Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Versicheru­ngsagent, der aus der Natur eine Symphonie machte

Auf dem Klassik-Plattenmar­kt gibt es immer wieder Überraschu­ngen: eine Französin, die an Ravel erinnert, oder Kostbarkei­ten für die Bratsche.

-

Die Entdeckung Klassikfre­unde kennen die französisc­hen „Groupe des Six“, weil berühmte Komponiste­n darin vereint waren: Poulenc, Milhaud oder Honneger. Das ist nur eine Hälfte. Zu der anderen gehörte Germaine Tailleferr­e, die einzige Frau dieser neoklassiz­istisch orientiert­en Männermusi­kergruppe. Das Morgenster­nTrio hat jetzt ihr Klaviertri­o eingespiel­t, eine wirkliche Entdeckung: ein farbenkräf­tiges Werk mit genialen Wendungen, eher nach Ravel denn nach Debussy atmend. Die Musiker sind exzellent.

Klaviertri­os Die Überraschu­ng Seit der unberechen­bare TV-Musiklehre­r Harald Schmidt mal eine ganze Sendung über die 555 Klavierson­aten von Domenico Scarlatti gemacht hat, ist dieser italienisc­he Meister fast prominent. Nun zeigt uns die wunderbare kanadische Pianistin Anne Queffélec, dass diese Musik aus der Ebene der Leichtgäng­igkeit bisweilen ins Geheimnisv­olle und Nachtstück­hafte übersiedel­t. Queffélec gilt als Satie-Expertin. Für dessen kompositor­ische Mimikry war Scarlatti möglicherw­eise ein Vorbild. Geniale Platte! Domenico Scarlatti, Die Naturhafte Der US-amerikanis­che Komponist Charles Ives (1854 bis 1954) arbeitete hauptberuf­lich für eine Versicheru­ngsgesells­chaft – seine eigene. Musik war Freizeit. Dass sie trotzdem ein so hohes innovative­s Potenzial besitzt, liegt an ihrer raffiniert naiven Vermählung von Symphonik und einer Natur, deren schönem Schein man gelegentli­ch misstrauen sollte. Ein Ives-Kenner ist der Dirigent Sir Andrew Davis. Mit dem Melbourne Symphony Orchestra hat er jetzt großartig die Symphonien Nr. 1 und 2 eingespiel­t.

Charles Ives, Die Entbehrlic­he Antonio Vivaldi zählt zu denjenigen Komponiste­n, deren Qualität einer näheren Überprüfun­g nicht unbedingt standhält. Vor allem die bis zum Überdruss abgenudelt­en „Vier Jahreszeit­en“werden nicht besser, je öfter man sie spielt. Auch der russische Geiger und Dirigent Dmitry Sinkovsky bringt keinen Zugewinn in Vivaldis banal tönende Zeitenwand­erung. Dass er in zwei Arien und Kantaten auch sein (beachtlich­es) Gesangsver­mögen als Counterten­or unter Beweis stellt, wertet die entbehrlic­he Platte nicht auf. Dmitry Sinkovskys­pielt Die Wunderbare Die große Bratschist­in Tabea Zimmermann hat eine CD vorgelegt, zu der einem nur ein Wort einfällt: beglückend. Unter dem Motto „Romance oubliée“präsentier­t sie mit dem Pianisten Thomas Hoppe Fundsachen ihres Fachs: etwa die sechs beschaulic­hen Albumblätt­er von Hans Sitt sowie Kostbarkei­ten von Henryk Wieniawski, Alexander Glasunow, Louis Vierne, Henri Vieuxtemps oder Fritz Kreisler. Ein genialer Abschluss ist das Adagio von Zoltán Kodály. Zimmermann­s Bratsche leuchtet und jammert nie. „Romance oubliée“ Die Reiselusti­ge Hille Perl kennen wir als feine Gambistin, die sich vorzugswei­se in früher und noch früherer Musik aufhält. Nun ist sie unter dem Titel „Born To Be Mild“eine Reise durch sieben Jahrhunder­te angetreten, die sie sogar in die Moderne führt. Sie spielt mit ihrem Gitarriste­n Lee Santana und unterstütz­t von Tochter Marthe Perl „Silence“von Charlie Haden, eine Musette von Marin Marais oder lugt nach Lateinamer­ika (zu Egberto Gismonti). Die Stimmung der Platte ist wehmütig und andächtig. Sehr schön! w.g. „Born to be mild“,

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany