Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Wir melden uns vom Abgrund“
1999: Die legendäre Radio-Reportage von Günther Koch beim Abstieg des 1. FC Nürnberg und die unglaubliche Rettung der Frankfurter Eintracht.
NÜRNBERG Friedel Rausch wird von bösen Ahnungen geplagt. Unruhig wie ein Tiger im Käfig läuft der Trainer des 1. FC Nürnberg an der Seitenlinie auf und ab. Dabei besteht eigentlich kein Anlass zur Sorge. Seine Mannschaft kann zwar theoretisch noch zum dritten Absteiger werden (die Relegation gibt es damals nicht), aber dafür müssen sich schon alle fußballerischen Schicksalsmächte gegen den „Club“verbünden an diesem sonnigen letzten Spieltag Ende Mai 1999. Die bösen Ahnungen des Trainers Rausch trü- gen nicht. Fünf Minuten vor Schluss wähnt sich sein Team durch den Anschlusstreffer zum 1:2 gegen den SC Freiburg endgültig auf der sicheren Seite. Der Abstiegskampf, an dem die Hälfte der Bundesliga beteiligt war, ist scheinbar entschieden.
Noch unmittelbar nach dem Schlusspfiff wollen die Ersten auf die Rettung mit Sekt anstoßen. Sie wissen nicht, wie die Spiele auf den anderen Plätzen ausgegangen sind. Was sie sich nicht vorstellen können, geschieht in Frankfurt. Die Eintracht zieht durch einen Treffer von Jan-Age Fjörtoft zum 5:1 über Kaiserslautern in letzter Sekunde den Kopf aus der Schlinge. In Frankfurt ist Karneval, in Nürnberg bricht die Welt zusammen.
Auch für den Radioreporter Günther Koch. Seine leidenschaftlichen Reportagen über „die Clubberer“haben den Deutsch- und Englischlehrer berühmt gemacht, sein Bericht in der Schaltkonferenz der ARD macht ihn zur Legende. Als Nürnbergs Niederlage nach einer an Dramatik auf den vielen Schauplätzen schwer zu überbietenden Schlussphase feststeht, meldet sich Koch „vom Abgrund. Nürnberg 1:2. So wie Bayern wegen des linken Torpfostens in Barcelona verloren hat, steigt der Club ab, wenn er absteigt, wegen des linken Torpfostens vor der Nordkurve. Nikl drosch den Ball an den Pfosten. Er war nicht zu erreichen. Torhüter Golz flog durch die Luft. Der Ball klatscht vom Pfosten zurück und ging nicht ins Tor, sondern vor die Füße von Frank Baumann. Frank Baumann bringt dann aus sechs Metern den Ball nicht im Tor unter, und so steht es nach wie vor nur 1:2. Der Club ist im Moment abgestiegen. Denn das Spiel hier ist aus. Ade, liebe Freunde. es ist nicht zu fassen, was der Club seinen Fans, was er seinen Anhängern und was er seinem treuen Publikum zumutet. Der Club verliert mit 1:2, und er hat wenig Haltung bewiesen. Erst in der Schlussminute, in den Schlussminuten, hat er gekämpft. Liebe Clubberer, es tut mir leid. Das musste nicht sein. Das musste nicht sein.“
In Frankfurt haben die Fans einen Helden für die Vereinsannalen. Dem Norweger Fjörtoft gelingt der entscheidende Treffer nämlich nach einem Übersteiger der ganz lässigen Art. Er krönt eine 20 Minuten dauernde Show. In der 70. Minute stand es nämlich noch 1:1.
Die letzte Hoffnung der Nürnberger heißt Bochum. Der VfL ist als Ta- bellen-17. vor dem letzten Spieltag abgestiegen, er könnte mit dem 3:3Ausgleich gegen Rostock die Hansa in den Abgrund stoßen. Das letzte Wort der Konferenz hat Manni Breuckmann vom WDR: „Ein Steilpass, aber es ist der Steilpass ins Nirgendwo, ins Nirwana, und da ist nur Torhüter Piekenhagen. Und der geht jetzt gaaanz langsam, mit dem Ball am Fuß durch den Strafraum und wartet, dass diese quälenden Sekunden zu Ende gehen. Da ist es vorbei. Hansa Rostock hat mit 3:2 gewonnen.“Koch meldet sich nicht mehr.
Morgen: Die Rekordabsteiger