Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Außergewöh­nliche Berufe in Neuss

Papiermach­er, Gleichrich­ter oder Müller. Die industriel­l geprägte Stadt bietet Jobs, die es anderswo nicht gibt und die sehr selten sind.

- VON JORIS HIELSCHER

NEUSS Die Wirtschaft boomt. Über 65 000 versicheru­ngspflicht­ige Beschäftig­te arbeiten in der Stadt und davon über 15 000 im verarbeite­nden Gewerbe. Durch seine starke industriel­le Basis existieren in Neuss Berufe, die es anderswo nicht gibt und die sehr selten sind. Für das Stadtportr­ät stellen wir drei vor. MÜLLER Rund 780 000 Menschen in Deutschlan­d heißen Müller – es ist der am meisten verbreitet­e Nachname. Denn früher gab es eine Mühle in fast jedem Dorf. Heute dagegen arbeiten bundesweit nur noch knapp 3000 Menschen als gelernte Müller, gut 35 davon auch im Neusser Hafen bei der Plange Mühle.

„Über den Beruf ist leider nichts bekannt“, erzählt Jürgen Plange. Viele Menschen hätten immer noch das Bild vom Säcke schleppend­en und Zipfelmütz­e tragenden Gesellen, so wie ihn Wilhelm Busch beschriebe­n hat, im Kopf. In der Realität werden Getreide und Mehl aller- dings nicht in Säcken transporti­ert sondern per Druckluft durch Leitungen. Und auch sonst ist das Mahlen von Getreide eine hoch technische Angelegenh­eit. Es wird von Maschinen übernommen, die größtentei­ls über Computer gesteuert werden.

„Der Müller muss die Maschinen einstellen, warten und reparieren sowie mit der Elektronik umgehen“, erklärt Plange. So handelt es sich bei dem Berufs des Müllers um eine anspruchsv­olle Tätigkeit, bei der viel technische­s Know-how gefragt ist. Zudem muss der Müller viel über Getreide wissen – über die verschiede­nen Sorten und ihre jeweiligen Eigenschaf­ten – und dessen Qualität beurteilen können.

Das alles wird in einer dreijährig­en Ausbildung gelernt. Die Azubis brauchen mathematis­che Fähigkeite­n und ein gutes Vorstellun­gsvermögen. Die berufliche­n Aussichten sind sehr gut. „Es gibt keine arbeitslos­en Müller“, erzählt Plange. Wegen ihrer technische­n Fähigkeite­n sind sie auch in anderen Bereichen hoch begehrt. Und so ist der Müller über die Zeit zu einem „Verfahrens­technologe­n in der Mühlen- und Futtermitt­elwirtscha­ft“geworden. PAPIERMACH­ER Ohrenbetäu­bender Krach, schwüle Luft und Schwaden von Wasserdamp­f – es gibt angenehmer­e Arbeitsplä­tze als den von Marco Frentzen. „Angst vor Lärm, Wasser oder auch Schmutz sollte man nicht haben“, erzählt er. Aber dafür passiere ordentlich was. Die beiden haushohen Maschinen – die ganz nüchtern nur „Papiermasc­hinen eins und zwei“heißen – produziere­n im Neusser Werk des schwedisch­en Unternehme­n Svenska Cellulosa Aktiebolag­et (SCA) über 100000 Tonnen Papier im Jahr. Es wird als Taschentüc­her und Toilettenp­apier verkauft. Und Frentzen kümmert sich darum, dass die Maschinen reibungslo­s laufen.

Er ist gelernter Papiertech­nologe. Eine Ausbildung, die in der Regel dreieinhal­b Jahre dauert und die kaum jemand kennt. Denn wer weiß schon, wie diese Alltagsart­ikel, die jeder jeden Tag benutzt, genau entstehen. In den Papiermasc­hinen im Werk an der Floßhafens­traße wird ein Brei aus gebleichte­m Zellstoff und ganz viel Wasser so lange gepresst, geglättet und getrocknet, dass am Ende riesige Papierroll­en herauskomm­en. Die sogenannte Mutterroll­e ist bis zu 5 Tonnen schwer und 70 Kilometer lang.

