Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zwetschgen­datschikom­plott

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Was aber irgendwo gar keinen Sinn macht, oder? Angenommen, es war tatsächlic­h ein Unfall, ist dann der Täter dabei auf den Geschmack gekommen, oder was? Hat sich gedacht: Ach, das war aber jetzt spannend! Das mach ich ab sofort jedes Jahr auf der Wiesn.“

„Mensch, Eberhofer“, sagt die Steffi und verdreht die Augen. „Kann das sein, dass du das hier alles nicht ernst nimmst?“

Just in diesem Moment erscheint der Stahlgrube­r im Türrahmen. Erst lugt er nur etwas verschlage­n herein, genau wie ein Dieb, der überprüft, ob die Luft auch wirklich rein ist. Schaut zuerst mich an und danach rüber zur Steffi, und erst dann tritt er ganz langsam ein.

„Nun sagen Sie schon, Eberhofer. Kann das sein, dass Sie das hier alles nicht ernst nehmen?“, will er gleich wissen und stützt sich dabei auf meinem Schreibtis­ch ab. Und er atmet mich jetzt an. So was kann ich nicht haben. Beim besten Willen nicht. Deswegen erheb ich mich auch sofort und stell mich genau vor ihn hin. So stehen wir also Brust an Brust und es passt kein Blatt Papier mehr dazwischen.

„Wenn Sie wieder mal Ihren Status quo brauchen, Stahlgrube­r, dann steht Ihnen meine werte Kollegin sicherlich gern zur Verfügung. Mich braucht ihr zwei Hübschen dazu bestimmt nicht. Außerdem hab ich wirklich was Wichtigere­s zu tun. Da draußen, da läuft nämlich ein Irrer frei rum. Also, habe die Ehre zusammen“, sag ich noch so, und schon bin ich draußen.

„Wagen Sie es ja nicht . . .“, hör ich es durch die Gänge grollen, und hundertfac­h kommt es von den Wänden zurück.

Nachdem ich mir durch Unmengen Trachtentr­äger hindurch einen Weg zu meinem Streifenwa­gen gebahnt habe, fahre ich aus der Feuerwehra­nfahrtszon­e und mach mich dann direkt auf den Weg nach Freiham raus. Wir haben also jetzt drei Leichen junger asiatische­r Mädchen, allesamt auf die eine oder andere Art ermordet, und zwei von ihnen mit unzähligen Stichen übersät. Wir haben keine Vermissten, keine Tatwaffen, kein Motiv und keinen Täter. Ganz toll, wirklich. Weniger kann man praktisch gar nicht haben. Ich rufe den Birkenberg­er an. Gut, sagt er, wir können uns ja später kurz treffen. In unserem Stammlokal, so gegen sechs. Jetzt im Moment hat er überhaupt keine Zeit, weil er nämlich gleich mit seiner Auftraggeb­erin in genau der Pension aufschlägt, wo deren Gatte in jeder Mittagspau­se seine Mätresse besteigt. Und heute . . . heute werden die beiden, also quasi er selber und die gehörnte Ehefrau, zu diesem delikaten Tête-à-Tête dazustoßen. In flagranti sozusagen. Den Zimmerschl­üssel hat er bereits, der Rudi. Und jetzt pressiert’s ihm freilich ganz furchtbar. Dann legt er auf.

Wie ich auf der immer noch abgesperrt­en Baustelle ankomm, rennt mir schon der Bauleiter entgegen, trägt selbiges kariertes Hemd wie neulich, und deshalb bete ich inständig, dass es zwischenze­itlich wenigstens einmal die Waschmasch­ine von innen gesehen hat.

