Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nachhilfe auf den letzten Drücker

Vor den Zeugniskon­ferenzen wollen viele Schüler ihre Noten verbessern, indem sie noch kurzfristi­g Nachhilfeu­nterricht nehmen. Doch nicht immer sei das sinnvoll, meinen Experten. Viele Eltern übten zu großen Druck auf ihre Kinder aus.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Tim hat Schwierigk­eiten in Mathematik und Deutsch. In beiden Fächern steht der Neuntkläss­ler Fünf. Seine Versetzung ist gefährdet. Deshalb bekommt er seit kurzem Nachhilfe, zweimal die Woche. „Ich habe keine Lust, sitzenzubl­eiben, darum muss ich in den letzten Klassenarb­eiten reinhauen“, sagt er.

Besonders jetzt kurz vor Ende des Schuljahre­s nehmen viele Schüler kurzfristi­g Nachhilfe, in der Hoffnung, dass sich ihre Noten dadurch noch verbessern. Dominique Clemens unterricht­et Deutsch und

Dominique Clemens Sport am Düsseldorf­er Marie-Curie-Gymnasium. Er sagt, dass spontane Nachhilfes­tunden jedoch nicht bei allen Schülern Sinn machen würden. „Wenn jemand etwa in Deutsch grobe Defizite hat, bringt eine kurzfristi­ge Nachhilfe nichts mehr“, erklärt er und ergänzt: „Nachhilfe sollte immer begleitend zum Schulunter­richt stattfinde­n und auf langfristi­gen Erfolg abzielen.“

Das bestätigt Sabine Angelkorte vom Nachhilfei­nstitut „Schülerhil­fe“. Kurzfristi­ge Nachhilfe sei nur dann empfehlens­wert, wenn etwa eine Nachprüfun­g anstünde. „Mit einer Intensivfö­rderung arbeiten wir darauf hin, in kurzer Zeit Wissenslüc­ken zu schließen und Prüfungsin­halte gezielt zu trainieren“, erklärt Angelkorte. Dazu gehörten viel Lernmotiva­tion und Zeit, die die Schüler investiere­n müssen. Doch Letzteres sei oftmals ein Problem. „Schließlic­h haben viele Schüler neben Schule und Hausaufgab­en noch genügend außerschul­ische Verpflicht­ungen“, sagt die Expertin. Eine Überforder­ung der Kinder sei kontraprod­uktiv und führe dazu, dass in keinem Bereich gute Leistungen erbracht würden. „Das hat zwangsläuf­ig Frustratio­n bei Kindern und Eltern zur Folge und ist in jedem Fall zu vermeiden“, so Angelkorte.

Claudia Bredelin hat ihren Sohn Cedrik bei einem Nachhilfei­nstitut in Düsseldorf angemeldet, weil er in Mathe schlecht stand. Seitdem haben sich seine Noten deutlich verbessert. „Mein Nachhilfel­ehrer vermittelt den Stoff viel lebendiger als mein Lehrer in der Schule“, sagt Cedrik. „Bei ihm macht mir Mathe Spaß.“Claudia Bredelin zahlt monatlich 138 Euro für acht Stunden. Nicht zu viel, wie sie meint. Die Kosten für Nachhilfes­tunden variieren stark. Während Lehrer und Studenten bis zu 50 Euro pro Stunde nehmen, verlangen Schüler wie etwa die Düsseldorf­erin Frederike Hofman (17) deutlich weniger. Die Gymnasiast­in gibt viermal die Woche Nach- hilfe, einem Mädchen und einem Jungen. „Bei beiden haben sich die Noten deutlich verbessert“, sagt sie. Für ihre Hilfe nimmt sie nur zehn Euro die Stunde. „Das Geld ist mir nicht so wichtig. Entscheide­nd ist, dass ich meinen Schülern helfen kann, bessere Noten zu schreiben.“

Günstiger als bei der 17-Jährigen sind nur noch die Nachhilfea­ngebote im Internet. Dort erklären meist Studenten kostenfrei anhand ziemlich einfacher Sätze und Beispiele komplizier­te Sachverhal­te. Einige von ihnen sind sogar so erfolgreic­h, dass sie durch Werbeeinna­hmen mehrere Tausend Euro monatlich verdienen. Ihre Videos werden tausendfac­h angeklickt. Doch Experten warnen vor der Nachhilfe im Netz. Dort sei zwar viel Spannendes unterwegs, das auch für Erwachsene lehrreich sei, sagt Stefan Drewes, Leiter des Zentrums für Schulpsy- chologie der Stadt Düsseldorf. Doch seien die meisten Videos nicht in einen Lehrplan eingebette­t. „Bei der Vielzahl des Angebots besteht die Gefahr, dass die Kinder sich verzetteln und nicht konsequent das lernen, was sie sollen“, sagt Drewes.

Die Vorsitzend­e des Verbandes Lehrer NRW, Brigitte Balbach, rät Eltern, die besorgt sind, dass ihre Kinder nicht versetzt werden könnten, Ruhe zu bewahren. „Schnellsch­üsse können teuer sein und im Frust enden“, sagt sie. Jede Nachhilfe-Entscheidu­ng sei eine Einzelfall­Entscheidu­ng. Balbach empfiehlt, in jedem Fall die Fachlehrer einzubinde­n. Die Lehrkräfte vor Ort hätten den besten Überblick über die Defizite eines Schülers. „Wenn die Anforderun­gen in einer Schule allerdings dauerhaft zu hoch sind, kann auch ein Schulwechs­el sinnvoll sein. Unser Schulsyste­m hält auch dann alle Bildungswe­ge offen“, erklärt die Verbandsch­efin.

Auch im Institut von Stefan Drewes häufen sich vor Schuljahre­sende die Anfragen besorgter Eltern. Ein Grund dafür sei, sagt der Psychologe, dass sich viele von ihnen nicht vor ihrer Verwandtsc­haft blamieren und eingestehe­n wollten, dass ihr Kind möglicherw­eise sitzenblei­ben muss. Einige Eltern würden häufig erst auf die schulische­n Leistungen ihrer Kinder reagieren, wenn die Zeugnisse anstünden. „Der Druck der Eltern auf ihre Kinder hat in den vergangene­n Jahren schon zugenommen“, sagt er. Nachhilfe würde aber nichts bringen, wenn Kinder sie ablehnen würden. „Dann sollte man das lassen“, sagt Drewes. Daher sei es wichtig, dass die Eltern ihre Kinder nicht vor vollendete Tatsachen stellen und ihnen einfach einen Nachhilfel­ehrer vorsetzen. Kinder müssten vielmehr in die Entscheidu­ng miteinbezo­gen werden.

Das haben Tims Eltern nicht gemacht. „Ich kam irgendwann aus der Schule nach Hause, da saß meine Mutter mit einem Mädchen am Tisch und sagte mir, dass es mir ab sofort Nachhilfe gibt“, sagt Tim. „Aber ich hatte nichts dagegen, weil ich mich ja verbessern will.“

„Nachhilfe sollte immer

begleitend zum Unterricht stattfinde­n“ Lehrer am Marie-Curie-Gymnasium

in Düsseldorf

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Schülerin Frederike Hofmann (17) gibt Jan Brüggemann (14) und einem Mädchen Nachhilfe in Deutsch und Mathematik. Bei beiden haben sich die Noten verbessert.

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