Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Wer den Grexit möchte, will die Griechen bestrafen“
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung begrüßt das dritte Hilfspaket und fordert einen Schuldenerlass.
Nicht wenige halten den Internationalen Währungsfonds (IWF) für entbehrlich in Griechenland. Ist er das?
FRATZSCHER Nein. Den IWF an Bord zu behalten, ist extrem wichtig. Er hat jahrzehntelange Expertise mit solchen Hilfsprogrammen, die wir Europäer nicht haben. Es ist auch wichtig, dass eine unabhängige Institution von außen mit draufschaut. Weder die EU-Kommission noch die Europäische Zentralbank haben diese Unabhängigkeit.
Warum wird es ohne Schuldenerleichterungen für Athen nicht gehen?
FRATZSCHER Die Schuldenlast wird im nächsten Jahr auf 200 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, weil die Wirtschaft noch weiter schrumpft. Mit einer solchen Quote ist es unmöglich, wieder Vertrauen bei Investoren herzustellen. Nur durch Investitionen kommt aber das Wachs- tum zurück. Um wieder Wachstum zu bekommen, ist also die Reduzierung des Schuldenbergs so wichtig. Wenn Sie als privater Investor überlegen, in Griechenland zu investieren, werden Sie das nicht tun, wenn Sie diesen riesigen Schuldenberg sehen. Denn Sie werden als privater Investor immer schlechter behandelt als öffentliche Gläubiger, wenn es um die Rückzahlung der Schulden geht.
Sollen die Rückzahlungen der Hilfskredite nochmals um 40 Jahre in die Zukunft verschoben werden?
FRATZSCHER Man kann das tun, aber es wird nicht ausreichen, um das Vertrauen der Menschen und Investoren wieder herzustellen. Deshalb wäre es deutlich besser, die Schuldenrückzahlung an das Wachstum in Griechenland zu koppeln.
Sind wir schon auf dem Weg in die Transferunion, die viele fürchten?
FRATZSCHER Wir müssen klar unterscheiden zwischen einer Transferunion und einer Haftungsunion. Die Euro-Zone ist eine Haftungsunion, das war sie immer. Aber es ist keine Transferunion, in der Gelder systematisch von einem Land ins andere fließen. Das ist auch nicht notwendig, damit die Euro
Zone funktioniert.
Benötigt die Euro-Zone zusätzlich nicht eine Staatsinsolvenzordnung?
FRATZSCHER Ja. Die Idee ist: Wenn es zu einem Schuldenerlass für einen Staat kommen muss, müssen die privaten Investoren mithaften. Aber alleine könnte eine Staatsinsolvenzordnung schädlich sein und ist unzureichend. Für viel wichtiger halte ich, dass Europa Mechanismen schafft, damit sich alle Staaten an die gemeinsamen Regeln halten.
Was braucht Europa dafür konkret?
FRATZSCHER Wir benötigen einen europäischen Finanzminister, der Durchgriffsrechte auf nationale Budgets hat. Das beschneidet die Souveränitätsrechte der Nationalstaaten nicht, denn die gemeinsamen Fiskalregeln gibt es ja bereits, es geht lediglich um die strikte Einhaltung dieser Regeln. Der europäische Finanzminister hätte den Griechen schon vor zehn Jahren gesagt: So könnt ihr nicht wirtschaften.
Der Euro-Austritt Griechenlands wird erneut verhindert. Macht die Bundeskanzlerin alles richtig?
FRATZSCHER Wir sollten auch mal zugestehen, dass sich die Bundesregierung in der Griechenland-Krise bisher sehr weise und klug verhalten hat. Ein Grexit würde Griechenland in eine tiefe Depression stürzen und für die deutschen Steuerzahler riesige Verluste bedeuten. Ich halte einen Grexit für eine sehr nationalistische Forderung in Deutschland. Wer das fordert, wird getragen vom Wunsch, die griechischen Bürger und vor allem die Schwächsten von ihnen zu bestrafen. Wir sollten der Versuchung widerstehen, irgendjemand bestrafen zu wollen.
DIE FRAGEN STELLTE B. MARSCHALL.