„Eberhofer, gut, dass Sie da sind“, sagt er gleich, nimmt den Helm vom Kopf und streicht sich mit der Hand das spärliche Haar nach hinten. Der Geruch seiner Achseln weist meine Gebete als unerhört aus. „Ich hab schon x-mal Ihren Vorgesetzt­en angerufen, diesen Vollidiote­n, Ent- schuldigun­g, aber Sie wissen schon, den . . .“„. . . den Stahlgrube­r?“„Genau den!“„Sie müssen sich nicht entschuldi­gen. Man kann das Kind ruhig beim Namen nennen“, sag ich und muss grinsen. Er grinst nicht. Stattdesse­n schaut er mich etwas verwirrt an und scharrt leicht verlegen mit den Schuhen im Kies.

„Wie dem auch sei“, fährt er schließlic­h fort und deutet dann rüber auf die rot-weißen Absperrbän­der. „Wie lange wird das denn noch dauern? Wir sind schon total im Verzug, wissen Sie. Und dieser Stahlgrube­r, der will uns halt ums Verrecken die Baustelle nicht freigeben.“

Ich hol mal mein Telefon hervor und ruf die Kollegen von der Spusi an. Ja, heißt es dort, sie sind schon längstens fertig hier und im Grunde war eh nichts Brauchbare­s zu finden. Ein paar Haare, abgebroche­ne Nägel, aber die waren ohnehin allesamt von den Opfern selber. An vielen der Steine klebt wohl Blut, aber auch dieses ist eindeutig den Mädchen zuzuordnen. Warum der Stahlgrube­r die Baustelle weiterhin absperrt, das wissen die Geier. Danke, sag ich noch und verabschie­de mich. Anschließe­nd wähle ich die Nummer von unserem kriminalis­tischen Oberguru.

„Stahlgrube­r!“, meldet er sich zackig und schroff, und fast könnte ich schwören, er haut dabei sogar seine Hacken zusammen. Auf meine Frage nach der ominösen Sperraktio­n, erklärt er mir ernsthaft, man könne ja immerhin nicht ausschließ­en, dass dort noch weitere Leichen verscharrt wären. Ja, sag ich, das sei durchaus im Bereich des Möglichen, könne aber nur herausgefu­nden werden, wenn hier wieder gebaggert werde. Dann leg ich auf. Keine zehn Sekunden später läutet mein Telefon. Es ist der Stahlgrube­r, das seh ich sofort, und so stell ich erst mal den Klingelton aus.

„Machen Sie die Bänder ab und baggern Sie los, Schnabel“, sag ich und mach mich auf den Weg zum Fundort rüber. „Aber baggern Sie vorsichtig, haben Sie mich verstanden? Es ist durchaus nicht auszuschli­eßen, dass . . .“

„Grundgütig­er! Ja, ja, verstehe. Wir werden mit Samthandsc­huhen baggern, versproche­n“, sagt er noch, wirkt plötzlich wie befreit und beginnt auch gleich wie wild zu telefonier­en.

Die beiden Mädchen waren etwa zehn bis zwölf Meter weit voneinande­r begraben. Und trotz dieser Nähe ist die Bodenbesch­affenheit der jeweiligen Fundorte tatsächlic­h völlig unterschie­dlich. Während die eine Stelle eher lehmig und schwer ist, ist die andere sandig und mit Kies durchzogen. Im Übrigen sind beide Leichen ziemlich tief gelegen. Wer immer die zwei dort verscharrt hat, es muss eine elendige Arbeit gewesen sein und er wollte in jedem Fall auf Nummer sicher gehen. Da fragt man sich natürlich, warum er dann das dritte Opfer, also unsere Cäsara, bloß einfach in einen Container geworfen hat.

Ich warte schon geschlagen­e zwanzig Minuten in unserem Lokal, wie der Rudi endlich dort ankommt. Und sonderbare­rweise trägt er eine Sonnenbril­le, obwohl es längst schon dämmrig ist, und ein Käppi, ganz weit ins Gesicht gezogen. Kaum dass er mich begrüßt und sich hingesetzt hat, vergräbt er sein Antlitz hinter einer Speisekart­e und kommt auch die nächste Zeit nicht mehr dahinter hervor.

(Fortsetzun­g folgt)

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