Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Faktenchec­k: Wie schlimm ist Braunkohle?

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Die Braunkohle ist für Nordrhein-Westfalen das, was das Atommüll-Lager Gorleben für Niedersach­sen ist: seit Jahrzehnte­n Anlass für Streit und Gewalt, Sprengstof­f für Landesregi­erungen. Seit vier Jahren veranstalt­en Aktivisten Klimacamps im rheinische Revier, nun ist der Protest eskaliert. Wie schädlich ist die Braunkohle? Bei der Braunkohle-Verfeuerun­g entsteht naturgemäß besonders viel Kohlendiox­id (CO2). Das Gas ist zwar natürliche­r Bestandtei­l der Luft, trägt aber in hoher Konzentrat­ion maßgeblich zur Erderwärmu­ng bei, die für Klimawande­l, Dürre und Überflutun­gen verantwort­lich gemacht wird. Daher gilt Braunkohle vielen als schmutzige Energie und Klimakille­r. Bei der Verfeuerun­g einer Tonne Braunkohle entsteht im Schnitt und in Abhängigke­it von der Effizienz des Kraftwerke­s eine Tonne Kohlendiox­od. Das ist viel im Vergleich zu anderen Energieträ­gern: Bei einem Gaskraftwe­rk fällt nur ein Drittel so viel CO2 an – von Windkrafta­nlagen und auch Atomkraftw­erken ganz zu schweigen.

Da sich Deutschlan­d verpflicht­et hat, seinen Ausstoß an Treibhausg­asen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken, steht die Braunkohle auch bei der Bundesregi­erung besonders im Fokus. Nach langem Streit hat Schwarz-Rot die zunächst geplante Klimaabgab­e zwar abgeräumt. Doch sie hat die Branche verpflicht­et, Braunkohle­kraftwerke mit einer Kapazität von 2,7 Gigawatt aus dem Markt zu nehmen (wenngleich die Stromkunde­n den Konzernen hierfür einen Ausgleich zahlen müssen). Wie wirtschaft­lich ist Braunkohle? Wirtschaft­lich gesehen fällt die Bewertung besser aus. Anders als Strom aus Steinkohle, Wind- und Sonnenkraf­t kommt Braunkohle ohne staatliche Förderung aus. Sie ist der einzige heimische Energieträ­ger, der subvention­sfrei ist. Zugleich ist die Stromerzeu­gung aus Braunkohle viel günstiger als aus Gas. Entspreche­nd hat Braunkohle den größten Anteil am deutschen Strommix: 26 Prozent des Stroms kommen aus der Braunkohle. Aller- dings ist der Energieträ­ger auch deshalb so günstig, weil die Belastung des Klimas lange Zeit umsonst war beziehungs­weise heute durch den europäisch­en Handel von Verschmutz­ungsrechte­n nur unzureiche­nd berücksich­tigt wird. Welche Bedeutung hat Braunkohle für NRW? Braunkohle wird von Vattenfall und Mibrag in Ostdeutsch­land abgebaut, von RWE im rheinische­n Revier. Hier betreibt der zweitgrößt­e deutsche Energiekon­zern drei Tagebaue, in denen die Kohle gefördert und direkt in nahe gelegenen Kraftwerke­n verfeuert wird. Direkt beschäftig­t RWE im rheinische­n Revier 10000 Menschen, 20000 weitere Arbeitsplä­tze etwa bei Zulieferer­n hängen indirekt an der Braunkohle. Das Wohl ganzer Städte hängt an der Braunkohle, nicht umsonst heißt Grevenbroi­ch „Energiehau­ptstadt“. RWE ist auch ein wichtiger Gewerbeste­u- erzahler für die Braunkohle-Kommunen: Jüngst haben Betriebspr­üfer den Konzern verdonnert, einen dreistelli­gen Millionen-Betrag nachzuzahl­en. Wie lange soll in NRW noch Braunkohle abgebaut werden? Bislang sahen die Pläne von RWE vor, dass der Tagebau Inden bis 2030 ausgekohlt ist, die Tagebaue Hambach und Garzweiler Braunkohle bis 2050. Allerdings beziehen sich die entspreche­nden Genehmigun­gen nicht auf das Jahr, sondern die Abbaumenge. Und die will die rot-grüne Landesregi­erung nun verkleiner­n: Im Tagebau Garzweiler II sollen nur noch 900 Millionen statt 1,2 Milliarden Tonnen abgebaut werden. Im Herbst will die Landesregi­erung dazu ihre Leitentsch­eidung vorlegen. Dann will sie auch etwas zum Abbau nach 2030 sagen. Das Ganze soll in einem öffentlich­en Konsultati­onsprozess beraten werden. Dies wäre eine gute Gelegenhei­t für die Braunkohle-Gegner, ihren Protest auf legalem Wege einzubring­en.

Die Bundesnetz­agentur erwartet ohnehin ein viel schnellere­s Ende für die Braunkohle-Verstromun­g. Nach einem vor einigen Monaten erstellten Szenario muss RWE im Extremfall bis 2025 rund 20 Kraftwerks-Blöcke im rheinische­n Revier abschalten. Dann wird mindestens ein Tagebau überflüssi­g. Wie viele Bürger sind von den Umsiedlung­en betroffen? Anders als Steinkohle wird Braunkohle im Tagebau gewonnen. Entspreche­nd müssen für die Bagger Dörfer und Menschen weichen. Für die drei Tagebaue im rheinische­n Revier wurden bislang 38000 Menschen umgesiedel­t. In der Regel werden sie von RWE großzügig entschädig­t, verlieren aber ihre Heimat. Für den Tagebau Garzweiler steht noch die Umsiedlung für rund 1500 Menschen der Ortschafte­n Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestr­ich sowie Berverath an. Der Ort Holzweiler soll nach dem Willen der Landesregi­erung verschont bleiben.

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FOTO: DPA Klimaaktiv­isten vor einem Schaufelra­dbagger am Tagebau Garzweiler: Der Protest endete gewaltsam.

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