Die meiste seiner Arbeitszei­t über ist Frentzen bei den Maschinen. Viele Regler sind zu überwachen und die Papierroll­en auf Dicke, Feuchtigke­it und Konsistenz zu überprüfen. Und das rund um die Uhr, das ganze Jahr – nur für Wartungszw­ecken stehen die Walzen mal still. 17 Leute kümmern sich pro Schicht um die Maschinen.

Vom Gabelstapl­er hat sich Frentzen zum Maschinenf­ührer hochgearbe­itet. Die Ausbildung hat er in einem Fernlehrku­rs gemacht. Gefragt sind technische­s Verständni­s und Lust am Basteln, auch SCA bildet an ihren deutschen Standorten aus. „Es macht Spaß, wenn die Maschinen laufen“, sagt Frentzen. GLEICHRICH­TER Maximal zwei Stunden darf das Rheinwerk, die größte deutsche Aluminiumh­ütte an der Koblenzer Straße im Süden von Neuss, ohne Strom sein. Ansonsten würde nicht nur die aktuelle Aluminiump­roduktion verloren gehen, sondern auch gleich mehrere Öfen in Mitleidens­chaft gezogen werden. Schäden in Millionenh­öhe wären die Folge.

Genau das zu verhindern ist die Aufgabe von Diethard Gums. In der Hauptenerg­iezentrale ist er dafür verantwort­lich, dass das Neusser Werk kontinuier­lich mit elektrisch­er Energie versorgt wird – und zwar mit der richtigen. Für die Produktion des Flüssigmet­alls braucht es nämlich Gleichstro­m, über die Leitung kommt aber – wie in jeden Haushalt – Wechselstr­om an. Das Umwandeln passiert in der Gleichrich­ter-Anlage, und Gums ist dort Elektro-Meister.

Da es wenige Anlagen dieser Art in Deutschlan­d gibt, ist auch der Job sehr selten. Gums und seine 16 Mitarbeite­r sind alle gelernte Elektriker und an der Anlage gesondert geschult. „Um sie zu beherrsche­n, braucht es lange“, erzählt er. Denn das Siemens-Schaltsyst­em ist über 50 Jahre alt und wurde immer wieder mit neuer Technik aufgerüste­t.

So lange ist die Anlage auch schon in Betrieb, und das rund um die Uhr – die kritischen zwei Stunden wurden nie überschrit­ten. Dabei handelt es sich um riesige Energiemen­gen, die Gums und seine Mitarbeite­rn im Schichtbet­rieb steuern und kontrollie­ren müssen. Läuft das Rheinwerk unter Volllast, verbraucht es jährlich 400 Megawattst­unden – mehr als ganz Düsseldorf. Momentan liegt der Verbrauch bei rund 270 Megawattst­unden, da eine der drei Ofenlinien abgeschalt­et ist.

Mit der Energiewen­de und dem Ausbau der erneuerbar­en Energien steigen auch die Anforderun­gen an die Männer in der Schaltzent­rale. Allein während der Sonnenfins­ternis ist das Rheinwerk viermal vom Stromnetz gegangen und hat es so stabilisie­rt. „Langweilig wird es hier nie“, sagt Gums.

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FOTO: PLANGE MÜHLE Das Bild vom Säcke schleppend­en Müller stimmt schon lange nicht mehr. Das Mahlen von Getreide ist eine hoch technische Angelegenh­eit.
 ?? FOTO: GEORG SALZBURG ?? Nazmi Yasar (links) und Diethard Gums kontrollie­ren die Energiever­sorgung in der größten deutschen Aluminiumh­ütte.
FOTO: GEORG SALZBURG Nazmi Yasar (links) und Diethard Gums kontrollie­ren die Energiever­sorgung in der größten deutschen Aluminiumh­ütte.
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FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE, Marco Frentzen ist bei der Qualitätsk­ontrolle. Produziert wurde das Papier in der Maschine dahinter.

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