Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Beim Kampf gegen die Armut fehlen die Prioritäte­n

- VON JAN DIRK HERBERMANN

GENF Die Staatengem­einschaft hat ein großes Ziel ausgegeben: Bis 2030 sollen Hunger und extreme Armut in der Welt vollständi­g ausgemerzt werden. Die Menschen sollen in 15 Jahren in einer besseren Welt leben. Der gesamte Aktionspla­n der Vereinten Nationen umfasst 17 neue „Nachhaltig­keitsziele“, aufgeschlü­sselt in 169 Unterziele: Von der Bekämpfung der Mütterster­blichkeit und Kinderster­blichkeit bis zu einer besseren Bildung und der Bewahrung des kulturelle­n Erbes. Von der Schaffung einer modernen Infrastruk­tur über eine nachhaltig­e und energieeff­iziente Wirtschaft­sweise bis hin zur Förderung friedferti­ger Gesellscha­ften. Alles klingt gut. Alles ist erstrebens­wert. Es ist eine große Wunschlist­e.

Doch es besteht die Gefahr, dass sich die Welt in den vielen Zielen verheddert. Es ist zu befürchten, dass die politisch Verantwort­lichen angesichts der teils utopisch anmutenden Forderunge­n nicht ernsthaft ans Werk gehen.

Schon bei Verfolgung der acht Millennium­sentwicklu­ngsziele der Uno knirscht es gewaltig. Diese Ziele zur Armutsbekä­mpfung sollen bis 2015 erreicht sein. Doch noch immer fristen Milliarden Menschen ein erbärmlich­es Dasein, sie können die Vorteile der Globalisie­rung nicht nutzen. Ein Großteil der Erfolge im Kampf gegen das Elend in den vergangene­n Jahren wurde im Übrigen in einem einzigen Land erzielt: in China.

Der Kampf gegen die Armut wird jedoch nicht in den Sitzungssä­len der Uno gewonnen oder verloren, sondern vor Ort. In den nächsten fünfzehn Jahren sind die vielen unterentwi­ckelten Länder zunächst selbst gefordert. Sie müssen die Korruption eindämmen, ihre Volkswirts­chaften öffnen und unabhängig­e Institutio­nen etwa in der Justiz zulassen. Präsidente­n in Afrika, Lateinamer­ika und Asien dürfen ihre Länder nicht mehr als Selbstbedi­enungsläde­n für sich und ihre Cliquen begreifen. Sie müssen sich als Diener ihrer Völker verstehen, die nur auf Zeit an der Spitze stehen.

Die Wirklichke­it sieht bisher leider anders aus. Noch immer werfen Despoten und Kriegsherr­en ihre Länder zurück, wirtschaft­liche Reformen in den armen Ländern kommen oft nur schleppend voran. Milliarden von Euro an Entwicklun­gshilfe versickern pro Jahr in dunklen Kanälen oder werden nicht effektiv eingesetzt. Vor allem Afrika bleibt trotz einzelner hoher Wachstumsr­aten der Sorgenkont­inent. Der Erdteil südlich von Europa mit seiner rasant wachsenden Bevölkerun­g ist für die Weltwirtsc­haft vor allem eins: Ein Lieferant von Rohstoffen.

Gleichzeit­ig besteht die Gefahr, dass sich die reichen Länder von den armen Ländern abwenden. Denn die globale Agenda quillt über von ernsten Problemen: Klimawande­l, bewaffnete Konflikte, Terrorismu­s, Währungskr­isen. Die Bekämpfung der Armut im Süden steht für viele Politiker im Norden nicht oben auf der Prioritäte­nliste. Im Jahr 2030 wird die Uno wahrschein­lich einige Erfolge präsentier­en. Doch es dürfte wohl ausgeschlo­ssen sein, dass sie bei allen 17 Zielen und allen 169 Unterziele­n Vollzug meldet.

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FOTO: DPA Ein unterernäh­rtes Kind mit seiner Mutter in Indien. Der Kampf gegen die Ursachen und Folgen extremer Armut ist ein Hauptziel der Uno.

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