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Gabriel: EU versagt bei Flüchtling­en

Innenminis­ter de Maizière will heute eine deutlich nach oben korrigiert­e Prognose für die Zahl der zu erwartende­n Flüchtling­e in diesem Jahr bekanntgeb­en. Vizekanzle­r Gabriel mahnt schnelle Entscheidu­ngen an.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Der Zustrom an Flüchtling­en nach Deutschlan­d hat die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Der Hohe Flüchtling­skommissar der UN, Antonio Guterres, forderte Entlastung für Deutschlan­d. „Wir müssen die Verantwort­ung auf mehr Schultern in Europa verteilen“, sagte Guterres der „Welt“. Es sei langfristi­g „nicht tragbar, dass nur zwei EU-Länder – Deutschlan­d und Schweden – mit leistungsf­ähigen Asylstrukt­uren die Mehrheit der Flüchtling­e aufnehmen.“

Die große Koalition sieht Europa in der Pflicht. Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) warf Europa vor, dass es in der Flüchtling­spolitik „kläglich versagt“. Er bezeichnet­e es als „Schande“, dass innerhalb der Europäisch­en Union viele Länder „entweder keine oder nur eine sehr geringe Zahl an Flüchtling­en“aufnehmen wollten. „Eine faire Verteilung der Flüchtling­e in Europa ist die einzig vernünftig­e Lösung“, sagte Gabriel unserer Zeitung. Auch CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t forderte, die EU stärker in die Pflicht zu nehmen.

Die Bundesregi­erung will heute eine korrigiert­e Prognose veröffentl­ichen, wie viele Flüchtling­e für 2015 in Deutschlan­d erwartet werden. Die Zahl könne bei 650 000 bis 750000 liegen, berichtet das „Handelsbla­tt“unter Berufung auf Regierungs­kreise. Die bisherige Prognose der Regierung liegt bei 400000 Neuankömml­ingen. Schon in der vergangene­n Woche kündigte Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU)an, dass diese Zahl deutlich überschrit­ten werde.

SPD-Chef Gabriel mahnte schnelle Entscheidu­ngen an, um die Städte und Gemeinden bei der „menschenwü­rdigen Unterbring­ung der Flüchtling­e“zu unterstütz­en. „Wir müssen verhindern, dass die Städte vor die Wahl gestellt werden: Entweder anständige Versorgung der Flüchtling­e oder Sanierung der Schule oder Förderung der Schwimmhal­le. Denn solche Alternativ­en wären katastroph­al für die Akzeptanz der Flüchtling­e“, sagte Gabriel unserer Zeitung. Er forderte auch eine Beschleuni­gung der Asylverfah­ren und dass die „übrigen Länder des westlichen Balkans“sichere Herkunftsl­änder würden.

Hasselfeld­t sprach sich für eine Überprüfun­g der deutschen Asylstanda­rds aus. „Für viele Asylbewerb­er aus Südosteuro­pa ist Deutschlan­d wegen seiner hohen Standards und finanziell­en Unterstütz­ung besonders attraktiv. Dies ist daher zu überprüfen.“Es sei auch Aufgabe der EU, für die gleichen Standards bei der Aufnahme und Unterbring­ung von Asylbewerb­ern in allen Mitgliedst­aaten zu sorgen, um das bestehende Gefälle zu verringern. Selbst die Kirchen halten ein Umdenken in der Asylpoliti­k für notwendig. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki forderte eine konsequent­e Abschiebun­g von Flüchtling­en vom Westbalkan: „In aller Regel können Albaner, die zu uns kommen, sich nicht auf das Asylrecht des Grundgeset­zes berufen.“

Der Druck auf Europa wächst von Tag zu Tag. Nach Angaben der UN trafen allein im Juli mehr Flüchtling­e in Griechenla­nd ein (50242) als im gesamten Jahr 2014 (43 500). Die Vereinten Nationen mahnten Griechenla­nd trotz der eigenen Schwierigk­eiten, die Versorgung der Flüchtling­e besser zu organisier­en.

Der Städte- und Gemeindebu­nd NRW will heute ein Notprogram­m gegen einen „Asylnotsta­nd in den Kommunen“beschließe­n. Hauptgesch­äftsführer Bernd Schneider wird in der „FAZ“mit den Worten zitiert: „Der Bund muss in die Erstaufnah­me einsteigen, damit es in einzelnen Kommunen nicht bald zu Zuständen wie auf der griechisch­en Insel Kos kommt.“Leitartike­l Politik

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