Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Zwetschgendatschikomplott
Die lockige Bedienung kommt, stellt uns beiden ein Bier hin und nimmt mein aufgrund der langen Wartezeit bereits leeres Glas wieder mit.
Da es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass der Birkenberger jemals wieder hinter dieser dämlichen Speisekarte rauskommt, greif ich nach dem Teil und will es ihm wegziehen. Aber er hält daran fest, als hinge sein Leben davon ab.
„Rudi!“, sag ich dann zerrenderweise. „Jetzt lass schon los!“„Nein!“Gut, dann beende ich eben das alberne Spiel, streck mich ganz durch und versuche krampfhaft, über die Karte hinweg seinen Blick zu erhaschen.
„Wenn du die Güte hättest“, sag ich in meiner kerzengeraden Haltung. „Und erzählst mir vielleicht einfach mal, was das ganze Theater hier soll. Und überhaupt: wieso du so spät dran bist, dann auch noch eine Sonnenbrille trägst und dazu diese echt fiese Kappe. ,Erlebnishotel Jacqueline’ steht da drauf. Weißt du das eigentlich?“
Aber er zuckt nur kurz mit den Schultern und hält die Karte nur noch etwas höher. Die Bedienung erscheint jetzt wieder und fragt nach dem Essen. Na gut, ich will einen Grillteller haben und mein Visà-Vis murmelt, dass er einfach gerne dasselbe hätte. Jetzt möchte das Lockenköpfchen freilich die Karten einsammeln, und selbstverständlich reich ich ihr meine sofort. Der Rudi jedoch, der kann sich noch immer nicht so recht davon trennen. Und wieder hält er sich daran fest, als würde er eines Schatzes beraubt. Ein paar Augenblicke lang zerrt er an dem einen Ende der Karte und die resolute Kellnerin am anderen, was wirklich zu komisch ausschaut. Doch dann, mit einem plötzlichen Ruck, entreißt sie ihm schließlich das Teil und geht als Siegerin vom Platz.
„Sag mal, Rudi, bist du noch ganz dicht, oder was?“, frag ich nun erst mal und beuge mich dabei ganz weit nach vorne. „Und jetzt nimm doch mal diese verdammte Sonnenbrille ab!“Er schüttelt den Kopf. „Rudi!“„Nein!“„Hast du ein blaues Auge, oder was?“
„Nein!“, sagt er grad noch, aber da schnapp ich mir auch schon die blöde Brille von seiner Nase. Und ja, er hat recht. Er hat nicht ein blaues Auge, er hat zwei. Und auch die Nase ist etwas in Mitleidenschaft gezogen. Und freilich steht ihm das nicht sehr gut.
„Arschloch!“, knurrt mir der Rudi jetzt her, holt sich die Brille zurück und verbirgt seine Blessuren umgehend wieder hinter dem Glas.
„Dein Auftrag von vorhin?“, frag ich und muss grinsen.
Er nickt. Und dann beginnt er zu erzählen. Ja, sagt er, mitsamt seiner Auftraggeberin und mithilfe des Zimmerschlüssels wär er eben wie geplant zu diesem Schäferstündchen dazugestoßen. Und das, wie’s der Teufel will, auch noch genau im passendsten aller Momente. Nämlich genau da, wo das Liebespaar geradezu ekstatisch übereinander hergefallen ist. Die Situation war dermaßen eindeutig, dass jegliche Ausrede so überflüssig gewesen wär wie ein Kropf. Doch wie reagiert seine werte Klientin darauf, das undankbare Stück? Anstatt – der Situation angemessen – dem Rudi zufrieden die Hand zu schütteln und da- nach einen Scheck zu zücken, drischt sie plötzlich auf ihn ein. Völlig ohne jede Vorwarnung. Nicht etwa auf ihren Ehemann, der sie grad aufs Übelste betrogen hat, nein, auf den armen Rudi drischt sie ein! Früher oder später aber ist dem die Sache freilich auch zu blöde geworden, das kann man ja auch wirklich verstehen. Und so hat er halt einfach irgendwann zurückgeschlagen. Selbstverständlich nicht sehr fest, immerhin war’s ja eine Frau, aber trotzdem. Und jetzt . . . jetzt folgt der Knaller. Jetzt nämlich kommt der Ehemann auch noch zum Einsatz. Der ist da wohl irgendwie total empfindlich, was seine Frau angeht. Geliebte hin oder her, wer seiner Gattin auch nur ein Härchen krümmt, der kriegt’s knüppeldick ab. Hab ich eigentlich schon erzählt, dass es sich bei ihm um einen ehemaligen Zehnkämpfer handelt? Nein? Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Rudi jetzt zwei Blinker und eine angeknackste Nase und kann wohl froh und dankbar sein, wenn er für diesen etwas zweifelhaften Einsatz überhaupt noch seine Kohle kriegt.
Dann aber kommt auch schon unser Essen. Und es schmeckt großartig. Feurig scharf, schön resch und heiß. Ein Traum! Dem Rudi schmeckt’s weniger, weil ihm das ganze Gesicht wehtut und er beim Beißen echt starke Schmerzen verspürt. Ja, wenn das Unglück schon da ist, gesellt sich das Pech gern dazu, gell.
Dann läutet mein Telefon, und der Papa ist dran. Er will, dass ich auf dem Heimweg unbedingt noch beim Simmerl Halt mach, weil der fünfundzwanzig Prozent gibt, auf sein komplettes Fleisch- und Wurstsortiment. Praktisch auf alles. Das ist ziemlich ungewöhnlich für den Simmerl. Der ist nämlich ansonsten schon eher hochpreisig, könnte man sagen. Freilich ist er der beste Metzger in der ganzen Hemisphäre, aber eben nicht billig. Und da frag ich mich jetzt logischerweise, was ihn dazu bewogen hat, seine Kundschaft auf so großzügige Art und Weise zu beglücken. Aber wurst, fahr ich halt hin. Ja, diese Sorte von Großeinkäufen bleibt leider immer wieder an mir hängen. Selber fahren will der Papa nämlich nicht, weil er seinen alten Opel Admiral nur für größere und besondere Momente schonen möchte. Und nachdem der Rudi und ich bezahlt und uns anschließend verabschiedet haben, mach ich mich auch gleich auf den Weg nach Niederkaltenkirchen.
Wie ich eine knappe Stunde später vor der Metzgerei anhalte, ist von irgendwelchen Prozenten hinten und vorne nichts zu lesen. Weder auf der Schaufensterscheibe noch auf der Tafel vor dem Eingang. Woher also will der Papa überhaupt davon wissen? Es hilft alles nix, ich muss da mal rein.
„Servus, Franz“, begrüßt mich der Metzger gleich höchstpersönlich und wischt sich seine Wurstfinger an der Schürze ab. „Hat er’s also nicht vergessen, dein Vater?“
„Was genau soll er nicht vergessen haben?“
„Ja, dass er dich eben anruft. Damit er dir sagt, dass du herkommen sollst. Also wegen den Prozenten quasi, verstehst?“
„Nein“, sag ich, weil ich echt keinen blassen Schimmer hab. „In deiner Auslage, da steht aber gar nix von Prozenten. Und auf der Tafel dort auch nicht.“
„Ja, logo.“
(Fortsetzung folgt)