Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rekord-Absteiger

Jürgen Rynio und Andreas Keim stiegen fünfmal aus der Bundesliga ab; Torwart Rynio mit fünf verschiede­nen Klubs.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Wahrschein­lich ist alles nur halb so wild. Während sich der Berufsfußb­allspieler Leon Andreas gerade in der Hölle wähnt, weil er mit Hannover 96 am Ende eines der spannendst­en Abstiegskä­mpfe der Bundesliga-Geschichte in die zweite Liga purzeln könnte, sagt der Mann mit der weitaus größeren Erfahrung in solchen Dingen: „Es gibt Schlimmere­s als den Abstieg aus der Bundesliga.“Jürgen Rynio ist als Torwart zwischen 1968 und 1986 fünfmal aus der ersten Liga abgestiege­n, mit fünf verschiede­nen Vereinen: Karlsruher SC,

„Es gibt Schlimmere­s als den Abstieg aus der

Bundesliga“

Jürgen Rynio

Ehemaliger Torwart

1. FC Nürnberg, Borussia Dortmund, FC St. Pauli und Hannover 96. Das ist einmalig.

Fünf Bundesliga-Abstiege hat zwar auch ein anderer bedauernsw­erter Kollege hinter sich. Andreas Keim benötigte aber nur vier Klubs dafür. Mit den Stuttgarte­r Kickers ging er den Weg nach unten zweimal (1989 und 1992), mit dem Karlsruher SC (1985), Fortuna Düsseldorf (1987) und dem FC Homburg (1988) je einmal. In einer Hinsicht hat er selbst Rynio übertroffe­n: Er stieg mit Tennis Borussia Berlin noch aus der zweiten Liga ab.

Wie Rynio kann er das allerdings nicht als Weltunterg­ang begreifen. Auch er sagt: „Es gibt Schlimmere­s.“Das Gerede von „Schicksals­spielen“könne er schon lange nicht mehr hören, erklärte er vor Jahren. Das liegt auch an seiner Karriere nach dem Fußball. Dem Physiother­apeuten Keim begegneten manchmal schwerkran­ke Menschen. Das hilft, den Blick zu justieren.

Das ist freilich eine Kunst, die vor allem den Akteuren im modernen Profizirku­s fremd ist. Noch viel mehr als Rynio, der beinahe zu den Gründervät­ern des Bundesliga-Personals gehörte, und Keim, der rechtzeiti­g vor dem endgültige­n Wandel zum großen Schaugesch­äft den Absprung ins normale Leben schaffte. Heutige Spieler dürfen sich selbst in den Niederunge­n der Erstliga-Tabelle wie Popstars vorkommen. Und sie glauben tatsächlic­h, dass der Abstieg eine existenzbe­drohende Geschichte ist.

Das ist natürlich Unsinn. „Von den Fußballspi­elern landet doch keiner auf der Straße“, hat Keim der „Welt“mal gesagt. Und wer weiß, dass durchschni­ttliche Zweitligas­pieler nicht unter 300 000 Euro Jahresgeha­lt (ohne Leistungsp­rämien) durchs Fußballleb­en gehen dürfen, der findet die Perspektiv­e deutlich weniger schrecklic­h. Viel bedrohli- cher ist der Sturz aus der ersten Liga für das Personal in den sogenannte­n Geschäftss­tellen, im Service- und Medienbere­ich der Klubs. Dort wird infolge kleinerer Budgets viel lieber gekürzt als bei den Fußballern.

Bedeutend schrecklic­her als die finanziell­en Aussichten ist für Berufsfußb­aller das Erlebnis des Versagens, das mit dem Abstieg einhergeht. Da sind sie nicht anders als Amateurspo­rtler. Die Profis, die auch am nächsten Wochenende, nach dem letzten Spieltag der Bundesliga, wieder mit verheulten Gesichtern in die Kabine fliehen oder in den Armen ihrer Betreuer flennen wie die kleinen Kinder, weinen ja keine Krokodilst­ränen. Sie erleben einen emotionale­n Absturz. Weil das Glitzerges­chäft um sie herum so groß geworden ist, sind auch die Schmerzen größer geworden. In der Niederlage sind sie echt. Bestes Beispiel: 1996 lagen sich die Weltmeiste­r Rudi Völler und Andreas Brehme schluchzen­d in den Armen. Der eine (Brehme) war mit Kaiserslau­tern abgestiege­n, weil der andere (Völler) mit Bayer Leverkusen im direkten Duell ein 1:1 herausgekä­mpft hatte. Völler weinte aus tätigem Mitleid mit seinem Kumpel, Brehme aus Scham über den Absturz eines vermeintli­chen Spitzentea­ms. Ein paar Jahre vorher war Kaiserslau- tern noch deutscher Meister geworden. Derartige Ehren haben Rynio und Keim nie erfahren. Rynio darf bis heute behaupten, dass er einen verhängnis­vollen Hang hatte, den falschen Arbeitgebe­r zu wählen. Schließlic­h wurde er schon bei seiner ersten Profistati­on in Karlsruhe in den Nationalka­der berufen. Keim war das nicht vergönnt. Auch ein Profi müsse sein eigenes Leistungsv­ermögen einschätze­n können, erklärte er einmal. Deshalb habe es nur zu Engagement­s bei kleinen Klubs gereicht. Dramatisch findet er es heute nicht, und dramatisch fand er das auch früher nicht.

Morgen: Die Kandidaten

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ratlos: Jürgen Rynio im Tor von Hannover 96; gerade hat es in Stuttgart eines von sieben Gegentoren gesetzt (1986).
FOTO: IMAGO Ratlos: Jürgen Rynio im Tor von Hannover 96; gerade hat es in Stuttgart eines von sieben Gegentoren gesetzt (1986).

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