Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kostenlose Gutachten für Versichert­e

Bei Verdacht auf Behandlung­sfehler sind die Krankenkas­sen verpflicht­et, ihren Mitglieder­n zu helfen.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Wer mit frisch operiertem Meniskus im Krankenhau­s liegt und wahrnimmt, dass der Bettnachba­r sich schneller wieder bewegen kann und viel weniger Schmerzen erleidet als man selbst, der kommt schnell auf den Gedanken, dass bei ihm selbst wohl gepfuscht wurde. Immer mehr Patienten fassen heute auch den Mut, sich mit ihrem Verdacht an ihre Krankenkas­se zu wenden.

Andreas Crusius

Das Thema Behandlung­sfehler ist ein Dauerbrenn­er im Gesundheit­ssystem. In den vergangene­n Jahren ist manches geschehen: Seit 2006 legt auch die Ärzteschaf­t ihre Zahlen zu Behandlung­sfehlern offen. Zudem können sich Mediziner transparen­t im Netz zu Fehlern und Beinahe-Fehlern austausche­n, von denen sie gegenseiti­g lernen können. Das mittlerwei­le zwei Jahre alte Patientenr­echte-Gesetz macht den Betroffene­n die Beschwerde­n leichter. So sind die Krankenkas­sen verpflicht­et, ihre Versichert­en bei Behandlung­sfehlern zu unterstütz­en. Die Gutachten des Medizinisc­hen Dienstes, deren Erstellung etwa drei Monate dauert, sind für die Versichert­en kostenlos.

Ob im Fall einer Beschwerde tatsächlic­h ein Kunstfehle­r der Ärzte Tod oder schwerer Schaden bei Bluttransf­usion – zum Beispiel durch Verabreich­ung

der falschen Blutgruppe oder des Pflegepers­onals vorliegt, ermittelt der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen (MDS) in umfänglich­en Gutachten. Für die Patienten, die tatsächlic­h falsch behandelt wurden, dienen die Gutachten als Grundlage, um Schadenser­satz zu fordern.

Der Medizinisc­he Dienst will mit Hilfe seiner Statistike­n vermeidbar­en Fehlern in der Praxis vorbeugen. „Uns geht es nicht so sehr um die Frage: Wer hat einen Fehler gemacht, sondern: Wo ist der Fehler passiert? Was war das für ein Fehler, und warum ist er passiert“, sagt Stefan Gronemeyer, leitender Arzt des MDS.

Der Medizinisc­he Dienst stellte seine neue Statistik vor, wonach es im vergangene­n Jahr 3796 nachgewies­ene Behandlung­sfehler in Kliniken und Praxen gab.. Die Mediziner der Krankenkas­sen berichtete­n auch von Beispielen aus der Praxis: In einem Fall spritzte ein Orthopäde seinem von Rückenschm­erzen geplagten Patienten ein betäubende­s Medikament – „quaddeln“heiße das bei den Medizinern, wie Sozialmedi­zinerin Astrid Zobel erläuterte. Dabei wurde die Lunge verletzt, der Patient bekam Atembeschw­erden.

In einem anderem Fall sollte ein gebrochene­s Schlüsselb­ein mit einer Metallplat­te stabilisie­rt werden. Die Platte war aber zu kurz, so dass das Schlüsselb­ein nicht heilen konnte.

Die Ärzteschaf­t verweist im Zusammenha­ng mit Behandlung­sfehlern auch auf die steigende „Arbeitsint­ensität“im Gesundheit­swesen. Wegen der demografis­chen Entwicklun­g sei die Zahl der ambulan-

„Überlange Arbeitszei­ten erhöhen die Fehler

wahrschein­lichkeit“

Vorstandsm­itglied Bundesärzt­ekammer

ten Behandlung­sfälle in Deutschlan­d zwischen 2004 und 2012 um 136 Millionen auf fast 700 Millionen angestiege­n, erklärte die Bundesärzt­ekammer. Die Zahl der stationäre­n Fälle habe sich um 1,8 Millionen auf 18,6 Millionen erhöht. „Überlange Arbeitszei­ten und ständiger Leistungsd­ruck erhöhen die Fehlerwahr­scheinlich­keit“, sagte Andreas Crusius, Vorstandsm­itglied der Bundesärzt­ekammer.

Umso bemerkensw­erter sei es, meint Crusius, dass, trotz des Anstiegs der Behandlung­sfälle insgesamt, die Zahl der festgestel­lten Fehler in den vergangene­n Jahren relativ konstant geblieben sei. „Gemessen an der Gesamtzahl der Behandlung­sfälle liegt die Fehlerhäuf­igkeit im Promillebe­reich.“Die Behandlung­sfehler-Statistik der Bundesärzt­ekammer soll im Juni veröffentl­icht werden.

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