Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eine Idee der Römer macht Geschichte
Neuss hat in seiner mehr als 2000-jährigen Stadtgeschichte viele Hochs erlebt – aber auch Rückschläge verkraften müssen.
NEUSS Die wechselvolle Stadtgeschichte lässt sich in Neuss an etlichen Orten ablesen, doch an einer Stelle konzentriert sie sich regelrecht. Im Haus Oberstraße, dem Stadtarchiv. Im Jahr 1241 wird das „archivum publicum Nussie“erstmals urkundlich erwähnt, seit 1299 sind seine Bestände geschlossen erhalten. Ein Superlativ, der in einem Ranking Erwähnung finden muss – auch wenn es zu keinem Platz unter den Top Ten reicht. Grund: Die Neusser Historie hat zu viele Höhepunkte zu bieten. Platz eins: 1794 – die Franzosen kommen
Mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen endet in Neuss das Mittelalter. Das Kurfürstentum Köln, zu dem die Stadt seit 1074 gehört hat, geht unter. Es ist nicht die erste Besetzung der Stadt durch fremde Truppen, doch keine veränderte die Stadt mehr als diese. Und das bis in die Gegenwart. Der Kloster- und Kirchenbesitz wird säkularisiert, Religions- und Gewerbefreiheit verändern die städtische Gesellschaft, mit dem Code Napoleon hält ein neues Zivilrecht Einzug. All das stimuliert eine Wachstumsentwicklung, die auch anhält, als 1813 die Franzosen abrücken und die Preußen können. Neuss wächst – und ab 1823 verschwindet Stück für Stück auch die mittelalterliche Stadtmauer. Platz zwei: 31. Dezember 1944 – Bomben fallen auf Neuss Am Silvesterabend des Jahrs 1944 werden bei einem alliierten Fliegerangriff das historische Rathaus und mittelalterliche Bürgerhäuser wie das Gasthaus „Blauer Stern“zerstört. Es ist der schwerste von sechs Großangriffen, die die Stadt in diesem Kriegsjahr über sich ergehen lassen muss und die einen hohen Blutzoll fordern: 537 Tote und 544 Verletzte sind zu beklagen, 833 Häuser zerstört. Das ist das Ende des „al-
Die Großmachtpläne des Burgunderherzogs Karl des Kühnen scheitern 1475 auch am Neusser Widerstandswillen
ten“Neuss. Der Wiederaufbau folgt anderen städtebaulichen Vorstellungen und „verschlingt“Quartiere wie das Neumarktviertel, das den Zweiten Weltkrieg relativ unversehrt überstanden hatte. Platz drei: 1474/75 – Die Belagerung durch Karl den Kühnen
Als sich 1474 der Belagerungsring um das befestigte Neuss schließt, beginnt für die Eingeschlossenen eine zehnmonatige Leidenszeit. Doch sie schreiben europäische Geschichte. Der Burgunderherzog Karl der Kühne, der eines der größten Heere seiner Zeit gegen Neuss ins Feld geführt hat, wollte durch die Belagerung von Neuss das Kölner Kurfürstentum „knacken“. Seinen Traum, das Lotharii Regnum, das „Mittelreich“der Karolingerzeit, wieder als Großmacht zwischen Frankreich und den deutschen Landen zu etablieren, scheitert auch am Neusser Widerstandswillen. Neuss ist auf der Höhe seines Ansehens. Kein Ereignis hat das kollektive Bewusstsein mehr geprägt. Platz vier: 1999 Direktwahl des Bürgermeisters
Zur Kommunalwahl 1999 tritt Herbert Napp ( CDU) schon mit dem Bonus des Amtsinhabers an. Ein Jahr vorher hatte ihn seine Fraktion zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister gemacht. Ein Amt, das Napp danach in drei Wahlen, in denen er sich direkt dem Bürgervotum stellen musste, behaupten konnte. Erstmals vereinigt er die Funktion des Verwaltungschefs und des Ratsvorsitzenden in seiner Person. Seine Wahl markiert auch das vorläufige Ende einer Entwicklung der kommunaler Selbstverwaltung, die in Neuss 1460 beginnt. Damals setzte Dietrich II. 24 „Gemeinheitsfreunde“als Vertreter der Gemeinde zur Mitverantwortung und Kontrolle bei der Stadtverwaltung ein. Der „Rat der 24“ist als Vorläufer der heutigen Stadtverordnetenversammlung zu sehen. Platz 5: 1209 – Grundsteinlegung zum Bau von St. Quirin
