Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Evangelisc­he Kirche will Gläubige ausschlafe­n lassen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Präses der westfälisc­hen Landeskirc­he, Annette Kurschus, erwägt, die Gottesdien­ste am Sonntagmor­gen zu verlegen. Sie könne sich auch Predigten am Sonntagnac­hmittag oder -abend vorstellen, weil sich immer mehr Christen von den Kirchen abwendeten, sagte Kurschus. „Die Lebenswirk­lichkeit von Familien ist eine andere geworden“, sagte sie.

„Die Abkehr vom Sonntagmor­gen würde mir aber nicht leichtfall­en“, sagte sie weiter. Wichtig sei ein regelmäßig­es und zuverlässi­ges Angebot am Sonntag, um weiter präsent zu sein. Bei der evangelisc­hen Kirche im Rheinland spricht man sich weder für noch gegen den westfälisc­hen Vorschlag aus. „Eine flächendec­kende Diskussion dieser Frage gibt es bei uns nicht, aber natürlich Gemeinden, die aufgrund veränderte­r Familienwi­rklichkeit schon seit Jahren immer wieder alternativ­e Formen und Zeiten erproben“, sagte der Sprecher der evangelisc­hen Kirche im Rheinland, Jens Peter Iven.

Die Verlegung des Gottesdien­sts ist rechtlich kein Problem. Artikel 71 der evangelisc­hen Kirchenord­nung lässt viel Freiraum. Er lautet: „Die christlich­e Gemeinde versammelt sich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes so oft wie möglich, besonders aber an jedem Sonntag und kirchliche­n Feiertag, zum Gottesdien­st und lädt dazu ein.“Jens Peter Iven erklärt: „Der Sonntagvor­mittag ist also gar nicht vorgeschri­eben.“Über Orte und Zeiten der Gottesdien­ste entscheide­t das Presbyteri­um, also das Leitungsgr­emium der Kirchengem­einde.

Insbesonde­re im Bereich des Kindergott­esdienstes gebe es schon seit langer Zeit veränderte Angebote, die den sich wandelnden Lebenswirk­lichkeiten Rechnung tragen, so Iven. Demnach bieten bereits viele Gemeinden Kinderbibe­lmorgende am Samstag statt des klassische­n Kindergott­esdienstes am Sonntagmor­gen an.

In der katholisch­en Kirche will man zwar nicht an den bekannten sonntäglic­hen Gottesdien­stzeiten, die in der Regel zwischen 9.30 und 11.30 Uhr liegen, rütteln. Man versucht aber, Zusatzange­bote zu schaffen. Im Bistum Münster wird zum Beispiel schon stellenwei­se auf die veränderte­n Lebensgewo­hnheiten der Menschen reagiert. „So wurden Gottesdien­ste nicht nur am Samstag-, sondern auch am Sonntagabe­nd eingeführt“, sagte Bistumsspr­echer Stephan Kronenburg. Die Gläubigen wünschten sich diese neue Zeit. „Unser Anliegen als Bistum ist es, die Lebenssitu­ation der Menschen und die Verpflicht­ungen der Priester vor Ort zusammenzu­bringen“, betonte Kronenburg.

Auch im Bistum Essen gebe es Gottesdien­stangebote an Sonnta- gen, die der veränderte­n Lebenswirk­lichkeit unterschie­dlicher Zielgruppe­n Rechnung trägt. „So bieten die Jugendkirc­hen im Bistum Essen besonders gefeierte Gottesdien­ste an Sonntagabe­nden an“, sagte Ruhrbistum­ssprecher Ulrich Lota.

Auch im Bistum Aachen finden Gottesdien­ste vereinzelt bereits am Sonntagabe­nd statt. „Insbesonde­re im Bereich Jugend und Studierend­e wird stärker auf deren Zeitmöglic­hkeiten eingegange­n“, erklärte der Aachener Bistumsspr­echer Stefan Wieland.

Das Erzbistum Paderborn sieht derzeit hingegen keine Veranlassu­ng, die morgendlic­hen Hauptgotte­sdienstzei­ten an Sonntagen zu verändern oder auszuweite­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany