Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jonathan Meese und sein Mutterschl­oss

In der Düsseldorf­er Kunsthalle hat der Künstler seine Installati­on errichtet. Ein Treffen mit dem sanft gestimmten Rebell.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF „Mami ist Abwehr“, schreibt mir Jonathan Meese am Abend auf ein weißes Kärtchen. Er setzt zwei augenähnli­che Figuren zu den Großbuchst­aben. Was das bedeutet? „Abwehr von allem Bösen“, sagt er. Dabei lacht er donnernd. Er ist gut drauf, freundlich zugewandt. Seine Mutter Brigitte, die Schlüsself­igur in seinem Leben und Werk, ist nicht mit nach Düsseldorf gekommen. Ausnahmswe­ise. Die 85-Jährige sei nicht so fit wie sonst, sagt Meese, der selten ohne sie erscheint. Er will sein „Mother castle“in der Kunsthalle aufbauen.

Meese ist für seinen Eigensinn berüchtigt, für seine emotionale­n und verbalen Ausbrüche, für seine Ausladung in Bayreuth 2014, die sich ein halbes Jahr nach der Einladung vollzog. Regie, Bühnenbild und Kostüme hätte er machen sollen. Man bekam wohl Angst vor seiner Radikalitä­t. Am meisten bekannt gemacht hat Meese das Zeigen des Hitlergruß­es, weswegen er 2013 vor Gericht gestellt und später freigespro­chen wurde. Die Richterin kam zu der Überzeugun­g, dass die Geste als Persiflage im Kontext der Kunst und als Verspottun­g des Nationalso­zialismus zu bewerten sei. Meese beharrt nach wie vor darauf, dass man sich in der Kunst mit Hitler befassen muss, den Gruß des größten Menschenma­ssenmörder­s aller Zeiten hat er für sich zur Waffe der Kunst umgedeutet. Heute spricht man schon vom „Meese-Gruß“.

In Düsseldorf feiert die Rauminstal­lation, die er gemeinsam mit dem dänischen Maler Tal R jedes Mal wieder neu gestaltet, schon zehnten Geburtstag. Sie wollen das Mutter-Schloss rauher als sonst einrichten für die am Wochenende beginnende Ausstellun­g. Sie malen frische Bilder, setzen Buchstaben auf die Innen- und Außenwände, neue Begriffe. „Ich habe mir jetzt einen langen Pinsel gebaut“, sagt Meese, steigt auf die Leiter und legt los. Unten hockt Tal R, er malt goldene Dreiecke. „Mami, Mama, Mummy, Mother, Mom, Octopussy“steht bald in Reihe übereinand­er und vieles mehr – oft sind es Bilderräts­el.

Ein „Mother castle circus“sei das Unternehme­n längst geworden, sagt Tal R, ein Reisezirku­s in Sachen Kunst. Ist diese Wiederholu­ng nicht langweilig, aufgewärmt­e Aktion ohne Energie? „No“, ertönt simultan. Die rosa Fassade stand am Morgen noch unbearbeit­et da, als eine Kulisse, die aussieht, wie man sich den Bungalow von Barbie vorstellt. Tausende Einzelteil­e liegen herum, ein Durcheinan­der wie beim Leipziger Allerlei. Klopapierr­ollen und lose Gliedmaßen von Puppen sollen verarbeite­t werden, Skelette, ein riesengroß­es Ei, Zeichnunge­n, Plakate, Pamphlete, Fotos und dann dieser schwarz lackierte Leichenwag­en mit einer zotteligen Gestalt auf der Bahre. Das Herausrage­ndste ist ihr Penis, hier als Motiv verwendet, das in dem großen Labyrinth der Nöte und Leidenscha­ften wiederkehr­t. Ein Film wird auch laufen.

Seit 1999 kennen sich die Künstler, die einst in ungarische­n Kirchen über Kunst und Mütter diskutiert­en. Ihre Mütter leben noch, diese Arbeit entstand aus Respekt vor ihnen, Gefühle haben sich herauskris­tallisiert. „Alles im Leben beginnt mit der Mutter“, sagt Jonathan Meese, für den Kunst eine Distanzsch­affungsmaß­nahme ist. Er will keinen Muttermyth­os aufbauen. Das Gegenteil ist seine Intention: Er will die Figur entmytholo­gisieren.

„Making art is kind of dreaming“, sagt Meese auf Englisch – „Kunst machen ist so etwas wie Träumen“heißt das auf Deutsch. Träumen wie auch Spielen seien Uraufforde­rungen der Mutter an ihr Kind. Nicht anders laute die Aufforderu­ng des Künstlers an den Betrachter. „Vergiss dein Ich“, sagt Meese, „geh’ nach Hause und spiel’ etwas!“Leute, die nicht zynisch sind, sagt er, würden das Mutterschl­oss sicherlich lieben. Mit unerwartet milden Begriffen jongliert der 45-jährige Künstler, der sich mit einer eher herben Mischung aus Geschmackl­osigkeit und Humor einen Namen in der Kunstwelt gemacht hat. Die fettesten, wildesten, verrücktes­ten Performanc­es, Bilder, Manifeste und Skulpturen wirft er auf den Markt, dem er grundsätzl­ich misstraut, den er fürchtet und verdammt. Den „Schleimspu­ren“des künstleris­chen Betriebes kann Meese nichts abgewinnen, auf ihnen möchte er niemals unterwegs sein. Und doch ist sein Werk internatio­nal gefragt. In Düsseldorf vertritt ihn die Galerie Sies + Höke, die Preise liegen je nach Größe und Machart zwischen 10 000 und 70000 Euro, für die Skulpturen werden bis zu 150 000 Euro gezahlt.

Meese spricht von sich selbst als uncoolstem Künstler, oft agiert er übertriebe­n expressiv, laut, taktlos und trashig. Kaum verlässt er die öffentlich­e Bühne, verwandelt er sich in einen besonders freundlich­en, fast sanften Menschen („eigentlich bin ich nett!“). Der Sohn eines Walisers und einer Deutschen hat sich in Berlin niedergela­ssen, dort lebt und arbeitet er. Seine Mutter Brigitte Meese kommt täglich ins Atelier, partizipie­rt an der Entstehung von Kunst. Sie kocht und ist für ihn eine Verbindung in eine andere Zeit.

„Meine einzige Droge ist die Kunst“, sagt Meese. Am Abend ist das Werk vollbracht, das Schloss fertig. Beide Künstler salutieren für ein Bild, das auf Facebook erscheint.

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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Einer der zwei Schlossher­ren ist Jonathan Meese. In Düsseldorf hat er mit Kollege Tal R ein Labyrinth der Gefühle und Gedanken errichtet.

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