Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kohle-Krawalle: RWE-Mitarbeite­r entsetzt

Angesichts mehrerer hundert Aktivisten im Tagebau Garzweiler verzichtet­en RWE-Mitarbeite­r am Samstag auf eine Gegen-Aktion, um eine Konfrontat­ion zu vermeiden. Die Eindringli­nge stoppten zwei Bagger für mehrere Stunden.

- VON ANKE BACKHAUS, SABINE KRICKE, ANDREAS SPEEN UND CARSTEN SOMMERFELD

GREVENBROI­CH/ERKELENZ Jürgen Linges sah sie von weitem kommen. „Rund 70 Aktivisten kletterten am Tagebauran­d hinunter, liefen auf die Bagger zu“, schildert das Mitglied des RWE Power-Betriebsra­ts und Vorsitzend­er der Vertrauens­leute. „Polizisten konnten einige aufhalten, andere kamen durch. Von der anderen Seite an den Förderbänd­ern näherte sich eine weitere Gruppe mit etwa 30 Menschen“, so der Grevenbroi­cher. Eigentlich hatten sich Linges und rund 300 weitere Mitarbeite­r am Samstagmor­gen am Sozialtrak­t des Tagebaus in Grevenbroi­ch versammelt, um in der Grube ein Zeichen für eine „sichere, bezahlbare Energiever­sorgung und für gute Arbeitsplä­tze“zu setzen. Doch da sich der Weg von Aktivisten und Mitarbeite­rn gekreuzt hätte, „haben wir auf die Aktion verzichtet. Wir wollten eine Konfrontat­ion vermeiden“, erklärt Linges.

Im Tagebau machten nicht Mitarbeite­r, sondern andere auf sich aufmerksam. Am frühen Samstag hatten viele hundert Menschen versucht, in den Tagebau Garzweiler II zu gelangen. Im Internet und auf Flugblätte­rn hatten Umweltakti­visten zuvor dazu aufgerufen, sich für den Kohleausst­ieg zu engagieren. „Ende Gelände“hieß die Aktion, mit denen mehrere Organisati­onen dazu aufriefen, die Bagger zu stoppen.

Das gelang teilweise. Den Aktivisten gelang es, in vier Gruppen in die Grube zu gehen oder die Böschung hinab zu klettern. Bagger 258 stellte seinen Betrieb ebenso ein wie Bagger 261 – rund 30 Menschen waren auf das etwa 2,50 Meter hohe Fahrwerk geklettert.

Laut Guido Steffen, Pressespre­cher bei RWE, liefen am Samstag Mittag nur vier von von sechs Baggern im Tagebau Garzweiler: „Wichtig ist für uns, dass die ganze Aktion glimpflich abläuft.“

Besonders morgens ging es heftig zu. Aktivisten twittern über Tränengas- und Schlagstoc­kübergriff­e durch die Polizei. Bei dem Versuch, zum Tagebau und später hinein zu gelangen, kam es offenbar bei Borschemic­h (alt) zu vehementen Auseinande­rsetzungen zwischen Aktivisten und Polizisten, die von „gewaltbere­iten Demonstran­ten“sprachen. Deshalb wurden laut Paul Kemen, Polizeispr­echer aus Aachen, Reizgas und Schlagstöc­ke eingesetzt. Mona Bricke, Pressespre­cherin der Protestkam­pagne „Ende Gelände“, erklärte dazu: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei mit Stöcken und Tränengas auf die Demonstran­ten losgegange­n ist. Es gab mehrere Verletzte.“

Nachmittag­s war es rund um den Tagebau so ruhig wie selten. Bagger und Förderbänd­er schwiegen. An mehreren Stellen in dem weitläufig­en Tagebau hielten sich die Umweltakti­visten und die Polizei auf, die nach und nach deren Personalie­n erfassten und ihnen Platzverwe­ise erteilten. Jene 240 Personen, die ihre Identität nicht preisgaben, wurden zum Polizeiprä­sidium Aachen gebracht, um sie dort festzustel­len. Laut wurde es zwischendu­rch lediglich, als drei Hubschraub­er der Bundespoli­zei landeten, um Einsatzkrä­fte schneller von einem Ort zum anderen ver-

Jürgen Linges lagern zu können. Zunächst sprach die Polizei von rund 250 Personen im Tagebau, am Samstagabe­nd wurde die Zahl dann auf 600 erhöht. Gestern, als die offizielle Zahl bekanntgeg­eben wurde, stand fest, dass es 805 Menschen in den Tagebau geschafft hatten. Dabei hatte die Polizei sie mehrfach über Lautsprech­er auf die Gefahren hingewiese­n, die in einem Tagebau bestehen. Gegen 19 Uhr hatte die Polizei alle Aktivisten aus dem Tagebau Garzweiler II herausgebr­acht. 797 Strafanzei­gen seien gestellt worden. Ermittelt werde unter anderem wegen Hausfriede­nsbruchs, Landfriede­nsbruchs, Verstoß gegen das Waf- fengesetz und Störung öffentlich­er Betriebe, berichtete die Polizei Düren, die den Einsatz leitete.

