Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Mensch Kramer
Frank Kramer wird neuer Trainer von Zweitligist Fortuna Düsseldorf. Was für ein Typ ist er? Spurensuche in seiner Heimat Fürth.
FÜRTH Heinz Beiersdorfer geht rüber zu seinem Laptop. Er klickt sich durch ein paar Ordner. Es ist so, als blättere er ein altes Fotoalbum durch. Zwischendurch sagt er immer wieder diesen Satz: „Hier ist es, einen Augenblick, ich hab’s gleich.“Beiersdorfer, 61, ist Direktor am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Oberasbach, Landkreis Fürth. „Gar nicht so leicht, hier den Überblick zu behalten“, sagt er. „120 Kollegen, 1500 Schüler. Da kommt schon einiges zusammen.“
Zu den prominentesten Ehemaligen gehöre sein Cousin zweiten Grades. „Den kennen Sie bestimmt!“Er genießt diesen kurzen Augenblick. Wen? Man sieht ihm an, wie er sich freut, diese Geschichte erzählen zu können. „Dietmar Beiersdorfer, Hamburger Sportverein! Der ist hier zur Schule gegangen. Wissen Sie, was das Verrückte ist? Ich habe den Didi noch nie persönlich kennengelernt.“
Zurück zum Laptop. Datei gefunden. Der Drucker spuckt ein paar Seiten aus. Beiersdorfer hat nun alles zusammen, um über einen Menschen zu sprechen, der bei ihm nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. „Frank Kramer, das war ein Besonderer“, sagt er. „Der hatte eine unglaubliche Power. Absolut zuverlässig, hat sich über sein normales Soll eingebracht. Ein Projekt, bei dem er sich besonders engagiert hat, war Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Du hast gemerkt, ihm bedeutet das was, er will etwas bewegen.“Über seine Fächer hinaus habe er sich für die Werteerziehung eingesetzt.
Vom 16. Februar 2004 bis 2008 ist Kramer Lehrer für Sport und Englisch in Oberasbach. Man habe gemerkt, in diesem Kerl steckt enorm viel Potenzial, sagt Beiersdorfer: „Ein Arbeitstier, ein Workaholic.“Ein Streber? Im Laufe der Recherche zur Person Frank Kramer fällt immer wieder dieses Wort. „Für mich ist er kein Streber“, beteuert Beiersdorfer. „Er ist eben bereit, mehr zu machen als normal.“
Das ist auch anderen aufgefallen. Von 2008 an hat er drei Jahre an der Universität Erlangen am Institut für Sportwissenschaft und Sport gearbeitet. In der offiziellen Abordnung heißt es: Kramer werde für besondere Aufgaben eingesetzt, zur Verbesserung der Lehre an der Uni. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, erzählt Beiersdorfer, sei ihm klar geworden, dass der Mann, der ab der kommenden Saison Cheftrainer bei FußballZweitligist Fortuna Düsseldorf sein wird, seinen Weg außerhalb der Schule gehen werde.
Wer ist dieser Frank Kramer? Er selbst hat sich ein Schweigegelübde auferlegt. Bis zum Ende dieser Saison will er nichts mehr zu seinem Engagement sagen. „Ich mache einen Schritt nach dem anderen. Jetzt planen wir erst einmal den neuen Kader. Ich weiß, dass die Erwartungshaltung hier hoch ist, dem müssen wir uns stellen“, hat er bei seiner Vorstellung gesagt.
Einen Vorgeschmack hat er vor ein paar Tagen bekommen. Nach der Entlassung von Sportvorstand Helmut Schulte ist Kramer nach Düsseldorf geeilt, um etwas früher als geplant nicht nur seine Ideen und Wünsche zu hinterlegen, sondern auch konkret darüber zu beratschlagen, wie er sie umsetzen kann. Aus seinem Umfeld heißt es, Kramer habe gleich anklingen lassen, nicht in Doppelfunktion arbeiten zu wollen. Er habe sehr deutlich gemacht, dass er zeitnah einen Manager an seiner Seite brauche.
Kramer ist irgendwie ins Trainerdasein reingerutscht. Er war ein durchschnittlicher Fußballer. „Frank war sehr ehrgeizig, wollte immer gewinnen. Aber er war einen Tick zu langsam auf der Sechser-Position und zu klein“, erinnert sich Dieter Nüssing, Sportlicher Leiter der U23 beim 1. FC Nürnberg und früher Kramers Trainer beim „Club“und beim SC Feucht. Eine Einschätzung, mit der Kramer, geboren in Memmingen, im Interview mit dem „Kicker“gut leben kann: „Ich war ein ordentlicher Fußballer, ein Balleroberer, keiner für besondere Momente. Ich habe es zu Recht nicht geschafft.“Er ist durch die Amateurklassen Süddeutschlands getingelt, um sich sein Studium zu finanzieren. Immerhin schaffte er es bis zu den Amateuren des FC Bayern.
Seine Trainerkarriere beginnt in der Saison 2003/2004. Erst als Spielertrainer, später allein verantwortlich. U19, dann U23. Er ist ambitioniert, aber Trainer sein ist nur ein besserer Nebenjob. Sein Haupterwerb ist zuerst die Schule, später die Arbeit an der Uni. Doch dann ändert sich alles. 2011 wechselt er zur U23 von Hoffenheim, für zwei Wochen trägt er nach der Entlassung von Markus Babbel die Verantwortung bei den Profis. „Kramer ist keiner dieser gewöhnlichen Typen in einer Branche, in der viele alles besser wissen“, sagt ein Wegbegleiter aus der Zeit im Kraichgau.
