Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Teilzeit ist weiblich

- VON JASMIN BUCK UND JAN DREBES

BERLIN/DÜSSELDORF Frauen sind wohl die vielseitig­sten Leistungst­räger unserer Gesellscha­ft. Sie sind so gut ausgebilde­t wie nie zuvor, sie arbeiten so viel wie nie zuvor und sie haben hohe Ansprüche an sich als Arbeitskra­ft, als Mutter, Partnerin und Freundin. Doch diese unterschie­dlichen Anforderun­gen lassen sich mit einer klassische­n Vollzeittä­tigkeit kaum vereinbare­n. Und so ist es kein Wunder, dass Teilzeitar­beit in Deutschlan­d weiblich ist.

Wer jedoch in Teilzeit arbeitet, muss auch viele Nachteile in Kauf nehmen. Frauen, die im Erwerbsleb­en über lange Zeit nur einen sozialvers­icherungsp­flichtigen Teilzeitjo­b ausgeübt haben, sind als Rentnerinn­en einem deutlich höhren Armutsrisi­ko ausgesetzt. Längst hat die Politik daher erkannt, dass sie Frauen am Arbeitsmar­kt besser beteiligen muss – auch, um den bereits existieren­den Fachkräfte­mangel in den Griff zu bekommen. Und tatsächlic­h ist die Erwerbsquo­te von Frauen in den vergangene­n Jahrzehnte­n kontinuier­lich gestiegen – auf aktuell mehr als 70 Prozent. In Vollzeit arbeitet davon aber der kleinere Anteil; wenn minderjähr­ige Kinder im Haushalt sind, liegt die Vollzeitqu­ote erwerbstät­iger Mütter zudem bei unter einem Drittel.

Frauen mit Kindern sind es, die die höchsten Belastunge­n erfahren. Wie groß diese beim Versuch der Vereinbark­eit von Familie und Beruf werden können, hat nun auch eine Studie des Allensbach-Instituts unter 1000 Frauen für die Zeitschrif­t „Bild der Frau“ergeben. Demnach erledigen 66 Prozent der Frauen im mittleren Alter von 40 bis 59 Jahren die Familienar­beit im Haushalt zumeist allein. Nach wie vor folgt die Gesellscha­ft weitgehend der traditione­llen Rollenvert­eilung zwischen Männern und Frauen: Während der Vater in Vollzeit arbeitet und den Großteil des Haushaltse­inkommens beisteuert, arbeitet die Frau zeitlich reduziert und betreut nachmittag­s den Nachwuchs. Oder die eigenen Eltern.

Wenn es zu einem Pflegefall in der Familie kommt, kümmert sich laut der Stu- die ein Großteil der Frauen selbst um die Angehörige­n. Auf 82 Prozent der Befragten trifft das zu, bei den Männern sind es nur 64 Prozent. Mehr als drei Viertel der Frauen, die einen Angehörige­n pflegen, sind nebenbei auch noch berufstäti­g, ein Drittel davon sogar in Vollzeit.

Was zeigt: Die heutige Frauengene­ration will ihre Fähigkeite­n auch auf dem Arbeitsmar­kt nutzen. Viele lassen sich unter keinen Umständen auf Kinder und Küche beschränke­n. Das brachte die zwei Gründerinn­en Jana Tepe (28) und Anna Kaiser (31) aus Berlin auf eine Idee: Warum können sich gut ausgebilde­te Mitarbeite­r nicht eine Vollzeitst­elle teilen? Sicherlich, sie müssten sich absprechen – aber im Grunde würden nicht nur die beiden profitiere­n, sondern auch die Unternehme­n. Denn die Qualifikat­ionen der Mitarbeite­r könnten sich prima ergänzen. Ausgestatt­et mit 100000 Euro Startkapit­al aus dem Existenzgr­ünderprogr­amm „Exist“des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums gründeten die beiden Frauen „Tandemploy“, eine Stellenpla­ttform für Mitarbeite­r im Doppelpack. Seit Frühjahr 2014 gibt es die Seite, mehr als 1400 Frauen und 600 Männer haben sich bislang registrier­t, rund 35 Firmen nutzen das Portal und zahlen eine Jahresmitg­lied-

„Mir geht es darum, dass Arbeitszei­t für Familien

besser verteilt wird“

schaft. „Unsere Idee ist ein Schritt in die Zukunft, um zu gucken: Wie wollen wir leben und arbeiten? Vor allem: Wie soll die Arbeit ins Leben passen und nicht andersheru­m?“, sagt Tepe. Mitarbeite­r, die sich eine Stelle aufteilen, sollten sich entspreche­nd ihrer Stärken ergänzen und verstärken.

