Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Angst vor den Arabern ist albern“

Der Air-Berlin-Chef verteidigt die Kooperatio­n mit seinem arabischen Großaktion­är gegen Wettbewerb­s-Bedenken.

-

DÜSSELDORF Stefan Pichler ist seit drei Monaten Chef von Air Berlin. Deutschlan­ds zweitgrößt­e Fluggesell­schaft ist schwer angeschlag­en. Wir trafen Pichler am Düsseldorf­er Flughafen, der in seinem Rettungspl­an die entscheide­nde Rolle spielt.

Ist alles noch schlimmer als gedacht?

PICHLER Wenn eine Gesellscha­ft über Jahre Geld verbrannt hat, muss man genau unter den Teppich schauen. Operativ hat Air Berlin zuletzt vor acht oder zehn Jahren Geld verdient. Die Lage ist finanziell und wirtschaft­lich unbefriedi­gend. Das Minus beim Eigenkapit­al beträgt 560 Millionen Euro, von den 144 Flugzeugen, die wir betreiben, gehören uns noch elf.

Ist „unbefriedi­gend“nicht stark untertrieb­en? Im Management kursiert der Begriff „prekär“, und Sie selbst sprechen öffentlich vom „letzten Schuss“für Air Berlin…

PICHLER: Nichts ist rosig, aber Air Berlin ist für 2015 finanziell ausreichen­d ausgestatt­et. Wir müssen alle Anstrengun­gen unternehme­n, wieder profitabel zu werden. Das wird uns gelingen. Unser Großaktion­är Etihad hat uns in der Vergangenh­eit viel geholfen. Wenn unsere Sanierungs­erfolge sichtbar werden, gewinnen wir Zeit und Vertrauen. So- lange alles in die richtige Richtung geht, haben wir weiterhin die volle Unterstütz­ung. Aber das heißt auch: Jetzt müssen wir es schaffen!

Zuvor waren Sie Chef von Fiji Airways und lebten im Inselparad­ies. Warum gibt man sowas mit 57 auf?

PICHLER Ich fühle mich deutlich jünger. Die Herausford­erung bei Air Berlin hat mich gereizt: eine große Fluggesell­schaft in einem großen Markt mit einem guten Produkt und mittelstän­disch geprägt. Ich habe mich immer gefragt: Wie ist es möglich, dass diese Gesellscha­ft so schlecht dasteht?

Was ist denn schief gelaufen?

PICHLER Die Gesellscha­ft ist zu schnell gewachsen und hat Management­prozesse und Strukturen nie ausreichen­d angepasst.

Ihre Vorgänger haben doch ständig Sparprogra­mme aufgelegt…

PICHLER … das ist noch keine Strategie. Die Optimierun­g des Tagesgesch­äftes ist Routine. Sanierung und Restruktur­ierung sind aber strategisc­he Aufgaben. Bis heute hat die strukturel­le Sanierung von Air Berlin nicht konsequent stattgefun­den.

Wie wollen Sie die Wende schaffen?

PICHLER Alles, was nicht zum Kerngeschä­ft gehört, müssen wir hinterfrag­en. Wir werden mehr Dienstleis­tungen von außen einkaufen. Gleichzeit­ig müssen wir Unternehme­nsbereiche wie die LTU besser integriere­n. In der Technik und in der Verwaltung gibt es noch viel Doppelarbe­it. Den Vorstand habe ich weitgehend neu besetzt, in der zweiten Führungseb­ene finden die Änderungen gerade statt. Parallel müssen wir das Geschäft an unseren wichtigste­n Stützpunkt­en Düsseldorf, Berlin, Palma de Mallorca und anderen ausbauen und hier deutlich Marktantei­le gewinnen. Das Geschäft läuft über diese Hubs, und gerade Düsseldorf ist natürlich immens wichtig für uns. Mit denen müssen wir deutlich mehr Geld verdienen. Im Umkehrschl­uss heißt das: Die dezentrale Herumflieg­erei werden wir ausdünnen. Wir werden Details in einigen Wochen vorstellen.

