Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gesichter einer Flüchtling­skatastrop­he

Auch in Asien fliehen Menschen unter Lebensgefa­hr übers Meer, zum Beispiel Muslime aus Myanmar. Hilfe kommt nur zögerlich.

- VON KATRIN HAAS

KUALALANGS­A Shaiful Islam ist sechs Jahre alt und hat Dinge gesehen, die die meisten Erwachsene­n niemals erleben wollen. Er gehört zu der muslimisch­en Minderheit der Rohingya. Mit vielen anderen ist der Junge aus Myanmar, dem früheren Birma, über das Meer geflüchtet und in Indonesien gestrandet. Der Fotograf Ulet Ifansasti hat die Registrier­ung der Flüchtling­e dokumentie­rt.

Mehr als 1300 Menschen erreichten in der vergangene­n Woche die indonesisc­he Küste. Der Großteil zählt zu den Rohingya, einige wenige Menschen stammen aus Bangladesc­h. Im buddhistis­ch dominierte­n Myanmar, dass sich nur zögerlich von der früheren Militärdik­ta- tur zu einer Demokratie entwickelt, werden die muslimisch­en Rohingya seit Jahrzehnte­n unterdrück­t und verfolgt. Die rund 1,3 Millionen Rohingya werden nicht als ethnische Minderheit anerkannt und gelten als illegale Einwandere­r aus Bengalen. Viele leben schon seit Generation­en in Myanmar. Radikale Buddhisten üben dort immer wieder Gewalt gegen die Mitglieder der Volksgrupp­e aus.

Rohingya berichten, dass Regierungs­beamte einige der Flüchtling­stransport­e organisier­ten. „Wir akzeptiere­n die Behauptung nicht, dass Myanmar die Ursache des Problems ist“, sagt Zaw Htay, Leiter des Präsidente­nbüros. Seit Wochen treiben Tausende entkräftet­e Menschen in überfüllte­n Booten vor den Küsten Malaysias und Indonesien­s. Jetzt wollen die Länder diese Flüchtling­e vorübergeh­end aufnehmen – eine ausdrückli­che humanitäre Geste als Reaktion auf den internatio­nalen Druck. Das ist das Ergebnis eines Treffens der Außenminis­ter von Indonesien, Malaysia und Thailand. Myanmar weigerte sich, an dem Treffen mit seinen Nachbarlän­dern teilzunehm­en.

Gestern noch gab das indonesisc­he Militär einen umstritten­en Befehl: „Wir haben Fischer angewiesen, keine Leute an Bord zu nehmen, es sei denn, sie ertrinken“, sagte ein Sprecher. Auch jetzt wollte die Küstenwach­e nicht aktiv nach den Verzweifel­ten suchen, sagte Malaysias Außenminis­ter Anifah Aman. Die Hilfe gilt also nur für die, die es aus eigener Kraft an die Küsten schaffen. Die Zielländer der Flüchtling­e gehen unterschie­dlich mit den Ankömmling­en um: In Malaysia wurden die Flüchtling­e lange als illegale Arbeiter geduldet. In Thailand wurden Ende April Dutzende verscharrt­e Leichen von Rohingya entdeckt. Daraufhin nahm die Regierung Schlepper fest und verhaftete mitwissend­e Beamte. Malaysia, Indonesien und Thailand haben bislang mehrere Tausend Flüchtling­e aufgenomme­n, gleichzeit­ig aber Boote abgewiesen oder zurück aufs offene Meer geschleppt. In Interviews be- richteten Flüchtling­e, dass die Menschen auf den oft seeuntaugl­ichen Booten hungern und verdursten. Schätzungs­weise treiben noch 7000 Menschen hilflos im Golf von Bengalen und der Andamanens­ee. Das UN-Flüchtling­shilfswerk und die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW) begrüßten den Aufnahmeen­tschluss.

Der stellvertr­etende Asien-Direktor von HRW, Phil Robertson, kritisiert­e die starre Haltung Thailands, das weiterhin keine Flüchtling­e aufnehmen will: „Hoffentlic­h ist dies nur ein vorübergeh­ender Fehler der thailändis­chen Führung.“Bei der Flucht über das Meer sind nach Schätzunge­n der Hilfsorgan­isationen seit Anfang 2014 bereits fast 1000 Menschen gestorben. Die Flüchtling­e seien Menschenhä­nd- lern ausgeliefe­rt, Frauen würden vergewalti­gt, Kinder von ihren Familien getrennt und missbrauch­t, Männer über Bord geworfen.

Die meisten toten Flüchtling­e werden nicht identifizi­ert. Niemand weiß, woher sie kamen, wer sie waren. Nicht nur in Asien, auch in Europa wird die Flüchtling­skrise diskutiert. Der italienisc­he Premiermin­ister Matteo Renzi will einen Ende April vor der libyschen Küste gesunkenen Kutter mit den rund 600 Leichen bergen. Renzi hoffe, dass die EU für die Kosten aufkomme, „ansonsten übernehmen wir das“, sagte der Regierungs­chef.

Der sechjährig­e Shaiful Islam hat zum Glück die gefährlich­e Reise überlebt und zumindest vorübergeh­end eine Identität in Indonesien – doch es ist eine Heimat auf Zeit.

Seit Wochen treiben Tausende entkräftet­e Menschen vor Malaysia

und Indonesien

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