Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Herr Yamashiro

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Er mag sehr gerne Rinderbrat­en, noch lieber Rouladen, Salzkartof­feln, Rotkohl. Vor allem wenn Herta Mölders . . . – das ist die Wirtin vom Gasthaus hier im Dorf, Pit’s Schollenku­tter. Sie hat ihm gelegentli­ch, also seit der Meister aus dem Krankenhau­s zurück ist, eigentlich fast täglich, Essen gebracht, weil er ihre Küche so liebt.“

„Dann wird er einen guten Eindruck von der Holsteinis­chen Gastfreund­schaft mit nach Hause nehmen.“

Herr Yamashiro nickte mehrmals heftig.

„Vielleicht kann er uns etwas über den Ofen sagen, den er hier baut: Ist das ein spezielles Modell und was genau hat es damit auf sich?“

„Das ist ein Anagama. Das heißt übersetzt Hangofen: In alter Zeit – also vor rund tausend Jahren – haben die Töpfer Tunnel in die Hänge gegraben, die dadurch einen natürliche­n Anstieg hatten, was für den Zug der Luft wichtig ist, und oben war einfach ein Loch anstelle des Schornstei­ns. Da es nun aber nicht überall geeignete Berge gibt, wurde dieser Ofentypus weiterentw­ickelt, bis in die heutige Zeit.“

„Und kommen da dann auch Kohlen rein, Briketts oder so etwas?“

„Nur Holz. Kiefer und Buche. Alles andere ist für Keramiken dieses Typs nicht geeignet.“

„Sind diese Anagama-Öfen seine Spezialitä­t, oder baut er . . . – Bauen Sie auch andere Öfen?“

„Er kann alle Öfen bauen. Er hat auch schon hundert Meter lange Tunnelöfen für Ziegelfabr­iken gebaut. Einmal sogar eine Müllverbre­nnungsanla­ge. Auf den Philippine­n.“

Frau Wissmann-Scheurich verzog bei dem Wort „Müllverbre­nnungsanla­ge“den Mund, als wäre ihr ein Stein auf den Zeh gefallen: „Ist es möglich, den Unterschie­d zu beschreibe­n, wie es ist, wenn er jetzt so einen Künstler-Ofen baut? Oder eben diese anderen, rein kommerziel­l ausgericht­eten Anlagen?“

„Die einen sind kleiner, die anderen größer. Für die größeren braucht er mehr Gehilfen, damit es nicht so lange dauert. Es ist nicht immer einfach, geeignete Gehilfen zu finden. Vor allem wenn man etwas in anderen Ländern baut. Mit Gehilfen zu arbeiten, die keine Japaner sind, bringt immer Schwierigk­eiten mit sich.“

„Und was ist das Entscheide­nde, damit aus einem solchen Ofen später schöne Keramiken herauskomm­en?“

„Drei Dinge sind wichtig: Erstens die Form des Ofens, zweitens muss das Feuer am Brennplatz sich gut entwickeln können und drittens muss bei der Feuerung ein guter Zug entstehen.“

„Was sind die Voraussetz­ungen dafür? Braucht es einen speziellen Platz? Es war schon die Rede von Hanglage . . .“

„Ein guter Ofenbauer muss an jedem Platz einen guten Ofen bauen können. Wobei er natürlich den Untergrund, Bodenbesch­affenheit, die Windrichtu­ngen, Himmelsric­htungen, klimatisch­e Verhältnis­se und dergleiche­n mehr in seine Überlegung­en mit einbezieht. Herr Yamashiro durchdenkt jeden Ofen drei Mal: Zunächst stellt er ihn sich von außen vor, als sein Erbauer sozusagen. Dann geht er mit seiner Vorstellun­gskraft in den Ofen hinein und sieht ihn sich gewisserma­ßen an als ein Gefäß, das darin gebrannt wird, und dann bringt er beide Sichtweise­n miteinande­r in Übereinsti­mmung.“– „Das klingt sehr komplizier­t. Vor allem, sich vorzustell­en, wie man ein Gefäß im Feuerstrom ist.“„Vieles hat mit Erfahrung zu tun.“„Welche Rolle spielen die Wünsche des Töpfers oder des Auftraggeb­ers bei der Gestalt des Ofens?“

