Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein neues Gesetz für die Tonne

- VON RENA LEHMANN

BERLIN Die Deutschen sehen sich gern als Musterschü­ler im Umgang mit ihrem Müll. Aber sie sind nicht besser als andere Industriel­änder, wenn es um die Vermeidung von Müll geht. Getrennt wird zwar oft fein säuberlich, das Müllaufkom­men aber steigt – mit allen Folgen für Klima und Ressourcen.

Hierzuland­e wird sogar mehr Müll produziert und verbrannt als noch vor der Umstellung auf den grünen Punkt 1990. 617 Kilogramm sogenannte­r Siedlungsa­bfall fielen durchschni­ttlich je Einwohner 2013 an. Das belegen Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s. Damit lag die Abfallmeng­e deutlich über dem europaweit­en Durchschni­tt von rund 481 Kilogramm je Einwohner. Noch höhere Werte gab es nur in Zypern (624 Kilogramm), Luxemburg (653) und Dänemark (747). Hingegen war das Abfallaufk­ommen vor allem in den östlichen EU-Staaten deutlich geringer. Die niedrigste­n Mengen je Einwohner haben Rumänien (272) und Estland (293). Dazu zählen Haushaltsa­bfälle, vergleichb­are Abfälle aus Gewerbe und Industrie sowie Verpackung­sabfälle.

Jetzt könnte man einwenden, dass die Deutschen ihren Müll wenigstens sorgfältig trennen und recyceln. Doch die Recyclingq­uoten stagnieren. Bisher werden lediglich 42 Prozent der Verpackung­en wiederverw­ertet. Seit Jahren fordern Umweltverb­ände, die gesetzlich­e Quote zu steigern, die nur 36 Prozent verlangt.

Die große Koalition will jetzt Schwung und mehr Wettbewerb ins System bringen. Künftig sollen nicht mehr nur Joghurtbec­her und Getränkeka­rtons wiederverw­ertet werden, sondern auch Puppen und Kleiderbüg­el. Und alles soll in eine neue Wertstofft­onne. Das Bundesumwe­ltminister­ium will dazu bis Jahresende ein Gesetz vorlegen. Künftig sollen jährlich fünf Kilo Müll pro Einwohner mehr recycelt werden als bisher. So sieht es ein Eckpunk- tepapier vor, das Umweltpoli­tiker von Union und SPD zusammen erarbeitet haben. Seit zwei Legislatur­perioden ist es den Regierungs­koalitione­n nicht gelungen, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen.

Wer für die Wertstoffe­ntsorgung verantwort­lich sein soll, ist zwischen Kommunen und privaten Entsorgern umstritten. Das Eckpunktep­apier sieht vor, dass künftig eine sogenannte „Zentrale Stelle“festlegt, wie Hersteller und Entsorger zusammenar­beiten. Bisher ist der sogenannte „grüne Punkt“in der Hand von privaten Anbietern, den sogenannte­n dualen Systemen, die Restmüllen­tsorgung ist Sache der Kommunen. Hintergrun­d ist die seit 1991 geltende Verpackung­sverordnun­g, die die Wirtschaft erstmals verpflicht­ete, in Umlauf gebrachte Verpackung­en nach Gebrauch zurückzune­hmen und deren Entsorgung zu organisier­en. Bis dahin waren ausschließ­lich die Gemeinden für die Abfallents­orgung zuständig. „Die dualen Systeme in privater Trägerscha­ft haben versagt. Damit die Leistung für die Bürger transparen­t und aus einer Hand erbracht werden kann, müssen die Kommunen die Verantwort­ung für die Sammlung der Wertstoffe bekommen“, fordert der umweltpoli­tische Sprecher der Grünen, Peter Meiwald. Wenn die Organisati­on in staatliche­r Hand läge, gäbe es mehr Recycling, hoffen die Grünen. Meiwald bezweifelt aber, dass bis zur nächsten Bundestags­wahl ein Wertstoffg­esetz verabschie­det wird.

Die Eckpunkte von CDU und SPD sehen sogar vor, dass die Kommunen bei der Müllentsor­gung mehr Befugnisse erhalten. So sollen sie künftig über Beschaffen­heit und Abhol-Intervalle der Behälter die Hoheit haben, was die privaten Entsorger heftig kritisiere­n. Der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Entsorgung­swirtschaf­t (BDE), Peter Kurth, ist der Meinung: „Die weitgehend­en Durchgriff­srechte der Kommunen auf die private Wirt-

Peter Meiwald (Grüne), schaft sind überflüssi­g, bürokratis­ch und mittelstan­dsfeindlic­h und gefährden die erfolgreic­he Umsetzung der Produktver­antwortung.“

Den kommunalen Verbänden gehen die geplanten Befugnisse unterdesse­n noch nicht weit genug. „Die Wertstoffe­rfassung gehört in kommunale Hand“, meint der Hauptgesch­äftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehme­r, Hans-Joachim Reck. Die privaten Entsorger verstehen dies natürlich als Kampfansag­e. Aus dem Bundesumwe­ltminister­ium heißt es dazu, dass an einem Gesetzentw­urf gearbeitet wird. Ein Sprecher räumte ein, dass „noch einige Hürden“zu nehmen sind. Das Gesetz müsste auch den Bundesrat passieren. Und in der Länderkamm­er droht heftiger Widerstand von den Grünen.

Für den Verbrauche­r würde mit dem neuen Gesetz die Mülltrennu­ng einfacher werden. Streng genommen dürfen jetzt nur Verpackung­en in die gelbe Tonne, die einen grünen Punkt tragen – womit sich also die Hersteller verpflicht­en, für die Entsorgung und Wiederverw­ertung zu zahlen. Andere Artikel aus dem gleichen Material müssen dem Gesetz nach in den Restmüll.

Künftig sollen die Bürger alles, was Plastik und Verpackung ist, in die Wertstofft­onne geben, und auch die Hersteller von Plastikpup­pen und weitere sollen künftig für die Entsorgung zahlen müssen. In manchen Regionen gibt es das System bereits, etwa in Berlin. Zwölf Millionen Bürger haben bundesweit schon eine Wertstofft­onne. „Technisch wäre schon heute sehr viel mehr Wiederverw­ertung möglich“, sagt der CDU-Umweltpoli­tiker Thomas Gebhart. Beim Kunststoff sollen künftig 50 bis 60 Prozent des Materials wiederverw­ertet werden. Bei Papier und Glas werden schon heute Quoten über 70 Prozent erreicht. „So wie bisher das Recycling des Joghurtbec­hers finanziert wird, wird künftig auch das Recycling des Kleiderbüg­els finanziert“, erklärt er. Dabei soll auch Wettbewerb entstehen. „Es ist ein Anreiz, möglichst leichte und recycelbar­e Verpackung­en zu verwenden“, meint Gebhart – um die Kosten für ein Produkt niedriger zu halten.

„Die dualen Systeme in privater Trägerscha­ft

haben versagt“

umweltpoli­tischer Sprecher

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