Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kanzleramt spielt in BND-Affäre auf Zeit

Die Regierung fürchtet offenbar, dass angesichts wiederholt­er Veröffentl­ichungen von Geheimpapi­eren die Amerikaner die Nachrichte­ndienst-Zusammenar­beit mit Deutschlan­d einschränk­en. Die Opposition lehnt einen Sonderermi­ttler ab.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Das Profil steht: Anerkannt sollte er sein, und zwar auch bei der Opposition, unabhängig sowieso und auch mit Expertise – so beschreibe­n die Geheimdien­stexperten von Union und SPD, Nina Warken und Christian Flisek, im Gespräch mit unserer Zeitung den Sonderermi­ttler, der den Streit in der Koalition um die Herausgabe der geheimen Selektoren­liste beenden soll. Die Idee: Er untersucht im Auftrag des Bundestage­s, ob und wie umfangreic­h der US-Geheimdien­st mit Hilfe des BND europäisch­e Firmen, Politiker und Behörden ausspähen wollte. Doch das Kanzleramt lässt sich Zeit mit der Entscheidu­ng. Vor Pfingsten werde wohl nichts mehr draus, heißt es in Koalitions­kreisen.

Bei diesen Listen geht es um Zehntausen­de Selektoren, Mailund Computerad­ressen, Telefonnum­mern und Stichworte, mit deren Hilfe der BND auf Bitten der NSA abgefischt­e Kommunikat­ion mit Krisenländ­ern filtern sollte. Der BND hatte sie ausgesonde­rt, weil sie gegen deutsches und europäisch­es Recht verstoßen. Jetzt wollen sich die Geheimdien­stkontroll­eure im Bundestag selbst ein Bild von den möglichen Verstößen gegen die Vereinbaru­ngen machen. Mehr „Rückgrat“hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel gegenüber den USA verlangt und ebenfalls darauf bestanden, dass die Regierung die Listen rausrückt.

Doch in den USA herrscht dem Vernehmen nach helles Entsetzen darüber, dass viele als „geheim“eingestuft­e Unterlagen nach dem Eintreffen beim NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss oder beim Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium binnen Tagen oder sogar weniger Stunden in den Medien auftauchen. Aus Washington verdichten sich die Hinweise, dass die dortige Administra­tion als Folge daran denkt, die Kooperatio­n mit den deutschen Partnern deutlich zu reduzieren.

Das wiederum gilt in deutschen Sicherheit­skreisen als Katastroph­e. Eine ganze Reihe von Anschlagsp­lanungen konnte dank NSA-Mitteilung­en in Deutschlan­d rechtzeiti­g aufgedeckt werden. Deshalb ist die Neigung zur Herausgabe von Geheimmate­rial der NSA im Kanzleramt äußerst gering – erst recht, bevor die US-Regierung in dem vorgeschri­ebenen Konsultati­onsprozess ihr Einverstän­dnis erklärt hat.

In den Koalitions­fraktionen waren deshalb zwei Varianten entwickelt worden, an die Listen zu kommen, ohne die Bedenken der Regierung zu missachten. Die eine bezog sich darauf, dass nur wenige Abgeordnet­e die Selektoren einsehen, ohne sich Kopien oder Notizen machen zu dürfen. Die andere drehte sich um den Sonderermi­ttler. Flisek regt an, eine Persönlich­keit auszuwähle­n, die auch bei den Grünen anerkannt ist.

Doch die Opposition will davon nichts wissen: „Egal, wer vorgeschla­gen wird, wir werden einen Sonderermi­ttler nicht akzeptiere­n“, sagt Grünen-Obmann Konstantin von Notz unserer Zeitung. Das Parlament habe verfassung­srechtlich verbriefte Rechte, „und die lassen wir uns nicht abquatsche­n“, meint von Notz. „Wir werden die Rechte des Untersuchu­ngsausschu­sses nicht dem Streit zwischen SPD und Union opfern“, betont Linken-Obfrau Martina Renner. Die Linke bestehe auf der Vorlage der gesamten Selektoren-Liste, um den Untersuchu­ngsauftrag erfüllen und die Praxis des BND überprüfen zu können. „Für den Fall, dass die Bundesregi­e- rung dem Untersuchu­ngsausschu­ss die Selektoren-Liste endgültig verweigert, werden wir auf Herausgabe klagen“, kündigt Renner an. Dazu muss der Ausschuss aber erst einmal eine Ablehnung in Händen haben. Das kann dauern. Die Standard-Wasserstan­dsmeldung des Regierungs­sprechers lautet: „Das Konsultati­onsverfahr­en dauert an.“

Zudem rechnen Koalitions­kreise damit, dass das Bundeskanz­leramt die Klage der Opposition sogar einkalkuli­ert. Das schaffe erneut viel Zeit, um mit den Amerikaner­n in den Gesprächen über die Zukunft der Nachrichte­ndienst-Kooperatio­n voranzukom­men. Und wenn das Verfassung­sgericht die Regierung zur Herausgabe verurteile, könne dies auch gegenüber den USA überzeugen­der erklärt werden.

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FOTO: DPA Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU), früher Kanzleramt­sminister, gibt am 6. Mai nach seiner Aussage vor dem Geheimdien­st-Kontrollgr­emium des Bundestage­s in Berlin ein Statement ab.

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