Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Evangelische Kirche will Gläubige ausschlafen lassen
DÜSSELDORF Die Präses der westfälischen Landeskirche, Annette Kurschus, erwägt, die Gottesdienste am Sonntagmorgen zu verlegen. Sie könne sich auch Predigten am Sonntagnachmittag oder -abend vorstellen, weil sich immer mehr Christen von den Kirchen abwendeten, sagte Kurschus. „Die Lebenswirklichkeit von Familien ist eine andere geworden“, sagte sie.
„Die Abkehr vom Sonntagmorgen würde mir aber nicht leichtfallen“, sagte sie weiter. Wichtig sei ein regelmäßiges und zuverlässiges Angebot am Sonntag, um weiter präsent zu sein. Bei der evangelischen Kirche im Rheinland spricht man sich weder für noch gegen den westfälischen Vorschlag aus. „Eine flächendeckende Diskussion dieser Frage gibt es bei uns nicht, aber natürlich Gemeinden, die aufgrund veränderter Familienwirklichkeit schon seit Jahren immer wieder alternative Formen und Zeiten erproben“, sagte der Sprecher der evangelischen Kirche im Rheinland, Jens Peter Iven.
Die Verlegung des Gottesdiensts ist rechtlich kein Problem. Artikel 71 der evangelischen Kirchenordnung lässt viel Freiraum. Er lautet: „Die christliche Gemeinde versammelt sich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes so oft wie möglich, besonders aber an jedem Sonntag und kirchlichen Feiertag, zum Gottesdienst und lädt dazu ein.“Jens Peter Iven erklärt: „Der Sonntagvormittag ist also gar nicht vorgeschrieben.“Über Orte und Zeiten der Gottesdienste entscheidet das Presbyterium, also das Leitungsgremium der Kirchengemeinde.
Insbesondere im Bereich des Kindergottesdienstes gebe es schon seit langer Zeit veränderte Angebote, die den sich wandelnden Lebenswirklichkeiten Rechnung tragen, so Iven. Demnach bieten bereits viele Gemeinden Kinderbibelmorgende am Samstag statt des klassischen Kindergottesdienstes am Sonntagmorgen an.
In der katholischen Kirche will man zwar nicht an den bekannten sonntäglichen Gottesdienstzeiten, die in der Regel zwischen 9.30 und 11.30 Uhr liegen, rütteln. Man versucht aber, Zusatzangebote zu schaffen. Im Bistum Münster wird zum Beispiel schon stellenweise auf die veränderten Lebensgewohnheiten der Menschen reagiert. „So wurden Gottesdienste nicht nur am Samstag-, sondern auch am Sonntagabend eingeführt“, sagte Bistumssprecher Stephan Kronenburg. Die Gläubigen wünschten sich diese neue Zeit. „Unser Anliegen als Bistum ist es, die Lebenssituation der Menschen und die Verpflichtungen der Priester vor Ort zusammenzubringen“, betonte Kronenburg.
Auch im Bistum Essen gebe es Gottesdienstangebote an Sonnta- gen, die der veränderten Lebenswirklichkeit unterschiedlicher Zielgruppen Rechnung trägt. „So bieten die Jugendkirchen im Bistum Essen besonders gefeierte Gottesdienste an Sonntagabenden an“, sagte Ruhrbistumssprecher Ulrich Lota.
Auch im Bistum Aachen finden Gottesdienste vereinzelt bereits am Sonntagabend statt. „Insbesondere im Bereich Jugend und Studierende wird stärker auf deren Zeitmöglichkeiten eingegangen“, erklärte der Aachener Bistumssprecher Stefan Wieland.
Das Erzbistum Paderborn sieht derzeit hingegen keine Veranlassung, die morgendlichen Hauptgottesdienstzeiten an Sonntagen zu verändern oder auszuweiten.