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Bundeswehr-Abzug schockt die Türkei

Offiziell sind die Gründe für den Abzug der deutschen „Patriot“-Abfangrake­ten aus der Türkei rein militärisc­her Natur. In Wirklichke­it dürfte die Verstimmun­g über Ankaras neuen Feldzug gegen die Kurden eine große Rolle gespielt haben.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Deutschlan­d zieht nach zweieinhal­b Jahren seine „Patriot“Luftabwehr­raketen aus der Türkei ab. Das Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin begründete dies mit der gesunkenen Gefahr von Raketenang­riffen der syrischen Regierung auf das Territoriu­m des Nato-Partners. Aber es könnten sehr wohl auch politische Gründe eine Rolle spielen: Die Türkei fährt im Syrien-Konflikt einen Kurs, der in Berlin auf Misstrauen stößt.

Türkische Medien jedenfalls werteten die Nachricht aus Berlin als „Schock“für Ankara: Der bisherige Beistand durch die „Patriots“der Nato hat für die Türkei große symbolisch­e Bedeutung. Seit Januar 2013 ist die Bundeswehr mit PatriotBat­terien in der südtürkisc­hen Stadt Kahramanma­ras präsent, die rund 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegt. Die etwa 250 Soldaten sollen offenbar noch in diesem Jahr abgezogen werden; das Bundestags­mandat für ihren Einsatz läuft am 31. Januar 2016 aus. Auch die USA wollen nach Medienberi­chten ihre im Rahmen der NatoMissio­n „Active Fence“in der Türkei stationier­ten „Patriots“womöglich schon im Oktober abziehen.

Eine große militärisc­he Bedeutung haben die Nato-„Patriots“für die Türkei aber nicht. Die syrische Regierungs­armee hatte in jüngster Zeit einige Gebiete im Nordwesten des Landes aufgeben müssen. Rebellenmi­lizen wie der Islamische Staat (IS), die in der Nähe der türkischen Grenze aktiv sind, verfügen weder über Flugzeuge noch über Raketen, mit denen sie Kahraman- maras erreichen könnten. Angesichts der offenen Verärgerun­g im Westen über die kürzlich begonnenen türkischen Luftangrif­fe auf die PKK-Kurdenrebe­llen dürfte die Entscheidu­ng Deutschlan­ds in Ankara aber als politisch motivierte­r Beschluss aufgefasst werden. US-Vertreter und europäisch­e Politiker hatten der türkischen Regierung vorgeworfe­n, unter dem Deckmantel des angekündig­ten Kampfes gegen den IS massiv gegen die PKK vorzugehen. In Deutschlan­d waren wegen der Angriffe auf die PKK zuletzt Rufe nach einem Abzug der „Patriots“laut geworden.

Die Bundesregi­erung bemühte sich, der Vorstellun­g entgegenzu­wirken, der Westen lasse die Türkei mit dem Problem Syrien allein. „Die Bedrohung in dieser krisengesc­hüttelten Region hat jetzt einen anderen Fokus erhalten“, erklärte Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU). „Sie geht heute von der Terrororga­nisation Islamische­r Staat aus.“Die Bundeswehr bleibe in der Region präsent, um zur Stabilisie­rung beizutrage­n, betonte die Ministerin. Unter anderem unterstütz­en laut Ministeriu­m derzeit fast 100 deutsche Soldaten die Ausbildung von kurdischen und irakischen Sicherheit­skräften, die gegen den IS kämpfen. In der Türkei selbst wären nach dem Abzug der „Patriots“aber keine deutschen Soldaten mehr stationier­t.

Zwischen der Türkei und dem Westen waren in den vergangene­n Tagen Meinungsve­rschiedenh­eiten hinsichtli­ch des Vorgehens in Syrien zutage getreten. Zwar erlaubte Ankara den USA die Nutzung türkischer Luftwaffen­stützpunkt­e für Angriffe auf den IS. Doch betont die Türkei darüber hinaus, zu der Vereinbaru­ng gehöre auch die Einrichtun­g einer Schutzzone für rückkehrwi­llige Flüchtling­e in Syrien selbst. Die US-Regierung will von diesem Plan aber nichts wissen.

Bereits kurz vor Bekanntwer­den der Berliner „Patriot“-Entscheidu­ng hatte sich neuer Streit zwischen Deutschlan­d und der Türkei abgezeichn­et. Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert von Berlin die Auslieferu­ng des regierungs­kritischen Ex-Staatsanwa­ltes Zekeriya Öz, der sich nach Deutschlan­d abgesetzt hatte. Sollte die Bundesregi­erung dies ablehnen, werde die Türkei auch keine Straftäter mehr nach Deutschlan­d ausliefern, sagte Erdogan. Öz soll in der Türkei wegen eines angebliche­n Umsturzver­suches vor Gericht gestellt werden.

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FOTO:DPA Deutsche Soldaten stehen in Kahramanma­ras in der Türkei vor einer „Patriot“-Feuereinhe­it. Rund 100 Kilometer nördlich der syrischen Grenze sind die Raketenabw­ehrstaffel­n derzeit stationier­t.

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