Es ist die Zeit, als Kramer sich zum ersten Mal aus seiner WohlfühlOase wagt. Es ist ein kalkulierter Schritt. Mit seinem Wechsel nach Hoffenheim hat er sich für zunächst drei Jahre vom Schuldienst beurlauben lassen. Das war immer die Hintertür. Der Notfallplan. Funktionieren seine Ideen im Profigeschäft nicht, geht er zurück an die Schule. 20 Kilometer von Oberasbach entfernt, in Tuchenbach, hat Kramer vor Jahren ein Haus gebaut. Es sollte das sichere Nest für seine Familie sein, für seine Frau, die Tochter (8) und seinen Sohn (7). Erstmal die Familie absichern.
Es ist schnell klar, dass Kramer in der Fußballbranche Fuß fassen wird. 2013 ist er Jahrgangsbester bei der DFB-Trainerausbildung. Und da ist wieder dieses Wort: Streber! Thomas Meggle, einer seiner Kommilitonen, hat ihn so genannt. Als das Fußball-Magazin „11 Freunde“Kramer darauf anspricht, antwortet er: „Da der Begriff negativ besetzt ist: nein. Wer will schon gern ein Stre-
Heinz Beiersdorfer Schulleiter in Oberasbach ber sein? Ich erkläre mir Thomas’ Aussage so, dass der eine oder andere Kollege vielleicht dachte ,Ach, der Frank hat ein abgeschlossenes Studium und hat als Trainer Erfahrungen in der U19 und U23 in den Nachwuchsleistungszentren in Fürth und Hoffenheim gesammelt.’ Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die meisten meiner Kollegen im Gegensatz zu mir in der Bundesliga gespielt und dabei einen riesigen Erfahrungsschatz gesammelt haben.“Aus dem Umfeld von Kramer heißt es, ihn ärgere die Sache mit dem Streber. Er könne nicht verstehen, warum man sich rechtfertigen sollte, wenn man ehrgeizig, wissbegierig und erfolgsorientiert sei. Was soll daran falsch sein?
Fürth. Im März 2013 wird er Cheftrainer der Spielvereinigung. Er übernimmt den Klub auf dem letzten Tabellenplatz und führt ihn in der darauffolgenden Saison auf den Relegationsplatz. Den Aufstieg verpasst er, der HSV setzt sich durch. Doch Kramer hat seinen Stil allen gezeigt. Schnelles Umschaltspiel, aggressives Gegenpressing, Kurzpässe. Nicht die Anzahl großer Namen bestimmt eine Taktik, sondern die Einstellung.
Martin Schano hat Kramer als Reporter bei den „Fürther Nachrichten“intensiv beobachtet. „Ein total bodenständiger Typ. Er nimmt sich null wichtig“, sagt Schano, 36. „Bei Kramer geht es immer um Fußball, Fußball, Fußball.“In einem Trainingslager in Österreich im Mühlviertel an der Donau war Kramer nach den Trainingseinheiten immer schnell auf seinem Zimmer verschwunden. Auf Nachfrage der Journalisten, warum er sich so zurückziehe, präsentierte er den Inhalt seines Rucksacks: Lehrbücher über Taktikdiskussionen.
Einer wie Kramer kann in dieser Branche falsch verstanden werden. Typen bekommen Stempel aufgedrückt. Wer unfallfrei drei Sätze sagen kann, dem droht das Etikett Professor. Wer nicht billige Polemik anstimmt, dem wird nachgesagt, er könne nicht emotionalisieren. Letzteres war am Ende seiner Dienstzeit in Fürth der härteste Vorwurf gegen ihn. Der Analytiker Kramer sei zu distanziert. Kramer hat sich auf seine Weise eingebracht. An der „Uni für Arme“, einem Sozialprojekt, hat er den Vortrag „Volltreffer und Rote Karte“gehalten.
Nach seiner Beurlaubung im vergangenen Februar in Fürth ist er durch seinen Vorgänger Mike Büskens ersetzt worden, einen engen Vertrauten, der ziemlich glücklos auch einmal bei der Fortuna als Trainer gearbeitet hat. Büskens ist so etwas wie der Anti-Kramer. Einer, der sich vor allem über die Emotionen definiert. In Fürth trauern sie mittlerweile Kramer hinterher. Dem Verein droht der Absturz in die Drittklassigkeit.
Mit Fortuna Düsseldorf kann es für Kramer nur ein Ziel geben: Bundesliga. Er hat einen Kontrakt bis 2017 unterschrieben. Dem Vernehmen nach soll er dafür jährlich rund 400000 Euro überwiesen bekommen, plus Prämie beim Aufstieg. Düsseldorf ist sein endgültiger Schritt zum professionellen Fußball-Lehrer. Durch die Laufzeit am Rhein ist eine Rückkehr in den Beamtenstatus nicht mehr möglich. Kramer wird sich das Risiko ausgerechnet und sich abgesichert haben. Kramer ist keineswegs ein Streber. Er ist Realist. Einer, der Düsseldorf guttun kann, wenn man ihn lässt, wie er ist.
Mensch Kramer.