Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gelassen in die Prüfung

Mehr als 95 000 Schüler lernen seit Wochen für die Abiturprüf­ungen. Fünf Schüler erzählen von ihren Vorbereitu­ngen, einem Plan B für Mathe und ihren Plänen für die Zukunft.

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Sammy Arab sieht die Wände seines Zimmers vor lauter Abitur nicht mehr. Denn an ihnen reiht sich ein Plakat an das nächste – elf insgesamt, jedes 59,4 mal 84,1 Zentimeter groß. Das sind fast 5,5 Quadratmet­er geballte Geschichte. Die Plakate sind überdimens­ionale Lernkarten mit geschichtl­ichen Daten der vergangene­n 200 Jahre. „Sie sind chronologi­sch angeordnet. Mein Lernpartne­r und ich fragen uns damit ab. Einer von uns hat die Augen verbunden, der andere stellt Fragen – es ist fast wie in einer Quizshow“, erklärt der 18-Jährige.

Sammy und sein Lernpartne­r Ferdinand Wagner (18) nehmen die Abivorbere­itungen trotz strengen Lernplans locker. „Wir fühlen uns gewappnet“, sagt Sammy. Kein Wunder: Seit Wochen wacht er jeden Morgen mit Blick auf die Geschichts­plakate auf – alleine dadurch ist so einiges hängengebl­ieben. Dass Sammy und Ferdinand es bis zu den Abiturprüf­ungen schaffen und diese auch ablegen würden, stand für beide nie außer Frage. „Ich komme aus einer Akademiker­familie und wurde mein ganzes Leben darauf vorbereite­t“, sagt Ferdinand. Dass er aus diesem Wunsch-Lebenslauf der Eltern hätte ausbrechen können, beweist sein jüngerer Bruder. „Der ist in der zehnten Klasse und möchte jetzt eine Ausbildung zum Schreiner machen – obwohl er eigentlich sogar besser in der Schule ist als ich“, sagt Ferdinand. Seine Eltern nehmen es gelassen. „Wir sollen in unserem Leben tun, was uns Spaß macht.“

Auch für Sammy war das Abi schon immer das Ziel. Er kommt aus einer Migrantenf­amilie, seine Eltern stammen aus Syrien. „Sie sind sehr erfolgsori­entiert, haben ihr Abitur nachgeholt, hier eine Firma aufgebaut“, erzählt der Schüler. Damit die Eltern stolz sein können, wird jetzt noch mal ordentlich gepaukt. Bis auf Kleinigkei­ten sitzt der Lernstoff bei den Düsseldorf­er Görres-Gymnasiast­en. Seit den VorAbi-Klausuren sind sie ein unzertrenn­liches Team, lernen täglich bis zu acht Stunden und sind dabei erstaunlic­h disziplini­ert. „Das schöne Wetter kann uns jetzt nicht mehr ablenken. Wir sind in unserem Lerntunnel. Jetzt heißt es durchhalte­n“, sagt Sammy.

Zum Glück hält sich die Ablenkung in Grenzen, denn die meisten ihrer Freunde stecken ebenfalls in den Abivorbere­itungen. Alle sind im „Abimodus“, wie Sammy es nennt. Klar trifft man sich noch – „aber das eher auf die Schnelle. Man geht kurz etwas essen und ist dabei sehr effizient“, sagt er und lacht. Jeden Tag ziehen Sammy und Ferdinand ihr Lernpensum durch. Erstaunlic­herweise gehen sie sich noch nicht auf die Nerven. Schon vor der heißen Lernphase waren sie gut befreundet. Und dann habe man festgestel­lt, dass man auch beim Lernen auf einer Wellenläng­e liegt. So schaffen sie es, trotz weniger Freizeit ihrem Hobby nachzugehe­n: dem Kraftsport. Klar wird auch die Hantelbank zum heißen Stuhl und der Geschichts­stoff gepaukt. „Die Lernphase hat uns zusammenge­schweißt. Es ist nicht so, dass wir nach den Prüfungen dringend Urlaub voneinande­r brauchen“, sagen die Düsseldorf­er.

Urlaub ist ihre Motivation. Wenn Geschichte, Englisch, Mathe und Deutsch vom Tisch sind, wollen sie in die Welt hinaus – natürlich gemeinsam. „Dann steht erst einmal Urlaub an. Wir haben schon so halb konkrete Pläne“, meint Sammy. Die Belohnung hat er sich dann auch verdient, schließlic­h peilt er einen guten Einser-Schnitt an, mit dem er ab dem Herbst BWL studieren kann. Ferdinand will Jura studieren. Druck lassen die beiden kurz vor den Tests nicht aufkommen. „Durch die Vor-Abi-Prüfungen haben wir einen guten Eindruck von unseren Leistungen. Das wird schon.“

Phil Brüggemann hat sein Ziel klar definiert. „Bei meinem letzten Zeugnis hatte ich einen Notendurch­schnitt von 1,6 – für das Abitur will ich einen 1,5erSchnitt erreichen“, verrät der 18Jährige, der das Otto-Hahn-Gymnasium in Dinslaken besucht.

Anstrengen­de Wochen liegen hinter und vor Phil Brüggemann: „Bisher habe ich hauptsächl­ich Sozialwiss­enschaften gelernt, da gibt es drei große Themenkomp­lexe.“In den vergangene­n beiden Jahren habe er den Unterricht­sstoff jedoch gut zusammenge­fasst, deshalb fühlt er sich gewappnet für die Prüfung in seinem Lieblingsf­ach „Sowi“. Morgen steht zunächst die Klausur in seinem zweiten Leistungsk­urs Deutsch auf dem Programm. Um sich den Stoff einzupräge­n, beschäftig­te sich der 18-Jährige intensiv mit der Zusammenfa­ssung der Themen. Nach dem schriftlic­hen Teil folgt im Mai schließlic­h die mündliche Prüfung in Spanisch. „Zum Glück liegen dazwischen erst mal ein paar Wochen Pause“, sagt Phil Brüggemann.

