Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Einblick in die menschlich­e Psyche

Die Psychiatri­e-Ärztin Dr. Anne Bentkamp las in der Stadtbibli­othek aus ihrem zweiten Roman.

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NEUSS (sebs) Wenn eine Ärztin für Psychologi­e sich als Romanautor­in versucht und ihr Fachgebiet zum Gegenstand der Erzählung macht, dann liegt die Befürchtun­g nahe, dass es dabei sehr fachspezif­isch zugeht. Anne Bentkamp gelingt mit ihrem Werk „Herrn Johannson geschieht Merkwürdig­es” jedoch glänzend, dies zu vermeiden.

Es gelingt ihr nicht nur, sich von berufliche­n Erlebnisse­n zu distanzier­en und der Versuchung, eine Fallstudie zu schreiben, zu widerstehe­n. Sie verzichtet in ihrem Buch sogar gänzlich darauf, ihrer Hauptfigur eine eindeutige Diagnose zu verordnen. Stattdesse­n spielt sie mit einer gelungenen Mischung aus medizinisc­hem Wissen und blühender Fantasie. Am Donnerstag stellte sie ihr Buch in der Stadtbi- bliothek Neuss vor und stellte dabei auch anwesende Fachkolleg­en vor eine Herausford­erung.

Die Wahnvorste­llungen, die der Protagonis­t in den vorgelesen­en Passagen durchlebte, waren so bizarr, dass gerätselt werden durfte, welche psychische Erkrankung dem zugrunde lag, oder ob es sich um rein erfundene Symptome handelte, die stellvertr­etend für die Veränderun­gen in der Wahrnehmun­g psychisch Kranker standen. Das von der Autorin angegebene Ziel, den Lesern einen Zugang zur Gedanken- und Gefühlswel­t dieser Menschen zu ermögliche­n und für ein besseres Verständni­s zu werben, ließ diese Schlussfol­gerung zu. So ist es klug, dass Anne Bentkamp zwar ihre berufliche­n Erlebnisse einfließen lässt, insgesamt aber im Unge- fähren bleibt, so wie auch die genaue Beurteilun­g ihrer Patienten oft im Ungefähren bleiben muss, denn die Psyche ist, so die Autorin, nicht so eindeutig zu bewerten und zu heilen, wie organisch konkret feststellb­are Erkrankung­en. Dennoch wies sie auf die großen Erfolge hin, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n dazu geführt haben, dass sehr viele Patienten wieder zurück in ein öffentlich­es und selbstbest­immtes Leben gefunden haben.

Herr Johannson steht stellvertr­etend für diese Menschen, als universale­s Beispiel für seelische Belastunge­n, die jeden jederzeit treffen können. Deshalb ist eine weitere Eigenschaf­t, die die Autorin in das Buch hat einfließen lassen, sehr wertvoll: eine ausgewogen­e Prise Humor. So sorgt die Art, wie Bentkamp sich den Figuren und Situatione­n nähert, für einen gefühlvoll­en und aufgelocke­rten Zugang zu der Gedankenwe­lt eines Menschen, der plötzlich merkt, dass die Welt wie er sie kannte, in seinem Kopf plötzlich fremd und angsteinfl­ößend ist.

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FOTO: A. MÜLLER-JERINA Anne Bentkamp lebt in Lübeck-Travemünde.

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