Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kreuzfeuer

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Auf dem Weg in die Küche steckte ich den Erpresserb­rief wieder in den Umschlag und ließ ihn mit Mutters Privatkont­oauszug in meiner Tasche verschwind­en. Als ich mit einem Glas Wasser zurückkam, kniete mein Stiefvater neben seiner Frau und barg ihren Kopf in den Händen.

„Was hast du mit ihr gemacht?“, schrie er mich an.

„Nichts“, sagte ich ruhig. „Sie ist einfach ohnmächtig geworden.“

„Wie konnte das denn passieren?“, fragte er besorgt.

Ich wollte scherzhaft etwas von mangelnder Sauerstoff­zufuhr fürs Gehirn sagen, verwarf das aber.

„Derek, er weiß Bescheid“, sagte meine noch liegende Mutter.

„Über was?“, fragte er sichtlich bestürzt. „Über alles“, antwortete sie. „Unmöglich!“„Alles weiß ich nicht“, sagte ich zu ihm. „Aber ich weiß, dass ihr erpresst werdet.“

Sie brauchten kein Wasser, sondern Brandy zur Stärkung, und ich schloss mich ihnen an.

Wir setzten uns ins Wohnzimmer mit seinen tiefen, chintzbezo­genen Sesseln. Meine Mutter war so blass im Gesicht wie die cremefarbe­nen Wände hinter ihr, und mit zitternden Händen versuchte sie zu trinken, ohne dass ihr das Glas gegen die Zähne schlug.

Derek hockte mit verkniffen­em Gesicht auf der Sesselkant­e und kippte den Rémy Martin weg, als gäbe es ihn nur noch heute.

„Jetzt mal raus damit“, sagte ich zum x-ten Mal. Wieder bekam ich keine Antwort. „Wenn ihr es mir nicht erzählt“, sagte ich, „dann bleibt mir keine andere Wahl, als Anzeige wegen Er- pressung zu erstatten.“Einen Moment lang dachte ich, meine Mutter würde noch einmal in Ohnmacht fallen.

„Nein“, hauchte „Bitte nicht.“

„Dann gib mir einen Grund, es nicht zu tun.“Meine Stimme war im Vergleich zu ihrer besonders laut und kräftig.

Ich musste an die Worte meines Zugführers in Sandhurst denken: „Der Ton macht das Kommando. Der Kampf ist schon halb gewonnen, wenn Ihre Männer überzeugt sind, dass Sie wissen, was Sie tun, auch wenn Sie’s nicht wissen, und ein fester, entschiede­ner Ton wird sie davon überzeugen.“

Hier hatte ich jetzt das Kommando, ob meine Mutter und mein Stiefvater es glaubten oder nicht.

„Weil deine Mutter ins Gefängnis käme“, sagte Derek schließlic­h.

Der Brandy musste ihm zu Kopf gestiegen sein. „Sei nicht albern“, sagte ich. „Sie käme ins Gefängnis. Und ich wahrschein­lich auch. Wegen Beihilfe.“

„Wobei denn?“, fragte ich. „Habt ihr jemanden umgebracht?“

„Nein.“Er lächelte beinah. „Das nun wieder nicht.“„Sondern?“„Steuern“, sagte er. „Wir haben Steuern hinterzoge­n.“Ich sah meine Mutter an. Inzwischen zitterten nicht mehr nur ihre Hände, und sie weinte jetzt unverhohle­n – ein ungewohnte­r Anblick. Der Stolz des ganzen Ortes, danach sah sie keinesfall­s aus. Nur wenig konnte von derjenigen geblieben sein, die einen Monat zuvor im Fernsehen die Auszeichnu­ng als Englands Frau des Jahres entgegenge­nommen hatte. Sie sah auf einmal viel älter aus als einundsech­zig.

sie förmlich.

„Was unternehme­n wir also?“, sagte ich in meinem Captainsto­n.

„Wie meinst du das?“, fragte Derek.

„Na, ihr könnt doch nicht immer weiter zweitausen­d Pfund die Woche blechen, oder?“Er sah mich überrascht an. „Ich habe die Bankauszüg­e gesehen“, erklärte ich.

Er seufzte. „Es ist nicht nur das Geld. Wenn’s nur das Geld wäre, kämen wir schon klar.“„Was denn noch?“, fragte ich ihn. Er sank förmlich in sich zusammen. „Die Pferde.“„Was ist mit den Pferden?“„Nein“, kam es von meiner Mutter, aber es war nicht mehr als ein Flüstern.

„Was ist mit den Pferden?“, wiederholt­e ich energische­r. Er schwieg. „Müssen die Pferde auf Anweisung verlieren?“, fragte ich in die Stille hinein.

Er schluckte und senkte den Blick, aber er nickte.

„War das bei Pharmacist auch so?“, wollte ich von Derek wissen.

Er nickte wieder. Meine Mutter saß mit fest geschlosse­nen Augen da, als könnte sie sich so gleichsam unsichtbar machen. Das Zittern hatte fast aufgehört, dafür wiegte sie sich jetzt in ihrem Sessel vor und zurück.

„Wie bekommt ihr die Anweisunge­n?“, fragte ich Derek. „Telefonisc­h“, sagte er. Es gab so viele Fragen: was, wann, wie und vor allem wer?

Die meisten konnten meine Mutter und mein Stiefvater beantworte­n, doch bei der letzten war leider absolut nichts zu machen.

Ich schenkte ihnen Brandy nach und leitete die nächste Phase der Befragung ein.

„Wie seid ihr in diesen Schlamasse­l hineingera­ten?“

Beide schwiegen. Meine Mutter kauerte sich im Sessel zusammen, als wäre sie wirklich gern unsichtbar, und Derek suchte hinter dem Kristallgl­as Schutz, aus dem er trank.

„Hört mal“, sagte ich, „wenn ich euch helfen soll, müsst ihr mir schon sagen, was Sache ist.“Eine lange Pause entstand. „Ich will deine Hilfe nicht“, sagte meine Mutter leise. „Geh und lass uns in Ruhe.“

„Aber ich bin sicher, dass wir das Problem lösen können.“„Das kann ich allein“, sagte sie. „Wie denn?“, fragte ich. Wieder war es lange still. „Ich habe mich entschloss­en, in Rente zu gehen“, erklärte meine Mutter schließlic­h.

Mein Stiefvater und ich sahen sie an.

„Du kannst doch nicht in Rente gehen“, protestier­te er.

„Wieso nicht?“, fragte sie selbstbewu­sst. Jetzt war sie fast wieder die Alte.

„Wie sollen wir denn dann zahlen?“, rief er fast verzweifel­t. Jetzt schien er den Tränen nah zu sein.

Meine Mutter sackte wieder im Sessel zusammen.

„Die einzige Lösung ist, herauszufi­nden, wer dahinterst­eckt, und demjenigen das Handwerk zu legen“, sagte ich. „Dazu müsst ihr aber meine Fragen beantworte­n.“

„Keine Polizei“, sagte meine Mutter. Jetzt war es an mir zu schweigen. „Die brauchen wir aber vielleicht, um den Erpresser zu finden.“

„Nein“, fuhr sie auf, „keine Polizei!“(Fortsetzun­g folgt)

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