das kalte Wasser des Nordens nicht mehr so schnell in tiefere Schichten.

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