Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
NRW ist Schlusslicht bei Frauen mit Vollzeitjobs
Weniger als ein Drittel der Frauen in NRW ist beruflich in Vollzeit tätig. Ökonomen sehen einen Mangel an Kita-Plätzen als Ursache.
BERLIN In Nordrhein-Westfalen und dem Saarland arbeiten so wenige Frauen in Vollzeitjobs wie in keinem anderen Bundesland. 2013 waren dort 28 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren in Vollzeit berufstätig, in NRW entspricht das knapp zwei Millionen Frauen. Das hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes errechnet. Spitzenreiter sind ostdeutsche Länder wie Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Dort arbeiteten dem IW zufolge mehr als 40 Prozent der weiblichen Bevölkerung mindestens 32 Stunden pro Woche.
Die Quote der Frauenerwerbstätigkeit, speziell derer in Vollzeitstellen, dient oft als Gradmesser für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Annahme der Ökonomen: Je höher die Zahl der Frauen in einem Bundesland, die voll im Berufsleben stehen, desto besser ist es dort um das Zusammenspiel aus Kindern und Karriere bestellt.
Und so führt das IW die geringe Integration von Frauen in Vollzeitbeschäftigung in NRW auf das mangelnde Angebot an Kinderbetreuungsplätzen an Rhein und Ruhr zurück. „Zum Beispiel werden im brandenburgischen Frankfurt an der Oder 63 Prozent der unter Dreijährigen in Einrichtungen oder Tagespflege betreut, während es in Mönchengladbach nur 16 und in Duisburg sogar nur 15 Prozent sind“, sagte Holger Schäfer, Chefvolkswirt bei dem arbeitgebernahen Institut.
Auch bei der Teilzeitbeschäftigung von Frauen könne NRW kaum punkten. Nach Berechnungen des IW arbeiteten 2013 29 Prozent der Frauen in Teilzeit, die höchsten Werte erreichten Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg mit jeweils 32 Prozent. Schlusslicht war Mecklenburg-Vorpommern mit nur 21 Prozent.
„Die Erwerbsbeteiligung von Frauen war in Ostdeutschland schon vor der Wende höher als im Westen“, erklärt IW-Ökonom Schäfer die unterschiedliche Erwerbsorientierung. Teilzeit werde aber mitunter auch zu einem arbeitsmarktund gleichstellungspolitischen Problem erklärt. „Dabei wird gern implizit unterstellt, dass Teilzeit unfreiwillig sei“, sagte Schäfer. Allerdings würden gerade einmal 14 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen angeben, keine Vollzeitstelle gefunden zu haben. Die meisten würden sich wegen persönlicher Verpflichtungen (24 Prozent) oder aus anderen Gründen (weitere 24 Prozent) keine Vollzeitbeschäftigung wünschen, so Schäfer.
In den vergangenen Jahren hatte aber auch der Gesetzgeber dazu beigetragen, dass die Menge an Teil- zeitjobs stark zunahm. 2001 hatte die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Recht auf Teilzeit eingeführt. Nur mit erheblichen Beweggründen eines Unternehmens, etwa bei Arbeitsabläufen, können seitdem zeitlich reduzierte Tätigkeiten von Arbeitnehmern abgelehnt werden. Mit diesem Instrument sollten Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Zudem wollte RotGrün einen Beitrag zur Gleichstellung von Männern und Frauen im Berufsleben leisten. Heute ist klar, dass dadurch auch die Zahl der sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnisse gestiegen ist. Dazu zählen unter anderem befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit und Minijobs.
Für den emeritierten SoziologieProfessor Hans Bertram von der Humboldt-Uni Berlin argumentiert das Kölner Wirtschaftsinstitut in seinem Ranking zur Vollzeitbeschäftigung nicht sauber genug: „Es ist vor allem ein wirtschaftspolitisches Problem, dass in manchen Bundesländern die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen gering ist“, sagte Bertram. So komme in der NRW-Quote zum Beispiel auch zum Ausdruck, dass das Land einst deutlich stärker industriell geprägt war und mittlerweile viele Arbeitsplätze schlicht nicht mehr existieren würden.
„Speziell in NRW fehlen gerade in Regionen wie dem Ruhrgebiet Jobs für Frauen“, so Bertram. Nach wie vor sei es in Deutschland das gängige Familienmodell, dass Frauen im Berufsleben zurückstecken und Männer den Hauptteil zum Haushaltseinkommen beisteuern. Deshalb sei es Aufgabe der Politik, die Arbeitsmarktstrukturen zu verändern. Die Familienpolitik könne das sonst nicht ausgleichen. Stimme des Westens