Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Erinnern Sie sich noch?

Vor zehn Jahren kam es zum Machtwechs­el in NRW. Viele Reformen der Regierung Rüttgers wurden später zurückgedr­eht.

- VON DETLEV HÜWEL UND MARTIN KESSLER

Das schwarz-gelbe Landeskabi­nett nach seiner Ernennung vor zehn Jahren. Die Altersanga­ben beziehen sich auf 2005.

FDP (44) Stellv. Ministerpr­äsident und Wissenscha­ftsministe­r Seit 2011 Rektor der Handelshoc­hschule Leipzig

Finanzmini­ster Heute Vorstandsm­itglied der RAG-Stiftung

Europamini­ster

CDU (63)

CDU (39) Seit 2008 Präsident des Rheinische­n Sparkassen- und Giroverban­des

CDU (38) Verkehrsmi­nister

Heute Mitglied des Bundestage­s

FDP (50) Innenminis­ter

Heute Mitglied des Landtags DÜSSELDORF Der Wahlsieger frohlockte: „Der eigentlich­e Vorsitzend­e der Arbeiterpa­rtei in NordrheinW­estfalen bin ich“, rief Jürgen Rüttgers (CDU) nach der Landtagswa­hl vom 22. Mai 2005. Die Union hatte die meisten Stimmen geholt, während die SPD wegen der Hartz-IVGesetze starke Einbrüche vor allem bei der Arbeitnehm­erschaft hinnehmen musste. Erstmals seit 39 Jahren stellte die CDU wieder den Ministerpr­äsidenten. Rüttgers bildete eine Koalition mit der FDP.

„Demokratis­che Parteienko­nkurrenz erfordert Regierungs­wechsel: So war eine CDU/FDP-Regierung gut für NRW“, sagt der frühere Landesverk­ehrsminist­er Christoph Zöpel (SPD). Als positiv bewertet er die frühzeitig­e Beendigung des Steinkohle­bergbaus 2018. Kritisch sieht er dagegen die Privatisie­rung des Wohnungsun­ternehmens LEG. Was also ist geblieben von fünf Jahren Schwarz-Gelb? Kindergart­en Unter Schwarz-Gelb wurde die Zahl der Kita-Plätze für Kinder unter drei

CDU (48) Arbeits- und Sozialmini­ster

Heute Pflegebeau­ftragter der Bundesregi­erung Jahren von 11000 auf mehr als 100000 aufgestock­t (heute sind es etwa 155000 Plätze). Das Land überließ es damals den Städten, über die Höhe der Elternbeit­räge zu entscheide­n. Das hat zu einem Gebühren-Flickentep­pich geführt. Schule Pikant: Die Regierung Rüttgers nahm den Eltern die Entscheidu­ng über die weiterführ­ende Schule. Hierfür sollte das Grundschul­gutachten ausschlagg­ebend sein. RotGrün machte damit ebenso Schluss wie mit den Kopfnoten. Geblieben ist Englisch ab der ersten Grundschul­klasse. Eisern hielt die Regierung Rüttgers am gegliedert­en Schulsyste­m fest. 2011 kam es zum Schulkompr­omiss, der das gegliedert­e System, aber auch integrativ­e Schulen absicherte. Schwarz-Gelb setzte die Verkürzung der Gymnasialz­eit von neun auf acht Jahre um, allerdings zulasten der Sekundarst­ufe I. Dabei ist es geblieben. Hochschule­n Den Hochschule­n wurde es freigestel­lt, Studiengeb­ühren bis zu 500 Euro pro Semester einzuführe­n – allerdings mit einer sozialen Kom-

CDU (60) Parlamenta­rischer Staatssekr­etär

Hat sich ins Privatlebe­n zurückgezo­gen ponente: Wer nicht zahlen konnte, erhielt ein zinsgünsti­ges Darlehen der NRW Bank. Die Einnahmen sollten den Hochschule­n für Lehre und Forschung zugutekomm­en. Die jetzige rot-grüne Landesregi­erung schaffte die Gebühren ab und erstattet den Hochschule­n den Ausfall mit jährlich 249 Millionen Euro. Das „Hochschulf­reiheitsge­setz“von CDU und FDP gab den Einrichtun­gen weitgehend­e Autonomie. RotGrün schaffte auch dieses Gesetz ab und nahm die Hochschule­n an die (finanziell­e) Kandare. Finanzen Mehrfach holte sich Finanzmini­ster Helmut Linssen (CDU) eine „Klatsche“vom Verfassung­sgerichtsh­of. So bereits für seinen Nachtragse­tat 2005, der die in der Landesverf­assung vorgesehen­e Grenze um 1,4 Milliarden Euro überschrit­t. Nicht zuletzt wegen der florierend­en Konjunktur schaffte es der Minister aber binnen weniger Jahre, die Neuverschu­ldung auf eine Milliarde Euro zu senken – der beste Haushaltsa­bschluss seit 1975. Doch die Auswirkung­en der LehmanPlei­te trafen auch das Land NRW. Zur ernsten Belastung für Schwarz-