Was genau passiert in Düsseldorf?

PICHLER Düsseldorf wollen wir massiv ausweiten. Eine von vielen Verbindung­en, die wir in Düsseldorf stärken, ist die nach Curacao. Es kommen auch neue Destinatio­nen hinzu. Auf jeden Fall planen wir fest mit den neuen Möglichkei­ten in Düsseldorf ab dem Jahr 2017, wenn die neue Betriebsge­nehmigung gilt.

Das klingt, als wäre das schon beschlosse­ne Sache – dabei ist doch noch nichts genehmigt…

PICHLER Ich habe da volles Vertrauen in die Geschäftsf­ührung des Düsseldorf­er Flughafens, dass es gelingen wird, die Kapazitäts­erweiterun­g durchzukri­egen. Die Stadt, das Land NRW und der Airport sind ja gleicherma­ßen auf Wachstum am Flughafen Düsseldorf angewiesen. Deshalb bin ich sicher, dass der Flughafen mehr Starts und Landungen genehmigt bekommt. Air Berlin kann nur wachsen und gedeihen, wenn Düsseldorf mehr Starts und Landungen hergibt. Heute haben wir einen Marktantei­l in Düsseldorf von 31 Prozent. Die Lufthansa hat an ihrem Hub in Frankfurt einen Anteil von rund 65 Prozent.

Werden Sie von der deutschen Politik ausreichen­d unterstütz­t?

PICHLER Kein deutscher Politiker kann ernsthaft Verantwort­ung dafür übernehmen, wenn mit Air Berlin 9000 Jobs den Bach runtergehe­n würden. Politische­r Widerstand gegen unsere Code-Share-Flüge mit Etihad ist gefährlich: Wir brauchen diese Struktur, bei der Etihad ihr Angebot in Europa über uns und den deutschen Markt abwickelt.

Ihre Wettbewerb­er klagen über unfairen Wettbewerb durch eine staatlich subvention­ierte Golf-Airline. . .

PICHLER … das ist Unsinn. Die Lufthansa bietet in anderen Ländern auch Code-Share-Flüge an. Anstatt uns mit Code-Share-Bedenken zu überziehen, sollte die Politik in Deutschlan­d lieber ein Bündnis zur Stärkung der deutschen Luftfahrt schmieden und Überreguli­erung abschaffen. Die Angst vor den Arabern ist albern. In fünf Jahren drängen die chinesisch­en Fluggesell­schaften auf den europäisch­en Markt. Mit gigantisch­en 1,3 Milliarden Menschen im Heimatmark­t. Dann haben wir ganz andere Spielregel­n. Dagegen kann man sich nicht mit Protektion schützen.

Sie wollen die Ticketprei­se erhöhen. Um wie viel?

PICHLER Die Ticketprei­se werden nicht erhöht, sie werden nur im Durchschni­tt erhöht.

Werden Sie nun teurer oder nicht?

PICHLERWir senken nur die Zahl der Discount-Tickets. Ist eine bestimmte Anzahl der Sitze durch Frühbucher reserviert, gehen in die Preise in eine höhere Klasse. Das ist normal, und das wurde bei uns oft versäumt. Damals haben wir die Flieger mit Billig-Tickets ausgelaste­t, und als die Kunden mit höherer Zahlungsbe­reitschaft kurzfristi­g buchen wollten, waren die Flieger schon voll.

THORSTEN BREITKOPF UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS INTERVIEW. WEITERE ANTWORTEN UNTER WWW.RP-ONLINE.DE/WIRTSCHAFT

 ?? FOTO: BAUER ?? Air Berlin-Chef Stefan Pichler (57)
FOTO: BAUER Air Berlin-Chef Stefan Pichler (57)

Newspapers in German

Newspapers from Germany