Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Als wir jung waren
Vor 30 Jahren kam das Jugend-Porträt „The Breakfast Club“ins Kino. Der Film von John Hughes hat bis heute nichts an Zauber verloren.
DÜSSELDORF Der Film läuft erst seit ein paar Minuten, als John, der hier den Typus des Rebellen verkörpert, einen Disput mit seinem Lehrer hat. Wenn er weiter Widerworte gebe, droht der Lehrer, werde John auch nächste Woche nachsitzen müssen und die Woche darauf ebenfalls. Aber John gibt weiter Widerworte, immer wieder, und irgendwann fragt Claire, das Mädchen aus gutem Hause, warum er nicht einfach damit aufhöre. John schaut sie an, seine Augen sind in Großaufnahme zu sehen, es flackert darin, und da ahnt man, worum es ihm geht: die Zeit zu dehnen, die Gegenwart auszuweiten, die Jugend zu verlängern und das Jetzt ins Morgen zu retten. „Ich könnte Sie Ihr Leben lang nachsitzen lassen. Wollen Sie das?“, keift der Lehrer. Und John antwortet: „Ja.“
Vor 30 Jahren kam dieser Film ins Kino, er heißt „The Breakfast Club“, und gedreht hat ihn John Hughes. Der Regisseur hatte wie kaum ein anderer ein Gespür für das, was Menschen beschäftigt, die 16 sind oder 17, und auf diesen Film folgten weitere Hughes-Produktionen, die heute als Klassiker gelten: „Pretty In Pink“, „Ferris macht blau“, „Lisa – der helle Wahnsinn“, „Ist sie nicht wunderbar?“. Hughes drehte gerne mit denselben Schauspielern, als „Brat Pack“wurden sie tituliert, als „Gören-Clique“also – in Anlehnung ans legendäre Rat Pack der 60er Jahre mit Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin. Dazu gehörten Emilio Estevez, Anthony Michael Hall, Andrew McCarthy, Ally Sheedy und allen voran Molly Ringwald. Ringwald war das Alter Ego von Hughes, in „Sixteen Candles“und „Pretty In Pink“trägt sie sogar Jungennamen, was die These noch verstärkt, dass hier eine Schauspielerin der Avatar des Regisseurs ist. Man kennt das von Jean-Luc Godard und Anna Karina und – mit männlichem Darsteller – von Francois Truffaut und Jean-Pierre Léaud.
„The Breakfast Club“handelt von fünf Jugendlichen, die einen Samstag in der Schule verbringen müssen. Sie sitzen acht Stunden in der Bibliothek nach, sie dürfen den Raum nicht verlassen – der Lesesaal als Druckkammer. Sie kommen miteinander ins Gespräch, jede Selbstauskunft gerät zum Geständnis. Sie reden ernst miteinander, es gibt bei Hughes keine Ironie, noch das Kleinste ist wichtig. Diese Figuren sind Archetypen, Platzhalter: Streber, Außenseiterin, Sportskanone. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit rücken sie zusammen an diesem Tag, denn sie merken, dass es kein stärkeres Band gibt, als gemeinsam etwas zu fürchten. In ihrem Fall die Zukunft, die so weit offen steht wie ein brüllender Schlund.
Wenn man sich den Film drei Jahrzehnte nach seiner Entstehung noch einmal ansieht, staunt man darüber, wie treffend Hughes ins Bild setzt, was Jungsein bedeutet; mit wie viel Übermut und Zartheit zugleich. Das Leben ist bei ihm etwas, das man im Bauch spürt, es rötet die Wangen. 16 ist ein Alter, in dem man nicht mehr so richtig Kind ist, aber auch noch nicht erwachsen, man hadert mit daheim und misstraut dem Draußen. Fremdsein bedeutet, keine Lücke zu hinterlassen, wenn man geht. Die Jugendlichen bei Hughes würden aber gern eine Lücke hinterlassen.
Sie rebellieren, doch das bedeutet nicht, dass sie das System zerhauen oder die Gesellschaft fliehen möchten. Sie sehnen sich im Gegenteil danach, ihren Platz zu finden, einen Ort, an dem sie sie selbst sein können, sogar wenn sie abwegige Musik hören, schrille Klamotten tragen oder arbeitslose Eltern haben. Sie hoffen auf Akzeptanz, wollen aber keine Kompromisse machen, bei denen sie sich selbst abhandenkommen würden. Jugend ist Sehnsucht, Wünschen und Warten, und wahrscheinlich unterlegte Hughes seine Filme deshalb so gerne mit flehentlichen Liedern, mit „Please, Let Me Get What I Want“von den Smiths oder „Don’t You (Forget About Me)“von den Simple Minds.
Vielleicht könnte man sagen, John Hughes war der Peter Pan Hollywoods, und seine Filme waren Neverland. Was nicht heißt, dass er nicht knallhart sein konnte. Wenn einer seiner Schauspieler nicht mehr mitmachen wollte, wurde er verstoßen. Molly Ringwald hat das in ihrem Nachruf auf Hughes in der „New York Times“beschrieben, nach „Pretty In Pink“1986 war sie für ihn gestorben. Das Eigenartige ist, dass keiner dieser Darsteller sich über die 80er Jahre hinaus etablieren konnte: Nach der Vertreibung aus dem Paradies blieben den meisten nur mehr Gastauftritte in Serien wie „CSI“.
John Hughes selbst schien wie Benjamin Button aus der Erzählung von F. Scott Fitzgerald gelebt zu haben: Er wurde immer jünger. In seinen letzten Filmen spielten Kinder die Hauptrollen, in „Kevin allein zu Haus“etwa, und obwohl sie exorbitant erfolgreich waren, zog sich Hughes Anfang der 90er Jahre überraschend aus Hollywood zurück und lebte fortan auf einer Farm in Illinois. Er wurde zum Phantom, ähnlich wie sein Idol J.D. Salinger, der Autor des „Fänger im Roggen“.
Dass seine Filme heute noch bewegen, dass sie frisch wirken und jung, liegt daran, dass darin ein be-
John Hughes war der Peter Pan Hollywoods, und seine Filme waren
das Neverland
sonderer Moment wie in Bernstein verschlossen ist. Es ist der allgemein und über alle Zeiten hinweg gültige Augenblick, da man sich seiner selbst bewusst wird, da man erkennt, dass es kein Zurück gibt. Es ist das Ende der Jugend. Dieser melancholische Moment prägt einen für das ganze Leben, denn daraus ergibt sich ein Großteil dessen, was man später Persönlichkeit nennt.
„Wenn du erwachsen wirst, stirbt dein Herz“, sagt Allison in „The Breakfast Club“. Am 6. August 2009 besuchte John Hughes New York. In Manhattan, an der Ecke 60 West 55th Street, brach er zusammen. Er war 59 Jahre alt, und sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.