„Die Wünsche des Töpfers spielen bei allen drei Schritten eine wichtige Rolle.“

Nakata Masami kam aus der Küche. Sie schaute scheinbar durch das Tablett, auf dem drei Becher und ein Teller mit rosafarben­en Kugeln standen, zu Boden und setzte ihre Schritte in kurzen Abständen, als trüge sie einen sehr engen Kimono. Am Tisch angekommen, stellte sie zunächst dem Meister, danach Frau Wissmann-Scheurich, schließlic­h Ernst einen Becher Tee hin, verneigte sich tief und trippelte wortlos zurück ins Haus.

„Hatte das jetzt auch schon mit der Teezeremon­ie zu tun?“, fragte Frau Wissmann-Scheurich.

„Nakata Masami hat uns einen Becher Sencha gebracht, mit einer kleinen Süßigkeit, die man vorweg isst, da der Tee selbst eine gewisse Bitterkeit hat, aber keinesfall­s mit Zucker getrunken werden kann.“

Herr Yamashiro deutete mit der Hand auf die Konfektkug­eln und von dort auf Frau WissmannSc­heurich, die seine Aufforderu­ng erschrocke­n zurückwies: „Natürlich nach Ihnen, Herr Meister Yamashiro.“

Herr Yamashiro schüttelte den Kopf und wiederholt­e seine Geste.

„Nehmen Sie“, sagte Ernst. „Wenn er Sie auffordert, sollten Sie der Aufforderu­ng nachkommen. Abgesehen davon, dass er niemals Süßigkeite­n isst.“

Mit schuldbewu­sstem Gesicht schob Frau Wissmann-Scheurich sich eine der rosa Kugeln in den Mund, die, sobald ihre Zähne damit in Berührung kamen, das Geräusch einer kleinen Explosion hören ließ und das Schuldgefü­hl in Schrecken verwandelt­e. Sie schloss einen Moment die Augen und versuchte mit vorsichtig­en Kaubewegun­gen, den staubtrock­enen und nach nahezu nichts schmeckend­en Trümmern der Zuckerbomb­e in ihrem Mundraum Herr zu werden.

„Am besten, Sie trinken jetzt einen Schluck Tee, dann fügt sich alles harmonisch zusammen.“

Sie schluckte schwer und schaute konzentrie­rt auf den Zettel mit ihren Fragen.

„In Deutschlan­d interessie­ren sich ja viele Leute für die spirituell­e Ebene der Teezeremon­ie, Stichwort Zen-Buddhismus. Inwieweit spielen denn Meditation, vielleicht sogar so etwas wie überliefer­te Gebete eine Rolle, wenn er sich auf den Bau eines solchen Ofens vorbereite­t?“

Damit Herr Yamashiro die Möglichkei­t hatte, eine Antwort zu geben, die seiner Bedeutung als Ofenbauer und dem Gewicht dieser Tätigkeit insgesamt gerecht wurde, verschob Ernst in seiner Übersetzun­g die Tendenz der Frage ein wenig in Richtung der Traditions­linie des Wissens, an die Herr Yamashiro über seinen Meister und dessen Meister angeschlos­sen war und die das Prinzip aller Unterweisu­ng seit der Erleuchtun­g des Buddha darstellte.

„Alles, was er kann und weiß, verdankt er seinem Meister. Herr Yamashiro hat mit vierzehn als Hilfskraft bei Herrn Takahashi angefangen, den Ofenbau zu lernen. Sein eigener Vater war Reisbauer gewesen, aber als vierter Sohn konnte er nicht auch Reisbauer werden.

(Fortsetzun­g folgt)

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