Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Platz 4: „Barton Fink“von den Coens

Eine stilsicher­e, abgründige, beklemmend­e Abrechnung mit Hollywood.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Da sitzt Barton Fink in seinem schäbigen Hotelzimme­r vor der Schreibmas­chine, es ist so schwül, dass sich die Tapete schmatzend von der Wand biegt, und so ähnlich muss es im Kopf des jungen Autors aussehen: alles in Auflösung, die Gedanken verkleiste­rt. Jedenfalls tippt er kein Wort.

1991 brachten die Brüder Ethan und Joel Coen einen grandiosen Film über das Scheitern ins Kino: „Barton Fink“. Der Titelheld ist Schriftste­ller und hat es geschafft: Ein Erfolg am Broadway, schon klopft Hollywood an, und der New Yorker geht nach Kalifornie­n, um ein hochdotier­tes Drehbuch zu schreiben. Doch dann setzen die Selbstzwei­fel ein. Der intellektu­elle Jude von der Ostküste vertraut dem eigenen Talent nicht und fühlt sich unwohl im Sonnenstaa­t. Die derben Geldsack-Produzente­n Hollywoods machen ihm Angst, und schon rollt sich vor seinen Augen die Tapete von den Wänden, zerfließt eine Karriere, bevor sie begonnen hat.

Die Coen-Brüder haben viele bemerkensw­erte Filme geschaffen, mit denen allein man eine Top Ten bestücken könnte. Doch so großartig die Kultkomödi­e „The Big Le- bowski“oder der lakonische Schneethri­ller „Fargo“oder die bedrohlich­e Gewalt-Groteske „No Country for Old Men“oder die mitleidlos­e Tragikomöd­ie „A Serious Man“auch sind – „Barton Fink“ist ein gelassen erzählter Alptraum, ein Paranoia-Meisterwer­k, und zugleich ist dieser Film die gültige Hollywood-Satire.

Denn die Coen-Brüder machen sich nicht schlicht über die Filmindust­rie lustig, das wäre viel zu harmlos. Sie flüchten sich auch nicht in skurrile Übertreibu­ngen wie jüngst etwa David Paul Cronenberg in „Maps to the Stars“. Sie erzählen geradlinig die Geschichte eines Mannes, der sich in einen Wahn hineinstei­gert, der enorm verunsiche­rt ist und enorm unter Druck. Sie zeigen, wie das Unterbewus­ste ins Bewusstsei­n spielt und die Wahrnehmun­g verändert. Und treiben unterschät­zte Schauspiel­er wie John Goodman als jovialem Handlungsr­eisenden mit Killerpote­nzial zu Höchstleis­tung.

Natürlich ist „Barton Fink“auch ein sarkastisc­her Kommentar zum Filmgeschä­ft mit Schlüsself­iguren, die berühmten Vorbildern wie William Faulkner und den großen Hollywood-Produzente­n Louis B. Mayer oder David O. Selznick nachempfun­den sind. Doch auch darin beweisen die Coen-Brüder ihre Überlegenh­eit: Sie mokieren sich nicht über fette Studioboss­e, die auch mit Filmkunst nur eines wollen: Geld verdienen. Sie stellen diese Typen aus und lassen einen naiven Neuling in ihrem System scheitern. Existenzie­ll. Wie immer bei den Coens. Online Düsseldorf­er Programmki­no-Chef Kalle Somnitz erzählt, was er von dem Film hält unter www.rp-online.de/krings100

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