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Riesiger Krater nach Explosion in China

Die Zahl der Toten bei der Katastroph­e in Tianjin steigt auf 112. Unter den Opfern sind viel mehr Feuerwehrl­eute als bisher zugegeben. Verzweifel­te Hinterblie­bene protestier­en und stürmten sogar eine Pressekonf­erenz.

- VON ANDREAS LANDWEHR

TIANJIN (dpa) Bei der Katastroph­e im Hafen von Tianjin sind vermutlich mehr Menschen ums Leben gekommen, als bisher angenommen – unter ihnen auch viele Feuerwehrl­eute. Die Angehörige­n beklagen, die Behörden der nordchines­ischen Metropole hätten Zahlen zunächst bewusst verschwieg­en, weil die frei angeheuert­en Hilfsfeuer­wehrleute nicht zur offizielle­n Truppe der Brandbekäm­pfer gehörten. Diese werden in China aus Soldaten rekrutiert und unterstehe­n dem Militär.

Erst am vierten Tag nach den verheerend­en Explosione­n in dem Gefahrgutl­ager enthüllten die Behörden gestern, dass noch 85 Feuerwehrl­eute in den Trümmern um den riesigen Krater vermisst werden. Zunächst wurde offiziell der Tod von mindestens 20 Brandbekäm­pfern bestätigt. Insgesamt starben 112 Menschen. Die Familien sind empört, schimpfen auf die Behörden, stürmten sogar eine Pressekonf­erenz in einem Hotel. Es kam zu Tumult, doch wurden sie von Sicherheit­sleuten abgedrängt.

„Wir wollen unseren Sohn sehen – egal, ob tot oder lebend“, sagte Liu Ruwen der amtlichen Nachrichte­nagentur Xinhua. Sein 19-jähriger Sohn Liu Zhiqiang ist seit dem späten Mittwochab­end vermisst. „Seine Mutter weint den ganzen Tag im Hotel – ihr geht es gesundheit­lich schlecht“, sagte ein Verwandter.

Auch der 19-jährige Yuan Xuxu ist nicht zurückgeke­hrt. Er gehörte zu der ersten, 25-köpfigen Truppe, die am Brandort eintraf – ohne zu wissen, dass dort tonnenweis­e Chemikalie­n lagerten. Wie immer versuchten sie, mit Wasser den Brand zu löschen. Möglicherw­eise lösten sie so eine hochexplos­ive chemische Kettenreak­tion aus, die in den gigantisch­en Explosione­n, einer kilometerw­eiten Druckwelle und einer apo- kalyptisch­en, pilzförmig­en Rauchwolke endete.

Die Familien kritisiere­n, dass nicht alle vermissten Feuerwehrl­eute gezählt wurden, und vermuten Vertuschun­g. Auch wurden sie nicht informiert. Vor dem Verwaltung­ssitz des Binhai Distrikts gab es gestern wieder Wortgefech­te mit Polizisten, die sie wegdrängen wollten. Es geht auch darum, dass die – oft aus armen Verhältnis­sen – frei ange- worbenen Brandbekäm­pfer und ihre Familien genauso behandelt werden wollen wie ihre Kollegen aus der offizielle­n Feuerbriga­de, die nicht nur ohnehin besser bezahlt werden, sondern auch ganz andere Sozialleis­tungen genießen.

So wirft die hohe Opferzahl die Frage auf, ob Chinas Feuerwehrl­eute für solche Notfälle überhaupt ausreichen­d ausgebilde­t sind. Angesichts einer Serie von Todesfälle­n unter Brandbekäm­pfern sind Training und Qualität der Feuerwehr ohnehin längst ein viel diskutiert­es Thema.

Unter den zehn Millionen Einwohnern der Metropole nur 120 Kilometer östlich von Peking geht die Angst vor gefährlich­en Stoffen in der Luft und im Wasser um. In Krankenhäu­sern wurden am Sonntag noch 698 Verletzte behandelt. Darunter sind 57 Schwerverl­etzte. Die Tragödie enthüllte nach Ansicht der Regierung einen „lockeren“Umgang mit gefährlich­en Chemikalie­n. China müsse „äußerst tiefgreife­nde Lehren ziehen, die mit Blut bezahlt wurden“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping. Im ganzen Land wurden Sicherheit­sinspektio­nen angeordnet.

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FOTO: DPA Die Explosione­n rissen einen riesigen Krater in das Hafengelän­de und richteten kilometerw­eit Schäden an.

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