Als Magister Wolbero mit dem Bau der Quirinuskirche beginnt (der Grundstein wird am 9. Oktober gelegt), will er nicht nur eine Pfarrkirche bauen. Das Gotteshaus soll auch ein Schrein sein für die Gebeine des Heiligen Quirinus, die in der Stadt seit dem Jahr 1050 verehrt werden. Sie machen Neuss zum Wallfahrtsort – und besonders viele Pilger kommen, nachdem der Heilige sich bei der Belagerung durch die Burgunder so wirkungsmächtig gezeigt hat. Die Neusser und ihr Stadtpatron – das ist bis heute eine besondere Beziehung. Und die spätromanische Basilika eine der schönsten Kirchen dieser Epoche im Rheinland. Platz sechs: 1586 – Der große Stadtbrand
Als im Jahr 1585 der Versuch, das Erzbistum Köln in ein erbliches, protestantisches Herzogtum umzuwandeln, zum Truchsessischen Krieg führt, wird Neuss erst von Anhängern des abtrünnigen Erzbischofs überrumpelt, geplündert und besetzt – und im Jahr danach von der Gegenpartei belagert und erstürmt. Beim „großen Brand“werden zwei Drittel der Stadt zerstört. Die Katastrophe hat langfristige Folgen. Die Selbstverwaltung wird zugunsten eines kurfürstlichen Vogtes eingeschränkt, alle reformatorischen Bestrebungen unterdrückt. Neuss wird zum Spielball der europäischen Mächte, zum Objekt der Politik. Und das bleibt so bis zum Beginn der Franzosenzeit. Platz sieben: 1908 – Ausbau des Hafens
Im 9. Jahrhundert kommen die Normannen den Rhein herauf und zerstören 881 das Kastell Niusa. Eine Ausnahme, denn sonst hat die Stadt von ihrer Rheinlage vor allem profitiert. 1021 wird Neuss als Handelsplatz mit Hafen erstmals erwähnt, 1247 wird sie Zollstation für den Rheinzoll der Kölner Erzbischöfe (was sie im 14. Jahrhundert verliert, als der Strom sein Bett nach Osten verlagert). Aber die Stadt bleibt für Schiffe erreichbar. Zum Taktgeber der wirtschaftlichen Entwicklung aber wird der Hafen erst 1908, als der – 1837 zum Sicherheitshafen ausgebaggerte Erftkanal – zum Hafenbecken I ausgebaut und an die Eisenbahn angeschlossen wird. Bis 1934 wird der Hafen auf die heutigen fünf Hafenbecken erweitert. 2003 schlossen sich die Häfen von Neuss und Düsseldorf zusammen und schreiben seitdem eine Erfolgsgeschichte. Platz acht: 1963 – Neuss wird Großstadt
Am 20. Januar 1963 katapultiert Christiane Wenke die Stadt Neuss in den Kreis der Großstädte. Sie wird als 100 000. Einwohner der Stadt gefeiert. Genau 50 Jahre nachdem Neuss die Marke von 40 000 Einwohnern übersprungen hatte und aus der Kreisgemeinschaft ausscheiden konnte. Die so errungene Kreisfreiheit konnte die Stadt bei der kommunalen Neuordnung von 1975 nicht behaupten, Großstadt aber ist sie geblieben. Heute ist sie sogar die größte kreisangehörige Stadt Deutschlands. Platz neun: 16 vor Christus – Die Römer gründen Neuss
Bevor die Römer frech geworden (simserimsimmsimm) und in Deutschlands Norden ihre Grenzen aufgezeigt bekamen, hatten sie die – auch im Nachhinein – gute Idee, an der Erftmündung ein befestigtes Lager zu errichten. Das erste – 16 vor Christus im heutigen Gnadental errichtet – und die wenig entfernt an der heutigen Hymgasse entstandene Zivilsiedlung (Vicus) gelten als Keimzelle der Stadt. Platz zehn: 1823 – Gründung des Bürger-Schützen-Vereins
Mit der 1415 gegründeten Sebastianus-Bruderschaft der Schützengesellen (seit 1803 Neusser Scheibenschützen) setzt die Schützentradition ein. Erst die Gründung des Neusser Bürger-Schützen-Vereins im Jahr 1823 leitet die Entwicklung ein, die aus Neuss die Schützenhauptstadt Deutschlands macht.