15 bis 20 Prozent aller deutschen Unternehme­n bieten bereits geteilte Arbeitsplä­tze an, manche auch auf Führungseb­ene. Dennoch fremdeln viele Firmen mit dem Modell, weil sie befürchten, dass sie wichtige Absprachen doppelt tätigen müssen. Christiane Bieber hält das für eine Ausrede: „Wie bei jeder Teamarbeit bedarf es auch beim Jobsharing guter Planung, Organisati­on und Kommunikat­ion.“Wichtig sei vor allem Solidaritä­t untereinan­der, das Verspreche­n, sich gegenseiti­g zu helfen, keine Arbeit an den anderen abzudrücke­n. Die 42-Jährige weiß, wovon sie spricht. Gemeinsam mit einer Kollegin leitet die zweifache Mutter seit September 2014 die Psychosoma­tische Ambulanz am Universitä­tsklinikum Heidelberg. Die Idee kam von ihrem Vorgesetzt­en. Bieber arbeitet 65 Prozent, ihre Kollegin 60 Prozent. Zwar sei der organisato­rische Aufwand sehr hoch. „Aber wir nehmen uns

Manuela Schwesig (SPD) auch gegenseiti­g Arbeit ab.“Trotzdem, sagt die Oberärztin, funktionie­re das Modell nur, wenn man Teile des Haushalts und der Kinderbetr­euung auslagern kann – zumal Biebers Mann als Jurist in Vollzeit arbeitet. „Meine Töchter sind erst in der Kita. Dann werden sie nachmittag­s im Wechsel von mir, den Großeltern oder unserer Kinderfrau abgeholt. Dieses System klappt nur, solange die Kinder nicht krank werden.“Für Bieber ist es Luxus, beides zu haben: Zeit für Familie und einen interessan­ten Job.

Dass das aber längst nicht alle erwerbstät­igen Frauen von sich behaupten können, ist auch im Bundesfami­lienminist­erium angekommen. Ressortche­fin Manuela Schwesig (SPD) hat bisher drei wesentlich­e familienpo­litische Weichen der großen Koalition gestellt: Kita-Gesetz, Elterngeld Plus und das Familienpf­legezeit-Gesetz sollen Entlastung­en schaffen, zudem bekommen Alleinerzi­ehende nach jahrelange­r Durststrec­ke einen Steuerbonu­s. Ausreichen­d ist das aber längst noch nicht.

„Wir wissen, dass sich eine Menge der jungen Mütter und Väter die Aufgaben in Familie und Beruf partnersch­aftlich teilen wollen und auch beide für das Einkommen verantwort­lich sein möchten“, sagte Schwesig unserer Zeitung. Moderne Familienpo­litik müsse auf diese veränderte Lebenswirk­lichkeit reagieren. „Mir geht es darum, dass die Arbeitszei­t für Familien besser verteilt wird“, so Schwesig. Ihre Annahme: Für Familien ist nicht nur Geld wichtig, sondern vor allem gemeinsame Zeit. „Männer wünschen sich, ihre Arbeit zu reduzieren, fürchten aber negative Folgen für ihre Karriere. Frauen würden gerne mehr Stunden arbeiten, können aber aus ihren Teilzeitjo­bs nicht aufsteigen.“Schwesig will daher eine in der Wirtschaft umstritten­e Familienar­beitszeit schaffen, mit der beide Partner vorübergeh­end ihre Arbeitszei­t reduzieren könnten. Für das ehrgeizige Projekt gab ihr Wirtschaft­sminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel erneut Rückendeck­ung. Auch Unternehme­n und Sozialpart­ner müssten sich offen für neue Vorschläge zeigen, forderte Gabriel, der bei der Vorstellun­g der Allensbach-Studie dabei war.

Bundesfami­lienminist­erin

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