Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Beim Kampf gegen die Armut fehlen die Prioritäten
GENF Die Staatengemeinschaft hat ein großes Ziel ausgegeben: Bis 2030 sollen Hunger und extreme Armut in der Welt vollständig ausgemerzt werden. Die Menschen sollen in 15 Jahren in einer besseren Welt leben. Der gesamte Aktionsplan der Vereinten Nationen umfasst 17 neue „Nachhaltigkeitsziele“, aufgeschlüsselt in 169 Unterziele: Von der Bekämpfung der Müttersterblichkeit und Kindersterblichkeit bis zu einer besseren Bildung und der Bewahrung des kulturellen Erbes. Von der Schaffung einer modernen Infrastruktur über eine nachhaltige und energieeffiziente Wirtschaftsweise bis hin zur Förderung friedfertiger Gesellschaften. Alles klingt gut. Alles ist erstrebenswert. Es ist eine große Wunschliste.
Doch es besteht die Gefahr, dass sich die Welt in den vielen Zielen verheddert. Es ist zu befürchten, dass die politisch Verantwortlichen angesichts der teils utopisch anmutenden Forderungen nicht ernsthaft ans Werk gehen.
Schon bei Verfolgung der acht Millenniumsentwicklungsziele der Uno knirscht es gewaltig. Diese Ziele zur Armutsbekämpfung sollen bis 2015 erreicht sein. Doch noch immer fristen Milliarden Menschen ein erbärmliches Dasein, sie können die Vorteile der Globalisierung nicht nutzen. Ein Großteil der Erfolge im Kampf gegen das Elend in den vergangenen Jahren wurde im Übrigen in einem einzigen Land erzielt: in China.
Der Kampf gegen die Armut wird jedoch nicht in den Sitzungssälen der Uno gewonnen oder verloren, sondern vor Ort. In den nächsten fünfzehn Jahren sind die vielen unterentwickelten Länder zunächst selbst gefordert. Sie müssen die Korruption eindämmen, ihre Volkswirtschaften öffnen und unabhängige Institutionen etwa in der Justiz zulassen. Präsidenten in Afrika, Lateinamerika und Asien dürfen ihre Länder nicht mehr als Selbstbedienungsläden für sich und ihre Cliquen begreifen. Sie müssen sich als Diener ihrer Völker verstehen, die nur auf Zeit an der Spitze stehen.
Die Wirklichkeit sieht bisher leider anders aus. Noch immer werfen Despoten und Kriegsherren ihre Länder zurück, wirtschaftliche Reformen in den armen Ländern kommen oft nur schleppend voran. Milliarden von Euro an Entwicklungshilfe versickern pro Jahr in dunklen Kanälen oder werden nicht effektiv eingesetzt. Vor allem Afrika bleibt trotz einzelner hoher Wachstumsraten der Sorgenkontinent. Der Erdteil südlich von Europa mit seiner rasant wachsenden Bevölkerung ist für die Weltwirtschaft vor allem eins: Ein Lieferant von Rohstoffen.
Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich die reichen Länder von den armen Ländern abwenden. Denn die globale Agenda quillt über von ernsten Problemen: Klimawandel, bewaffnete Konflikte, Terrorismus, Währungskrisen. Die Bekämpfung der Armut im Süden steht für viele Politiker im Norden nicht oben auf der Prioritätenliste. Im Jahr 2030 wird die Uno wahrscheinlich einige Erfolge präsentieren. Doch es dürfte wohl ausgeschlossen sein, dass sie bei allen 17 Zielen und allen 169 Unterzielen Vollzug meldet.