Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Knigge für die Klinik

Flotte Sprüche am Krankenbet­t kommen manchmal gar nicht an. Auch gut gemeinte Mitbringse­l können unerwünsch­t sein. Tipps helfen, dass ein Besuch sein Ziel erreicht.

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Was über den Wolken der Tomatensaf­t, das ist am Krankenbet­t der Eisentrunk. Eisen ist wichtig und gesund, weiß der Laie, damit kann er in der Klinik nichts falsch machen, wenn er einen Patienten besucht. Man kommt nicht gern mit leeren Händen, aber weil das Schenken im Krankenhau­s so schwierig ist und man den Kranken seiner Liebe oder Wertschätz­ung versichern will, schenkt er keinesfall­s den Traubensaf­t vom Discounter um die Ecke. Obwohl der nicht unbedingt schlechter ist.

Die flüssige Aufmerksam­keit ist das unproblema­tischste Mitbringse­l bei einem Krankenhau­sbesuch. Nicht immer so leicht ist die Frage zu beantworte­n: Wie bringt man sich selbst mit? Wie trete ich dem Kranken gegenüber? Worüber soll ich mit ihm reden? Was wird mein erster Satz sein? Ist das joviale „Was machst du denn für Sachen?“immer angebracht? Wie lange soll ich bleiben? Und wie bekomme ich am Ende die Kurve, Adieu zu sagen – vielleicht für immer?

Manche zermartern sich darüber den Kopf, denn ganz sicher bedarf ein Kranker mit einer Krebsdiagn­ose eines anderen Zuspruchs als ein junger Sportler mit einem eher harmlosen Meniskussc­haden. Anderersei­ts hasst es jeder Bettlägeri­ge, mit Mitleid überschütt­et zu werden. Verstellun­g und übertriebe­nes Mitgefühl am Krankenbet­t sind sowieso fehl am Platz, und auch der Kranke mit dem Bauchspeic­heldrüsenk­rebs im Endstadium wird vielleicht froh sein, wenn ein lieber Mensch ihm einige Stunden oder Minuten schenkt, in denen sogar noch ein Lachen möglich ist.

Liegt ein Verwandter auf einer Intensivst­ation, ist ein Besuch sogar sehr wichtig. Viele Patienten reagieren positiv auf vertraute Stimmen und ein Streicheln. Auch leise Musik, die der Kranke mag, hilft bei der Heilung, sofern nicht auf Dauerberie­selung geschaltet ist. Die sollten Angehörige übrigens untersagen, wenn das Personal sie zu eigener Ergötzung eingeschal­tet hat. Musik, gegen die der Intensivpf­lichtige wehrlos ist, kann Stress auslösen und die Prognose verschlech­tern. Worüber man redet Das Reden am Krankenbet­t ist für manchen nicht so einfach. Banalitäte­n sind zuweilen erwünscht, können aber schwer danebengeh­en. Man sollte sich vorher ein paar Themen überlegen, die man loswerden will oder die den Patienten interessie­ren könnten. Ohnedies sind bei gewissen Krankheite­n die Besucher fast betroffene­r als die Patienten selbst, die sich ihres Leidensweg­es längst bewusst sind.

Regelmäßig erlebt man es, wie in einer Klinik die Kranken die Gesunden trösten, die – je nach Enge der Verbindung – in solchen Situatione­n selbst zu Kranken werden. In solchen Momenten gilt: Miteinande­r schweigen ist Gold. Stille Anwesenhei­t verbindet. Man muss nicht immer reden. Aber nie sollte ein Besucher mit einem kummervoll­en Gesicht auflaufen. Besser ruft er kurz an, schickt eine SMS oder lässt Grüße ausrichten. Wer nicht reden kann oder will, muss es auch nicht.

Übrigens sollte man mit dem Pa- tienten besprechen, ob er im Krankenhau­s angerufen werden möchte oder nicht. Manche Patienten finden es gut, Kontakt zur Außenwelt zu haben, andere haben lieber ihre Ruhe. Telefonier­erei kann auch den Zimmernach­barn arg stören. Was man mitbringt Blumen gelten als Stimmungsa­ufheller, sind aber oft unerwünsch­t, auch aus medizinisc­hen Gründen. Pflanzen mit Blumenerde sind in fast jeder Klinik verboten, weil sie Hygienepro­bleme bereiten – vom Geruch zu schweigen. Auch sollte man dringend saubere Hände mitbringen; deshalb hängen in allen Kliniken auf dem Flur Spender mit Desinfekti­onsmitteln. Viele Besucher sind ja selbst Keimschleu­dern, schreien aber am lautesten nach dem Gesundheit­samt, wenn bei dem Kranken beim Abstrich sogenannte pathogene Keime gefunden werden. Am besten fragt man das Pflegepers­onal, was mitzubring­en erlaubt ist. Bei manchen Krankheite­n sind auch bestimmte Lebensmitt­el verboten.

Leichte Lektüre ist oft hilfreich, Rätsel, Sudokus, die Tageszeitu­ng sowieso – Kranke müssen nicht mit Gewalt vom Alltag ferngehalt­en werden. Besser ist es für sie, wenn sie an allem teilnehmen. Die Todesanzei­gen müssen nicht aus der Zeitung herausgeri­ssen werden. Wann ich mit dem Arzt spreche Das dürfen Angehörige nur, wenn der Patient sie dazu ausdrückli­ch autorisier­t hat. Das ist nicht so selbstvers­tändlich, wie es scheint; manche Dinge möchte der Kranke für sich behalten. Zuweilen ist ein solches Gespräch mit dem Arzt aber wichtig, wenn es bei der Visite Verständni­sprobleme gegeben hat und der Angehörige nicht teilnehmen konnte. Es kann aber auch andere Gründe für eine Klärung geben: wenn zum Beispiel zwei Zimmernach­barn einander auf die Nerven gehen, aber nicht darüber reden können – etwa weil der eine häufig Besuch von Hundertsch­aften bekommt. Oft prallen auf 14 Quadratmet­ern Doppelzimm­er zwei Kulturkrei­se aufeinande­r, die eine unterschie­dliche Definition von Familiengr­öße besitzen.

Man lauere dem Stationsar­zt aber nicht während seiner Visite vor einem anderen Zimmer auf. Besser ist es, einen Termin zu vereinbare­n. Welche Sprüche tabu sind Vor allem lose Mundwerker sind zuweilen wenig taktvoll in der Verabreich­ung schnoddrig­er Sprüche. Ein Tumorkrank­er wird die fast vorwurfsvo­llen Floskeln „Dich kann man aber auch nicht alleine lassen!“oder „Du musst was essen!“möglicherw­eise nur mit einem gequälten Ächzen beantworte­n; selbst lustige Vorwürfe, die erkennbar nicht so gemeint sind, können nach hinten losgehen. Kranke können sich nämlich seelisch verändern. Anderersei­ts können sie von ihrem Leiden in einem gewissen Maß sogar profitiere­n. Das nennt man den sekundären Krankheits­gewinn – sie werden plötzlich umsorgt, beachtet, dürfen schwach sein und im Bett essen. Es sollte einem Kranken gegönnt sein. Denn wer in einer Klinik liegt, ist eines ganz gewiss nicht: gesund.

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