Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Respekt vor Schröders Mannesmut

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Im Herbst erscheint eine 900 Seiten starke Biografie des Historiker­s Gregor Schöllgen über Gerhard Schröder. Ich gestehe, dass mir der ehemalige Bundeskanz­ler (1998–2005) mittlerwei­le imponiert. Adenauer, Brandt, Kohl – das sind die großen Kanzler; Schröder zählt für mich noch vor Helmut Schmidt zu den bedeutende­n. Warum?

Erstens: Der vorläufig letzte Reformkanz­ler (Adenauer: „Das Wichtigste in der Politik ist der Mut“) hat mit der Agenda 2010 der Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen. Schröder hat durch schneidige – törichte Linke behaupt frevelhaft­e Neuerungen – das Arbeits- und Sozialrech­t modernisie­rt und dafür als Sozialdemo­krat Kopf und Kragen riskiert.

Zweitens: Schröder hat, wenn auch im Stil rüpelhaft, 2002/03 den Irak-Abenteurer­n um George W. Bush, Dick Cheney und Donald

Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Kohl – sie alle waren große Kanzler. Gerhard Schröder zählt für mich zu den bedeutende­n. Vier politische und menschlich­e Gründe, warum mir der 71-Jährige imponiert.

Rumsfeld sein Nein entgegenge­halten. Heute räumt selbst Bushs jüngerer Bruder Jeb ein, dem Präsidente­nAmbitione­n für die Zeit nach Barack Obama nachgesagt werden, dass das Bomben im Irak ein Fehler war. Der unselige Bush stand zwar 2005 am offenen Sarg von Johannes Paul II. – aber dessen Flehen „Lasst ab vom Krieg!“hatte er zwei Jahre zuvor ignoriert. Es war ein historisch­er Fehler mit Langzeitfo­lgen, denn der Waffengang gebar auch die furchtbare Terrormili­z „Islamische­r Staat“, die heute bereits an den südlichen Ufern des Mittelmeer­es größtes Unheil anrichtet. Gerade weil die Partnersch­aft zu den USA für uns Deutsche immens wichtig ist und bleibt, hätte man Schröder mehr widerständ­ige Verbündete gegen den Kriegsirrs­inn gewünscht. Er stand, andere gingen in die Knie.

Drittens: Schröder ist ein kantiger Typ, im Benehmen zwar „vorstädtis­ch“, wie Kurt Kister in der „Süd- deutschen Zeitung“einst schrieb, aber eben nicht kieselglat­t geschliffe­n wie manche alerte 2.0-Dünndrucka­usgaben seiner Zunft, die twittern und liken – und am Ende doch im gleichen Federkleid mit parteipoli­tischem Pick-Reflex auf der Berliner Stange hocken.

Viertens: Schröder steht, wie er zuletzt noch einmal ohne zu zaudern sagte, zu seiner Freundscha­ft mit Wladimir Putin. Der ist zwar ein Völkerrech­tsbrecher, wie George W. Bush es auch war; aber dass jemand wie der Alt-Bundeskanz­ler Privates von Politische­m trennt und zu seinem Freund hält, auch und gerade, wenn dieser in selbst verschulde­ter Isolation gehalten wird – mit Verlaub: Das ist doch ein Zeichen von Charakter und Mannesmut. Dass es von beidem zu viel gäbe, wird niemand behaupten, oder? Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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