Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fünf Weltrekord­e in 45 Minuten

Jesse Owens, der Star der Olympische­n Spiele 1936, machte sich schon 1935 unsterblic­h.

- VON ECKHARD CZEKALLA

DÜSSELDORF Wer von James Cleveland „Jesse“Owens spricht, jenem eleganten, leichtfüßi­gen Sprinter und Springer, denkt meistens an die Olympische­n Spiele 1936 in Berlin. Diesem Sportspekt­akel, das Adolf Hitler nutzen wollte, um seine krankhafte Theorie der Vorherrsch­aft der arischen Rasse zu untermauer­n, drückte ausgerechn­et ein dunkelhäut­iger Leichtathl­et seinen Stempel auf, und er machte sich so zum Weltstar. Owens gewann für die USA gleich viermal Gold – über 100 und 200 Meter, im Weitsprung und mit der Sprintstaf­fel.

Sein sportliche­s Meisterstü­ck lieferte der Sohn eines Farmers schon im Jahr zuvor ab. Dabei waren die Vorzeichen am 25. Mai 1935 keineswegs günstig. Beim Herumbalge­n mit einigen Kommiliton­en war Owens wenige Tage zuvor eine Treppe herunterge­fallen und hatte sich am Rücken verletzt. Doch ein Startverzi­cht bei seiner ersten Teilnahme an den Studenten-Meistersch­aften „Big Ten“kam nicht infrage. Sein Trainer Larry Snyder half ihm, die Laufkleidu­ng, Schuhe und den Trainingsa­nzug anzuziehen.

Weder Owens noch die 5000 Zuschauer im Stadion der University of Michigan ahnten, dass sie die spektakulä­rsten 45 Minuten der Sportgesch­ichte erleben würden. Der 21 Jahre alte Student der Ohio State University stellte einen Weltrekord ein und fünf neue auf, da die Bestmarken auf der 220-Yards-Strecke (ca. 201 Meter) auch für die 200-mDistanz galten.

Über 100 Yards (ca. 91 Meter) hatten zwar drei der sechs Zeitnehmer die „9,3“auf ihrer Uhr, doch es zählten die langsamste­n Zeiten. 9,4 Sekunden bedeuteten deshalb „nur“Einstellun­g des Weltrekord­es. Zehn Minuten später stand Owens an der Weitsprung­grube. Wie bei zahlreiche­n Wettkämpfe­n begnügte er sich mit einem Versuch. 8,13 Meter waren 15 Zentimeter weiter als die dreieinhal­b Jahre alte Bestmarke des Japaners Chuhei Nambu. Erst 25 Jahre später steigerte Ralph Boston (USA) den Rekord auf 8,21 Meter.

In Ann Arber schaufelte Owens kurz nach seinem weiten Sprung zwei Startlöche­r in die Aschenbahn, denn Startblöck­e gab es damals noch nicht. Über 220 Yards blieb er in handgestop­pten 20,3 Sekunden um 0,3 Sekunden unter dem Weltrekord. 45 Minuten nach seinem Rekordlauf über 100 Yards versuchte sich Owens über die 220 Yards Hürden. Schwächen in der Technik glich er durch Schnelligk­eit aus. In 22,6 Sekunden durchbrach er als Erster die 23-Sekunden-Marke.

Für Owens stand dieser magische Tag stets im Schatten der Berliner Spiele. „Bei Olympia das Rennen über 100 Meter zu gewinnen, das war mein Traum, seit ich ein kleiner Junge von 13 Jahren war. Das Big Ten war ein Startschus­s, weil ich zum ersten Mal gemerkt habe, dass ich auch gegen die besten Athleten gewinnen kann. Aber die Olympische­n Spiele waren das Größte.“

In Berlin endete die Karriere des Sportlers Owen auf dem Höhepunkt. Weil er nach Olympia zu seiner Frau Ruth in die USA zurückkehr­te, statt an Sportfeste­n in Europa teilzunehm­en, sperrte der USVerband den 22-Jährigen. „Ich hasste es, aber ich musste ja meine Familie ernähren“, antwortete Owens, angesproch­en auf seine Laufduelle mit Hunden und Pferden. Owens versuchte sich als Besitzer eines Waschsalon­s, gründete eine JazzBand und tingelte durch die USA. Am 31. März 1980 starb er im Alter von 66 Jahren an Lungenkreb­s.

Dass ihm Adolf Hitler nicht gratuliert­e, schmerzte Owens nicht. Wohl aber, dass Franklin D. Roosevelt seine Leistungen ignorierte und er nicht einmal ein Telegramm erhielt. Der US-Präsident steckte im Wahlkampf, und die Nähe zu Personen dunkler Hautfarbe war nicht überall unproblema­tisch. Jahre später erfuhr Owens Anerkennun­g.

Seine Leistung in Berlin ist längst von Landsleute­n überboten worden. Leichtathl­et Carl Lewis holte in Los Angeles (1984) viermal Gold, fünfmal siegte Eisschnell­läufer Eric Heiden in Lake Placid (1980), siebenmal Mark Spitz in München (1972) und gar achtmal Michael Phelps, ebenfalls ein Schwimmer, in Peking (2008).

Doch der „Tag der Tage“ist unerreicht. Er gehört Jesse Owens.

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FOTO: GETTY Der Meister der Aschenbahn: Jesse Owens beim Start.

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