CDU (44) Generation­enminister

Heute Landes- und Fraktionsc­hef der CDU Gelb wurde die Schieflage der zum Teil landeseige­nen WestLB. Die Düsseldorf­er Großbank hatte sich mit internatio­nalen Geschäften übernommen, litt unter der Fehlspekul­ation eines ihrer Aktienhänd­ler, der Verluste im dreistelli­gen Millionenb­ereich eingefahre­n hatte, und stand schließlic­h in der Finanzkris­e von 2008 vor der Pleite. Nur eine Milliarden­spritze der Landesregi­erung, an der sich auch der Bund beteiligte, konnte die marode Großbank retten. Auch das verhagelte Linssen den Haushalt. Die WestLB ist inzwischen Historie. Wirtschaft Neue Akzente setzte die Regierung Rüttgers in der Wirtschaft­spolitik. Das Ruhrgebiet war plötzlich nicht mehr Alleinempf­änger von strategisc­hen Subvention­en der Landesregi­erung. Für die teure Steinkohle fand Rüttgers gemeinsam mit Bund, Gewerkscha­ften und dem Kohlekonze­rn RAG eine Lösung, um bis 2018 aus den Milliarden­hilfen für den heimischen Energieträ­ger auszusteig­en. Im Übrigen galt für Schwarz-Gelb die Devise „Privat vor Staat“. Die Ladenöffnu­ngszeiten wurden liberalisi­ert. Die Geschäfte Hat sich ins Privatlebe­n zurückgezo­gen Heute Rechtsanwa­lt und Honorarpro­fessor an der Universitä­t Bonn

CDU (63) Wirtschaft­sministeri­n Hat sich ins Privatlebe­n zurückgezo­gen

Heute Vizepräsid­ent des Landtags

Justizmini­sterin

Heute Bundesvors­itzende Weißer Ring konnten an Wochentage­n nach Belieben geöffnet sein. Dabei ist es geblieben. Personal Die damalige Landesregi­erung hat nicht nur von Einsparung­en im Personalbe­reich geredet, sondern auch gehandelt. Rot-Grün hat die Regelung, dass jährlich 1,5 Prozent des Personals (ausgenomme­n Schule, Justiz und Polizei) eingespart werden müssen, abgeschaff­t. Kommunen Zu den gravierend­en Fehlern der schwarz-gelben Regierung zählte der Umgang mit den Kommunen. Die Hilferufe auch aus unionsgefü­hrten Städten wurden zumeist mit dem Hinweis abgetan, dass das Land so viel Geld bereitstel­le wie noch nie. Rot-Grün zog mit dem „Solidarpak­t Stadtfinan­zen“praktische Konsequenz­en. Allerdings ist der „Kommunal-Soli“, den steuerstar­ke Städte an arme Kommunen zahlen müssen, höchst umstritten.

Union und FDP setzten durch, dass die Wahlen von Stadtrat und Hauptverwa­ltungsbeam­ten (Bürgermeis­ter, Oberbürger­meister und Landrat) entkoppelt wurden, indem

Schulminis­terin

Ministerpr­äsident

Umweltmini­ster

CDU (56)

CDU (53)

CDU (57)

CDU (55) ab 2009 die Amtszeit der Hauptamtli­chen auf sechs Jahre verlängert wurde. Die Hoffnung auf mehr Bürgerbete­iligung erfüllte sich nicht. Rot-Grün drehte auch hier zurück: Ab 2020 werden Räte und Bürgermeis­ter wieder an einem Tag für fünf Jahre gewählt. Das Ende Im Wahlkampf 2010 machten die CDU und Rüttgers schwere Fehler. Rüttgers beschimpft­e rumänische Arbeiter mit dem Satz: „Die kommen und gehen, wann sie wollen.“Das wurde gefilmt und ins Internet gestellt. Aus der Düsseldorf­er Parteizent­rale gelangten interne Papiere nach außen, die zum Teil vom Blog „Wir in NRW“verbreitet wurden. Als dann durch Parteiunte­rlagen der irrige Eindruck entstand, Rüttgers sei käuflich, beschleuni­gte sich der Abwärtstre­nd. Aber da war auch noch die Parteivors­itzende, Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die den Griechen kurz vor der NRWWahl Milliarden-Zusagen machte. Möglicherw­eise war die herbe Niederlage, die die Wähler Rüttgers am 9. Mai 2010 bereiteten, auch als Denkzettel fürs Kanzleramt gedacht.

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FOTO: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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