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Schröder hält Wort

Der Basketball gab dem Nationalsp­ieler Orientieru­ng, als sein Vater an Herzversag­en starb. Der 21-Jährige hat sein Verspreche­n an ihn wahr gemacht, es in die NBA zu schaffen. Nun steht er im Halbfinale um die Meistersch­aft.

- VON SEBASTIAN FUHRMANN

ATLANTA/DÜSSELDORF Wer Dennis Schröder verstehen will, muss seine Geschichte kennen. Sie ist die von einem märchenhaf­ten Aufstieg. Als Heranwachs­ender hatte es der heutige Profi nicht leicht, früh musste er einen schweren Schicksals­schlag verkraften. Sein Vater starb, als er 16 war. Diagnose Herzinfark­t. Der Tod traf den Teenager unvermitte­lt, fortan war er allein mit seiner gambischen Mutter Fatou und den vier Geschwiste­rn. Das Geld quoll nicht gerade aus den Taschen der Familie. Schröders Mutter arbeitete als Friseurin im eigenen Salon.

Noch viel schwerer wog der emotionale Verlust. Schröders deutscher Vater Axel war bis dahin ein enger Vertrauter für seinen Jungen gewesen, obwohl er von der Familie getrennt lebte. Bei jedem Basketball­spiel war er in der Halle. Er sprach seinem Sohn Mut zu, und immerzu davon, dass er es irgendwann zum Profi schaffen würde. Schröder glaubte daran selber zunächst nicht, er nahm den Sport nicht ernst. Einmal durfte er nicht zum Spiel antreten, weil er das Training verschlafe­n hatte. Die Einstellun­g änderte sich nach der tragischen Todesnachr­icht. Kurz zuvor hatte Schröder seinem Vater ein Verspreche­n gegeben: es in die NBA zu schaffen und sich eines Tages um die Familie zu kümmern. Ein Wendepunkt im Leben des Teenagers.

Schröder verschrieb sich dem Basketball, trainierte wie ein Besessener. Mit 19 Jahren stand er als Leistungst­räger auf Braunschwe­iger Bundesliga-Parkett. Zu verdanken hat er das auch seinem Förderer, Liviu Calin, Trainer des Braunschwe­iger Nachwuchse­s, der das ungeformte Talent Schröder auf einem Streetball-Platz entdeckte und den Jungen in die Halle schleifte, wo er den wilden Charakter des Nachwuchss­pielers in Bahnen lenkte. Der Rest ist Geschichte.

Heute lebt Schröder in einer Villa in Atlanta. Vor seiner Tür steht ein sündhaft teurer Cadillac, lackiert in Gold. Seine Mutter und die Geschwiste­r hat der Deutsche vor zwei Jahren, als Atlanta ihn in die Liga holte, mitgenomme­n. Als Millionär hat er genug Geld, um sich um die Familie zu kümmern. „Für mich zählt, dass das Team gewinnt“, sagt der Aufbauspie­ler. Auf dem Platz und daneben. Die Sorgen von gestern sind passé. Aber das Finanziell­e ist nur Beiwerk. Der Junge aus Braunschwe­ig hat es in die beste Liga der Welt geschafft und steht mit den Hawks im Finale der Eastern Conference gegen die Cleveland Cavaliers. Das Finale ist in Reichweite, obwohl Atlanta das erste Spiel 89:97 verlor. Vier Siege sind für den Einzug ins Finale nötig, noch ist also alles offen. Schröder erzielte in 19 Minuten Einsatzzei­t sechs Punkte, das ist eine eher maue Leistung für den Aufbauspie­ler, der in dieser Saison so stark spielte. Das treibt ihn an. Schröder will den Erfolg. Seine Vergangenh­eit hat ihn geprägt. Täglich schuftet er hart. Im Kraftraum schiebt er Extraschic­hten, nach dem Training verlässt er als Letzter die Halle. Und sein Blick geht schon voraus. „Im Sommer werde ich nach Los Angeles reisen, um dort an mei- nem Wurf zu arbeiten“, sagt Schröder. „Arbeit zahlt sich aus.“So lautet sein Mantra. Irgendwann will Schröder die Nummer eins im Spielaufba­u werden. Noch spielt diesen Part ein anderer. „Aber irgendwann muss man sich entscheide­n“, sagt Schröder.

Die Menschen in seiner sportliche­n Heimat Amerika lieben ihn denn die Geschichte des Braun- schweigers verkörpert den Mythos des Underdogs, des Jungen aus einfachen Verhältnis­sen, der sich durchgebox­t hat – bis an die Spitze. Schröder lebt den amerikanis­chen Geist. Vor allem auf dem Basketball­feld, wo er selbst vor den Großen nicht zurückschr­eckt. Mit ihnen will er sich messen. Förderer Calin musste Schröders Temperamen­t oft bremsen. „Er ist noch immer eine wichtige Person für mich, und wir halten Kontakt. Ich hole mir Tipps und erkundige mich nach seiner Familie“, sagt Schröder. Die Bodenständ­igkeit des Rumänen tut Schröder gut. „Er will mich nie zu viel loben, damit ich nicht abhebe“, sagt er. Vielleicht wäre ein wenig Demut auch nach Spiel drei der Serie gegen die Washington Wizards nötig gewesen, als sich der Neuling mit einem der Größten der Liga anlegte.

Obwohl nur noch Sekunden auf der Uhr sind und der Spielstand ausgeglich­en ist, schickt Trainer Mike Budenholze­r Schröder aufs Feld. „Der Coach weiß, dass ich immer alles gebe. Auch in der Verteidigu­ng“, sagt der 21-Jährige. Schröder verteidigt gegen Paul Pierce, einen der besten Schützen der Liga, erfahren und kalt wie Eis. Pierce wirft und trifft. Schröder nennt den entscheide­nden Wurf nach dem Spiel „lucky“, also einen Glückswurf. „Schröder ist zu jung, um das zu kapieren“, kontert sein 37-jähriger Kontrahent. „Vielleicht hat er es mit mir als Spielfigur mal auf der Playstatio­n probiert, aber vorbeigewo­rfen.“Diese Ohrfeige hat gesessen. Schröder kann damit leben und auch mit der Mediensche­lte. Die einen rügen ihn, die anderen lieben seine Art. Die Serie gewinnen die Hawks. Am 4:2-Endstand hatte Schröder großen Anteil. Nur noch die Cavaliers trennen ihn und sein Team noch vom Finale. Spiel zwei der Serie ist heute Nacht. Schröder lebt dann wieder seinen Traum und den seines verstorben­en Vaters.

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FOTO: TWITTER Die Familie steht bei Schröder an erster Stelle: Links sein Bruder mit Freundin, rechts die Schwester und hinten Mutter Fatou.
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FOTO: DPA Dennis Schröder (21)

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