Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Seb Coe soll die Leichtathletik retten
Der Ex-Mittelstreckler und der frühere Stabhochspringer Bubka wollen Präsident des Weltverbands werden.
PEKING/DÜSSELDORF Es gab Zeiten – man kann es sich heute kaum vorstellen –, da bestimmten nicht die Läufer aus dem Osten Afrikas die Mittelstrecken. In den 1980er Jahren war der Brite Sebastian Coe eine große Nummer, 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles gewann er Olympia-Gold über 1500 Meter. Nun steht er erneut im Mittelpunkt. Er will Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF)
Clemens Prokop werden und den zwielichtigen Senegalesen Lamine Diack ablösen. Die Wahl findet morgen in Peking statt. Favorit Coe (58) und Sergej Bubka (52), der Stabhochsprungweltrekordler aus der Ukraine, bewerben sich um das hohe Amt.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband wird den ehemaligen Läufer unterstützen. „Beide sind hervorragende Kandidaten, aber der DLV sieht bei Coe das noch größere Reformpotential“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop. Die Leichtathletik steckt in einer schweren Krise, sie braucht grundlegende Veränderungen. Die Kernsportart der Olympischen Spiele droht kurz vor Beginn der Weltmeisterschaften im Vogelneststadion von Peking im Dopingsumpf zu versinken. Prokop sagt, dass „ein Schatten auf der WM“liegt.
Seit Monaten reisen die beiden Präsidentschaftskandidaten um die Welt, um für sich zu werben. Hatten sie sich noch zu Beginn ihres Wahlkampfes die Modernisierung der Leichtathletik auf die Fahnen geschrieben, ist nun Doping das allgegenwärtige Thema. Und dort liegt auch der größte Unterschied in den beiden ansonsten ähnlichen Programmen: Während Bubka die Zusammenarbeit mit der Wada befürwortet, plädiert Coe für seine Sportart für eine unabhängige Anti-Doping-Organisation.
Trotzdem ließ er sich dazu hinreißen, die letzten Enthüllungen über weit verbreitetes Doping in der Leichtathletik als „Kriegserklärung“an die Sportart zu kommentieren. Was ihm viel Kritik außerhalb der IAAF einbrachte, bei der Wahl aber vielleicht noch ein paar Stimmen zusätzlich bescheren könnte.
„Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass die beiden über Sachen wie Korruptionszahlungen oder Dopingproben-Freikäufe nie Bescheid gewusst haben. Das kann unmöglich an einem Vizepräsidenten vorbeigegangen sein“, sagte Diskus-Olympiasieger Robert Harting, „ich weiß aber, dass man zumindest den Anschein hegen muss, gleichartig zu sein, um in die Position zu kommen, um Dinge zu verändern.“
Sein sportpolitisches Meisterstück lieferte Coe, der stets agil und jugendlich und mit seiner Lesebrille auf der Nase einen Hauch intellektuell aussieht, als Chef des Organisationskomitees der Olympischen Spiele 2012 in London. Er steht permanent in der Öffentlichkeit und genießt hohes Ansehen. Er führt den Titel Baron Coe of Ranmore und wurde mit verschiedenen Stufen des Order of the British Empire ausgezeichnet. Von 1992 bis 1997 saß er für die Konservativen im Parlament. Die Rolle Coes beim Marketingunternehmen CSM wirft freillich Fragen auf. Beratend war CSM unter anderem sowohl bei der Vergabe der umstrittenen Europaspiele sowie vier Begegnungen der Fußball-EM 2020 an Baku (Aserbaidschan) tätig.
Coes größte Zeit als Sportler begann 1979, als er in Oslo den Weltrekord über 800 Meter verbesserte. Zwölf Tage später lief er ebenfalls in Oslo einen Weltrekord über die Meile. Und einen Monate danach steigerte er in Zürich die Weltbestmarke über 1500 Meter. „Seb“, wie er auf der Insel kurz genannt wird, war der erste Läufer, der die Bestmarken auf den drei Mittelstrecken gleichzeitig hielt. „Sebastian Coe sammelte Rekorde wie Jungen Fußballbildchen“, schrieb „The Guardian“.
„Der Deutsche Leichtathletik-Verband sieht bei Coe das größere Reformpotential“
DLV-Präsident