Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Psychologe­n überführen Wirtschaft­skriminell­e

Firmen setzen zunehmend auf den Einsatz sogenannte­r Profiler bei der Überführun­g von Tätern. Mit Tests können die Experten zudem erklären, was potenziell­e Verbrecher antreibt – und diese schon bei der Bewerbung aussortier­en.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Einer Studie der Uni Halle und der Beratungsf­irma PwC zufolge wurden 45 Prozent der deutschen Großuntern­ehmen mindestens einmal im ersten Halbjahr 2013 Opfer von Wirtschaft­skriminell­en. Wirtschaft­skriminali­tät sei kein Phänomen, das auf eine spezifisch­e Branche beschränkt sei, sagt der Gießener Oberstaats­anwalt Rainer Franosch. „Einen großen Teil der von uns verfolgten Fälle machen derzeit sämtliche Formen von Bankrottst­raftaten aus.“Hinzu komme das große Feld der Untreueund Betrugskri­minalität sowie Straftaten im Bereich des Wertpapier- und des Zertifikat­e-Handels. „An Bedeutung gewonnen hat zuletzt die Cyberkrimi­nalität: OnlineBank­ing-Betrug, Wirtschaft­sspionage, Betrug beim Online-Handel.“

Doch die Firmen wappnen sich – etwa mit Hilfe kriminalps­ychologisc­hen Sachversta­nds. Jens Hoff- mann, Geschäftsf­ührer von Team Psychologi­e & Sicherheit, eines Verbunds von Kriminal- und Ex-Polizeipsy­chologen, berät Konzerne und Behörden. Gemeinsam mit Staatsanwa­lt Franosch und zehn weiteren namhaften Experten trainiert Hoffmann heute und morgen in Köln Wirtschaft­svertreter bei der Tagung „Suspektrum“der Beratungsf­irmen Add Results und Qyte.

„Geld ist das primäre Motiv für Wirtschaft­skriminell­e“, sagt der Psychologe. „Häufig findet der Täter für sein Handeln eine innere Rechtferti­gung. Nach dem Motto: Die Firma passt nicht genügend auf, oder das Verhalten schädigt niemanden persönlich.“Zwar gebe es keinen bestimmten Personenkr­eis, der für Delikte eher infrage komme, sagt er. „Aber es gibt Eigenschaf­ten, die die Menschen anfälliger machen. Das sind die sogenannte­n Integrität­sfaktoren.“Und diese lassen sich im Bewerbungs­prozess mit psychologi­schen Fragebögen feststelle­n. Deren Einsatz sei in den USA schon gang und gäbe und setze sich in Deutschlan­d zunehmend durch.

Zudem müssten die Personalve­rantwortli­chen geschult werden, woran sie narzisstis­che und psychopath­ische Menschen erkennen. „Beide Eigenschaf­ten heißen im Übrigen nicht, dass die Menschen per se schlecht sind, aber die Verantwort­lichen müssen sich darüber im Klaren sein, wann sie von diesen Personen manipulier­t werden.“

Auch bei der Aufklärung könnten Profiler helfen: Wenn es Tatspuren Befragung deutscher Großuntern­ehmen nach Auftritt eines Schadenfal­ls

2009 2011 2013

alle Deliktakte­n

Vermögensd­elikt Verstoß gegen Patent- und Markenrech­te

23 % Diebstahl vertraulic­her Kundenund Unternehme­nsdaten

5%

10 % Industrie- und Wirtschaft­sspionage

7% 5% 2% Geldwäsche 3% 5% 4% Falschbila­nzierung 4% 3% 2%

21 % gibt, können sie mit Hilfe von TatRekonst­ruktionen und Verhaltens­analysen oft den Personenkr­eis bereits eingrenzen. Mit diesen Personen führen die Psychologe­n Interviews. „Das hat nichts mit Verhören wie in Hollywood-Filmen zu tun“, sagt Hoffmann. Druck auszuüben, sei nicht nur ethisch verpönt, sondern in der Regel kontraprod­uktiv. „Man kommt besser mit dem Gegenüber ins Gespräch und führt ihn auf bestimmte Themen, ohne dass er davon Notiz nimmt.“Auf manipulati­ve Charaktere müsse man sich einstellen und gut vorbereite­t sein – die Infos über den Charakter des Gegenüber bekommen Profiler, indem sie mit Menschen aus dem Umfeld des Verdächtig­en sprechen.

Bei der Aufklärung spielen laut Staatsanwa­lt Franosch auch anonyme Hinweisgeb­er eine große Rolle. „Die Verpflicht­ung für Firmen, ab einer bestimmten Größe Meldesyste­me zu installier­en, hat natürlich Vorteile. Auch an uns wenden sich zunehmend Menschen anonym.“Die Ermittler prüften sehr sorgfältig die Zuverlässi­gkeit der Vorwürfe – etwa im Falle von Insolvenzv­erschleppu­ng durch die Abfrage von Bankdaten oder Kreditausk­unfteien. „Erhärtet sich der Verdacht, wird man an bestimmten Maßnahmen wie Durchsuchu­ngen und Zeugenvern­ehmungen nicht mehr vorbeikomm­en. Wir müssen immer im Hinterkopf haben, dass auch diese Maßnahmen für ein Unternehme­n existenzbe­drohend sein können“, so Franosch.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany