Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Keine Lust mehr auf Watschen aus Karlsruhe

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Klatsche, Ohrfeige, Niederlage – das sind meistens die Kommentare, wenn sich die Karlsruher Richter mit einem Gesetz oder einem Vorhaben der Bundesregi­erung befasst haben. Allzu oft steht die Regierung in Berlin als Tölpel da, der das Grundgeset­z nicht begriffen hat. Schlimmer noch: Die Verfassung und das Verfassung­sgericht gelten als Konsequenz aus der labilen Weimarer Republik als ein Anker der Demokratie. Die verantwort­lichen Politiker, deren Entscheidu­ngen die Karlsruher Richter regelmäßig kippen, stehen dann da, als hätten sie die demokratis­chen Prinzipien nicht so ganz begriffen.

Zugleich sind die Forderunge­n aus Karlsruhe oft genug sehr kostspieli­g. Das heißt, die Regierung muss viel Geld investiere­n, ohne dass sie sich beim Volk mit den Mehrausgab­en beliebt machen kann. So hätte es ohne Karlsruhe die Mütterrent­e nie gegeben, gleiches gilt für das Bildungspa­ket für Kinder

Unsere Republik wäre eine andere, gäbe es das Verfassung­sgericht in Karlsruhe nicht: Homoehe, Schwangers­chaftsabbr­uch, Auslandsei­nsätze. Die Union erwägt nun, den Einfluss der Richter einzudämme­n.

aus Hartz-IV-Familien und den höheren Beitrag für Kinderlose in der Pflegevers­icherung.

Der Union gehen die Rechthaber aus Karlsruhe mittlerwei­le auf den Keks. Aktuell muss die Regierung ein neues Erbschafts­teuer-Gesetz einführen, das weit von den ursprüngli­chen politische­n Vorstellun­gen der Union entfernt ist. Viele Politiker aus CDU und CSU sind auch mit dem jüngsten KopftuchUr­teil nicht gerade glücklich, wonach Lehrerinne­n im Unterricht grundsätzl­ich die umstritten­e Kopfbedeck­ung tragen dürfen. Und nun bahnt sich auch noch an, dass die Richter in Karlsruhe das Betreuungs­geld kippen könnten. Damit wäre nicht nur ein zentrales Projekt der CSU dahin. Die Häme, die sich dann über die Union insgesamt ergösse, wird einen politische­n Flurschade­n anrichten.

Das Verfassung­sgericht macht der Politik das Leben aber nicht immer nur schwer. Häufig kamen auch sehr weise Urteile aus Karlsruhe, durch die das Gericht die Gesellscha­ft behutsam modernisie­rt hat. Wegweisend­e Urteile gab es zur Gleichbere­chtigung von Mann und Frau, zu gleichgesc­hlechtlich­en Lebensgeme­inschaften und immer wieder auch zu Bürgerrech­ten.

Nun gehört Bundestags­präsident Norbert Lammert nicht zu den Gralshüter­n einer altmodisch­en Gesellscha­ftsordnung. Das Verfassung­sgericht macht sich aus seiner Sicht aber doch ein bisschen breit im politische­n Geschäft. So hatten die Richter etwa vor der EuropaWahl die Drei-Prozent-Hürde gekippt. Speziell in dieser Frage haben sich Richter eben nicht als Hüter demokratis­cher Stabilität erwiesen, sondern haben den Rechten der Minderheit­en den Vorzug gegeben. Das Gericht ist die Hüterin der Verfassung. Unfehlbar ist es nicht.

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