Die gute Vorbereitu­ng dämpft seine Nervosität. „Ich habe das Gefühl, dass es gut klappen wird. Nur in Mathe, meinem dritten Abiturfach, bräuchte ich vielleicht einen Notfallpla­n – da kann man die Aufgaben ja nicht auswählen“, sagt Phil Brüggemann, der bereits Zukunftspl­äne geschmiede­t hat: „Ich möchte auf jeden Fall studieren. Aktuell ist BWL mein Favorit.“

Einschulun­g mit fünf Jahren, die Grundschul­e im Schnelldur­chlauf absolviert – nun das Abitur mit gerade einmal 16 Jahren? Viel früher als Greta Beckers kann man die allgemeine Hochschulr­eife wohl nicht erlangen. Dennoch blickt die Schülerin des Cornelius-Burg-Gymnasiums in Erkelenz den anstehende­n Prüfungen völlig gelassen entgegen.

Bei den Vorbereitu­ngen für die Klausuren in den Fächern Sozialwiss­enschaften und Deutsch (Leistungsk­urse) sowie Biologie verlässt sich die Wassenberg­erin nicht allein auf die Materialie­n aus dem Unterricht, sondern besorgt sich zu den jeweiligen Themen zusätzlich­e Bücher. „Ich schreibe Zusammenfa­ssungen, lese sie mir durch, und dann sind sie in meinem Kopf“, erklärt Greta Beckers – los geht’s am morgigen Dienstag mit der Deutschkla­usur.

Wenn es ums Lernen geht, dann ist Sirin Seydo eher Einzelgäng­erin. „Für mich klappt das so einfach viel besser als in der Gruppe“, sagt die 18-Jährige aus Remscheid. Als erstes wird sie in Pädagogik geprüft. Den Lernstoff hat sie auf Karteikart­en zusammenge­fasst – und die sind inzwischen ihr ständiger Begleiter. „Ich muss mir für das Fach massenhaft Theorie eintrichte­rn. Selbst wenn ich unterwegs bin, kann ich so immer mal wieder einen Blick in die Karten werfen“, erklärt die Albert-EinsteinGe­samtschüle­rin.

Kurz vor der Prüfung lernt sie fast sieben Stunden am Tag – auch wenn sie sich gerne mal vom guten Wetter ablenken lässt. Das muss aber auch sein, sagt sie: „Zwischendu­rch muss man abschalten können, sonst klappt das mit dem Lernen nicht.“Stressen lässt sie sich nicht. „Ich hab noch nicht alles perfekt drauf, fühle mich aber gut vorbereite­t. In der Mathe-Nachhilfe gehe ich den Stoff noch mal durch. Das hilft“, sagt die Abiturient­in.

Zu Beginn der 13. Klasse dachte sie, sie müsse unbedingt einen Einser-Schnitt haben. „Aber inzwischen freut man sich einfach darauf, dass es bald vorbei ist. Mein Limit ist jetzt eine 2,2.“Nach den Prüfungen – neben Pädagogik und Mathe stehen noch Englisch und Spanisch auf dem Plan – will Sirin Grundschul­lehramt studieren. „Aber erst einmal geht es mit einer Freundin nach Berlin.“

Lediglich die schriftlic­he Prüfung in Sozialwiss­enschaften, die am Freitag ansteht, bereitet ihr Sorgen. „Da gibt es sehr viele Themen, da kommt man manchmal ein bisschen durcheinan­der“, sagt Greta Beckers. Die Vorbereitu­ngen auf die mündliche Prüfung in Englisch fallen da wesentlich leichter – schließlic­h ist das ihr Lieblingsf­ach. Doch was kommt nach dem Turbo-Abitur? „Erstmal arbeite ich in der Praxis meiner Mutter als Aushilfe, dann möchte ich entweder Internatio­nal Business in Köln oder Medizin studieren“, verrät die 16-Jährige.

 ??  ?? Sirin Seydo aus Remscheid lernt lieber alleine als in der Gruppe – zuletzt bis zu sieben Stunden am Tag.
TEXTE: JESSICA KUSCHNIK, SIMON JANSSEN; GRAFIK: MARTIN FERL; FOTOS: ANDREAS ENDERMANN, JÜRGEN MOLL
Sirin Seydo aus Remscheid lernt lieber alleine als in der Gruppe – zuletzt bis zu sieben Stunden am Tag. TEXTE: JESSICA KUSCHNIK, SIMON JANSSEN; GRAFIK: MARTIN FERL; FOTOS: ANDREAS ENDERMANN, JÜRGEN MOLL
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Phil Brüggemann aus Dinslaken ist kaum nervös, weil er sich gut vorbereite­t wähnt.
 ??  ?? Greta Beckers kommt aus Wassenberg und ist erst 16. Die Prüfungen bereiten ihr dennoch kein Kopfzerbre­chen.
Greta Beckers kommt aus Wassenberg und ist erst 16. Die Prüfungen bereiten ihr dennoch kein Kopfzerbre­chen.
 ??  ?? Sammy Arab aus Düsseldorf hat täglich bis zu acht Stunden gelernt.
Sammy Arab aus Düsseldorf hat täglich bis zu acht Stunden gelernt.
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Ferdinand Wagner ist gelassen – weil er mit Sammy gemeinsam gepaukt hat.

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