Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

65-Jährige ist mit Vierlingen schwanger

Eine solche Schwangers­chaft ist mit hohen Risiken für Mutter und Kinder verbunden. Die Berlinerin hat bereits 13 Kinder.

- VON FRANZISKA HEIN

BERLIN/DÜSSELDORF Eine 65-jährige Grundschul­lehrerin, die mit Vierlingen schwanger ist, sorgt für Diskussion­en. Die „Bild am Sonntag“hatte berichtet, dass die Berlinerin, die kurz vor der Pensionier­ung steht, die Kinder im Sommer zur Welt bringt. Die Frau hat bereits 13 Kinder und mehrere Enkel. Ihre

Holger Stepan jüngste Tochter (9) gebar sie noch auf natürliche­m Wege im Alter von 55 Jahren. Der Fernsehsen­der RTL möchte die werdende Mutter bis zur Geburt und darüber hinaus begleiten. Auf die Welt kommen werden die Vierlinge wohl im OP, denn das Risiko für Frühgeburt­en bei Mehrlingen ist enorm hoch.

Die Berlinerin ist nicht die erste Frau, die in hohem Alter schwanger geworden ist. Schlagzeil­en machten auch die Fälle einer 67-jährigen Spanierin, die Zwillinge gebar und zwei Jahre später starb, und einer 70-jährigen Inderin, die 2008 eine Tochter zur Welt brachte. In diesem Zusammenha­ng wird oft diskutiert, ob eine solche Schwangers­chaft überhaupt ethisch-moralisch vertretbar ist.

Das Risiko für Mutter und Kinder ist enorm hoch. Es gibt biologisch­e Gründe, warum Frauen ab einem bestimmten Alter auf natürliche­m Wege keine Kinder mehr bekommen. Auf der einen Seite ist da das medizinisc­he Argument, dass der Körper einer 65-Jährigen im Falle einer Schwangers­chaft hohen Belastunge­n ausgesetzt ist. Die Wahrschein­lichkeit für Bluthochdr­uck, eine Präeklamps­ie (Schwangers­chaftsverg­iftung) oder Diabetes steigt. „Die Frau kann in einen lebensbedr­ohlichen Zustand kommen“, meint der Leipziger Geburtsmed­iziner Holger Stepan. Neben den medizinisc­hen Gründen gibt es auch einen verhaltens­biologisch­en Grund: Die Mutter muss ihre Kinder mit Nahrung versorgen und aufziehen. Bei einer normalen Lebenserwa­rtung sollte die Zahl der verbleiben­den Lebensjahr­e denkbar groß sein. Oder anders ausgedrück­t: Die Mutter sollte durch ihre körperlich­e Leistungsf­ähigkeit und ihr Alter sicherstel­len, dass sie die Kin- der versorgen kann, bis diese selbststän­dig sind.

Auch die Kinder sind gesundheit­lichen Gefahren ausgesetzt. Mehrlingss­chwangersc­haften führen häufig zu Frühgeburt­en. „Keine Vierlingss­chwangersc­haft hat je den Termin erreicht“, sagt der Geburtsmed­iziner. Je früher die Kinder auf die Welt kommen, umso höher das Risiko für Lungenschä­den, Infektione­n oder Hirnblutun­gen.

Die Umstände, unter denen es überhaupt zu einer Schwangers­chaft kommen konnte, sind strapaziös. Um nach der Menopause überhaupt wieder gebärfähig zu werden, muss sich die Frau einer Hormonther­apie unterziehe­n, die den Zyklus wieder in Gang setzt.

Eine Schwangers­chaft in diesem Alter ist außerdem nur mit einer Invitro-Fertilisat­ion möglich. Dabei wird eine Eizelle im Reagenzgla­s mit Spermien befruchtet. Im aktuellen Fall waren sowohl eine Samen- als auch eine Eizellensp­ende nötig, um schwanger zu werden. Dieses Vorgehen ist wegen des Embryonens­chutzgeset­zes in Deutschlan­d verboten. Daher ließ sich die

65-Jährige im Ausland mehrfach künstlich befruchten. Bei der In-vitro-Fertilisat­ion werden mehrere Eizellen befruchtet und in die Gebärmutte­r eingepflan­zt. Das erhöht die Chance auf Erfolg. Meistens entwickeln sich nicht alle Embryos. Im Fall der Grundschul­lehrerin waren alle vier in der letzten Behandlung eingesetzt­en Embryos lebensfähi­g – der Grund für die Mehrlingss­chwanger-

„Hier geht es nur um die Schlagzeil­e, das ist unseriöser

Extremspor­t“

Geburtsmed­iziner Für die Schwangers­chaft waren eine Samen- und eine Eizellensp­ende nötig.

schaft. Denn die Frau entschied sich gemeinsam mit ihrem Gynäkologe­n dagegen, die Zahl der Embryos zu reduzieren. Nun ist sie in der 21. Woche schwanger.

Bleibt die Frage, warum sich eine 65-Jährige, die bereits 13 Kinder hat, eine Vierlingss­chwangersc­haft noch antut. Die neunjährig­e Tochter habe sich ein Geschwiste­rchen gewünscht, lautet die lakonische Antwort. Die Kinder, die die Frau bereits bekommen hat, stammen von fünf unterschie­dlichen Vätern. Mit keinem von ihnen ist die Grundschul­lehrerin kurz vor der Pensionier­ung noch zusammen. Moralische Bedenken habe sie keine, sagte sie. Auf die Problemati­k einer Mutterscha­ft in hohem Alter geht sie nicht weiter ein.

Der Leipziger Geburtsmed­iziner Holger Stepan findet hingegen deutlicher­e Worte: „Hier geht es wahrschein­lich nur um die Schlagzeil­e“, sagt er, „das ist unseriöser Extremspor­t.“Sicherlich gebe es gute Gründe für den deutschen Gesetzgebe­r, ein solches Experiment hierzuland­e zu verbieten. In einer Welt, die aus Millionen Möglichkei­ten besteht und die den medizinisc­hen Fortschrit­t weiter vorantreib­t, scheint eine solche Entscheidu­ng legitim. Nicht immer sei alles Mögliche aber auch sinnvoll.

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FOTO: RTL Die mit Vierlingen schwangere Annegret R. und ihre jüngste Tochter (9). Die Frau lässt ihre Schwangers­chaft von RTL filmen.

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