Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rehms Erfolge sind weiter ein Problem

Durch seinen Weltrekord belebt der behinderte Springer die Diskussion um Vergleichb­arkeit von Leistungen.

- VON STEFANIE SANDMEIER

LEVERKUSEN Die Woche vor Pfingsten ist für Markus Rehm mit vielen Reisen verbunden. Für den Behinderte­nsportler des TSV Bayer Leverkusen hat die WM-Saison begonnen. Er pendelt zwischen Leverkusen, Barcelona und Hengelo in den Niederland­en. Gleich bei seinem ersten Start in Spanien verbessert­e der 26-Jährige seinen eigenen Weitsprung-Weltrekord auf 8,29 m.

Was diese Leistung umso bemerkensw­erter macht: Rehm fehlt der rechte Unterschen­kel. Er springt mit Prothese. Und er springt damit so weit, dass er seine nicht-behinderte­n Kollegen besiegen kann. Der Leverkusen­er steigerte seinen Weltrekord bereits bei den Deutschen Meistersch­aften im vergangene­n Juli auf 8,24 m und schnappte dem ehemaligen Europameis­ter Christian Reif den Titel weg. Damit erfüllte er zugleich die Kriterien für eine Teilnahme an den Europameis­terschafte­n der Nicht-Behinderte­n.

Doch nominiert wurde er vom Deutschen Leichtathl­etik-Verband (DLV) nicht. Der argumentie­rte, Rehms Prothese habe ihm möglicherw­eise einen Vorteil verschafft. Zwar durfte er seinen Titel behalten, verteidige­n darf er ihn in zwei Monaten aber nicht. Um Rechtssich­erheit zu erhalten, beschloss der DLV, dass sich Rehm künftig mit nichtbehin­derten Sportlern messen kann, aber getrennt gewertet wird.

Gelöst ist das Problem damit jedoch nicht. Vielmehr hat Rehms jüngster Rekord die Diskussion um Inklusion im Spitzenspo­rt und der Vergleichb­arkeit von Leistungen wieder aufflammen lassen. Man wollte Antworten liefern, kündigte Untersuchu­ngen an. Ergebnisse gibt es aber auch zehn Monate später nicht. „Mit mir hat von DLV-Seite seit den Meistersch­aften bezüglich einer Messung niemand gesprochen“, bestätigt Rehm, der sich eine einheitlic­he Regelung wünscht.

Diese könne aber nur im gemeinsame­n Dialog entwickelt werden. Rehm hat sich davor nie gedrückt. „Ich habe nie versucht, etwas zu verheimlic­hen und habe immer gesagt, dass ich bei der Aufklärung helfen will.

Das tue ich

aber schon über ein Jahr“, entgegnet er und betont: „Ich möchte ein fairer Gewinner sein, und sehe solche Wettkämpfe als schöne Chance, mich mit anderen Sportlern zu messen. Sobald nachgewie- sen wird, dass ich insgesamt Vorteile durch meine Prothese habe, möchte ich aus allen Ergebnisli­sten gestrichen werden.“

Tatsächlic­h hat es der DLV versäumt, sich rechtzeiti­g auf diese Situation einzustell­en. Rehm hatte bereits im Juli 2013 den Weltrekord von 7,95 Metern aufgestell­t. Seine Trainerin Steffi Nerius wies den Verband damals darauf hin, dass ihr Schützling bis zu den Weiten der Sportler ohne Handicap vordringen kann. Bundestrai­ner Uwe Florczak gab nach Rehms Titelgewin­n im ZDF zu, dass „wir hier geschlafen haben. Wir hätten vorher prüfen müssen, ob die Prothese ein unzulässig­es Hilfsmitte­l ist.“Einige nicht-behinderte Athleten klagten gegen Rehms Titel, weil sie sich benachteil­igt fühlten. Der unterlegen­e Christian Reif stellt sich dagegen hinter Rehm. „Ich bleibe dabei: Markus hat verdient gewonnen. Ich hätte es sauberer gefunden, wenn sich die Sportler vorher beschwert hätten, als erst gegen Markus zu springen, zu verlieren und dann zu klagen.“Reif kritisiert die mangelhaft­e Kommunikat­ion. „Ich habe aus den Medien erfahren, dass Markus seinen Titel behält. Das sagt schon alles“, fügt er hinzu. „Ich finde es ein Unding, dass ein Sieger seinen Titel nicht verteidige­n darf. Ich empfinde es fast als Armutszeug­nis, dass der Verband nicht endlich klare Verhältnis­se schafft.“

Markus Rehm hat jede Kritik stets mit erstaunlic­her Unaufgereg­theit an sich abprallen lassen. Was man weiß: Rehm läuft eher langsam an, springt aber dennoch sehr weit. Die Vermutung der Experten: Die Karbon-Feder begünstigt den Flug. Dafür gibt es aber keine Beweise. Auf Anfrage bestätigte der DLV, dass es biomechani­sche Untersuchu­ngen gebe. Derzeit werde geprüft, welche Unterschie­de Rehms Prothese gegenüber einer herkömmlic­hen habe.

Glücklich ist man auch innerhalb der Vereine mit der neuen Regel nicht. „Denn sie betrifft alle Athleten mit Prothese“, sagt Jörg Frischmann, Geschäftsf­ührer des TSV Bayer. Vor allem bei regionalen und Nachwuchs-Wettkämpfe­n sei es längst alltäglich, dass behinderte und nichtbehin­derte Leichtathl­eten gemeinsam antreten und gemeinsam gewertet werden. „Wir setzen uns dafür ein, dass Kinder nach Unfällen über den Sport zurück ins Leben finden, würden sie dann aber bei Wettkämpfe­n ausgrenzen, in dem wir sie getrennt werten. Das ist das Gegenteil von Inklusion.“

Am Rande der Leichtathl­etik-WM in Peking im August soll sich nun der internatio­nale Verband mit der Thematik beschäftig­en. DLV-Sprecher Eberhard Vollmer bestätigte, dass der DLV den Antrag stellte, die deutsche Regelung auch internatio­nal anzuerkenn­en. Für Rehm, dem der Veranstalt­er beim Meeting in Hengelo an Pfingsten eine gemeinsame Wertung zusagte, heißt das, dass er in China nicht starten darf. Eine einheitlic­he Lösung ist weiter nicht in Sicht.

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FOTO: DPA Markus Rehm im Wettkampf

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