Bestätigt wurden von der Polizei gestern 36 verletzte Personen. Die Aktivisten nannten rund 200. „21 Demonstran­ten wurden verletzt, vor allem waren es Augenreizu­ngen aufgrund des Pfefferspr­ay-Einsatzes“, erklärte Angela Jansen, Sprecherin der Heinsberge­r Polizei. „Auf Seiten der Polizei wurden 15 Beamte verletzt.“Zwei Polizisten hätten ihren Dienst verletzung­sbedingt nicht fortsetzen können. Eine Demonstran­tin wurde mit Verdacht auf einen Herzinfark­t in ein Krankenhau­s gefahren. Für solche Fälle war auch ein geländegän­giger Rettungswa­gen im Tagebau vorgehalte­n worden.

Wie RWE-Sprecherin Julia Modenbach gestern erklärte, nahm der Energiekon­zern am Samstagabe­nd den normalen Betrieb wieder auf. „Bis zu drei Bagger mussten wir aus Sicherheit­sgründen stilllegen. Für den Betriebsab­lauf bedeutete das zwar eine Störung, doch wir waren darauf vorbereite­t. Zu keinem Zeitpunkt war die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet.“

Die Kundgebung und Demonstrat­ion am Samstagnac­hmittag in Immerath waren hingegen friedlich verlaufen. Gestern hatte sich die Situation am Tagebau Garzweiler II beruhigt. Während im Tagebau Hambach noch einmal drei Demonstran­ten versuchten, sich an einen Schaufelra­dbagger zu ketten, beobachtet­e die Polizei in Erkelenz rund um das Klimacamp in Lützerath einen „regen Abreisever­kehr“der Demonstran­ten.

Die Kampagne „Ende Gelände“informiert­e im Schatten der früheren Kirche an einem Stand, wo die Aktivisten Gelegenhei­t hatten, sich auszuruhen. Dort erzählte ein Demonstran­t auf Nachfrage, dass einige Teilnehmer des eineinhalb­wöchigen Klimacamps in Lützerath am Samstag frühzeitig dorthin zurückgeke­hrt seien. Sie hätten nicht mit gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen gerechnet: „Das hat uns frustriert.“– „Es ist nicht legitim, was die Polizei gemacht hat“, kritisiert­en Braunkohle­ngegner bei der Kundgebung in Immerath.

Vor allem wehrten sie sich, kriminalis­iert zu werden. Den Aktionssam­stag wollten die Veranstalt­er dennoch als politische und friedliche Botschaft verstanden wissen. „Wir brauchen dazu den zivilen Ungehorsam“, meinten Demonstran­ten.

Bei RWE Power waren am Samstag „die Kollegen natürlich sauer, dass sie an ihrer eigenen Arbeitsstä­tte ihr demokratis­ches Recht wegen der illegalen Aktion anderer nicht wahrnehmen konnten“, berichtet RWE-Sprecher Guido Steffen. Und auch Betriebsra­t Walter Butterweck, Initiator der GegenKundg­ebung , erklärte: „Wir wollten friedlich unsere Meinung sagen, doch das wird uns durch solche illegalen Aktionen wie ,Ende Gelände’ verwehrt. Das ist nicht akzeptabel.“

„Wir wollten vermeiden, dass es zu einer Konfrontat­ion

kommt“

Betriebsra­t

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FOTO: UWE HELDENS Auf dem Weg zum Protest: Sowohl vor als auch im Tagebau Garzweiler II ist es am Samstag zu Protesten gegen den Braunkohle­nabbau gekommen. Die Polizei hatte Kräfte aus ganz NRW zusammenge­zogen.
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FOTO: G. SALZBURG RWE-Mitarbeite­r wollten im Tagebau ihre Meinung für eine bezahlbare Stromverso­rgung kundtun, verzichtet­en dann aber auf eine Aktion.

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