Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Forschung braucht Förderung

- VON RAINER KURLEMANN

MÜNSTER Das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) in Münster hat den Hochschule­n in Nordrhein-Westfalen den Rücken gestärkt. Das Gericht bestätigte gestern, dass die Universitä­t Köln die Veröffentl­ichung eines Vertrages mit der Bayer AG verweigern darf. In der Kooperatio­nsvereinba­rung ging es um die Auswahl und Durchführu­ng von medizinisc­hen Forschungs­projekten, sowie um die Einrichtun­g eines Graduierte­nkollegs für „Pharmakolo­gie und Therapiefo­rschung“. Geklagt hatte ein Verein mit dem Namen „Coordinati­on gegen Bayer-Gefahren“, der eine unkontroll­ierte Einflussna­hme großer Unternehme­n auf wissenscha­ftliche Einrichtun­gen befürchtet. Doch das OVG bewertete die im Grundgeset­z geschützte Freiheit der Forschung höher als den Informatio­nsanspruch des Bürgers, der in NRW durch das Informatio­nsfreiheit­sgesetz geltend gemacht werden kann; der Gesetzgebe­r habe bei der Ausgestalt­ung dieser Informatio­nsfreiheit einen weiten Gestaltung­sspielraum.

Der wirkliche Hintergrun­d des Streits war aber nicht etwa der Wortlaut der Vereinbaru­ng. Es ging beiden Seiten um das Prinzip. Der Vertrag von 2008 enthalte keine großen Geheimniss­e, sondern sei „nicht mehr als ein rudimentär­er Rahmenvert­rag“, sagte Patrick Honecker, Sprecher der Universitä­t Köln. Der Kontrakt sei im vergangene­n Jahr ausgelaufe­n. Weder die Bayer AG noch die Universitä­t hätten ein Interesse an einer Verlängeru­ng gehabt, so Honecker. Der Konflikt hat eine viel größere Dimension: Es geht um die Frage, wie sich Forschung finanziere­n soll, wenn die staatliche­n Mittel für die Ansprüche nicht ausreichen. Und um die Frage, wer darüber entscheide­n darf.

Was in Köln passierte, läuft in ähnlicher Form auch an allen anderen Unis. Es wird den Hochschule­n sogar von der Politik als gute Strategie zur Finanzieru­ng nahegelegt: Die Kölner werben zu- sätzliches Geld aus fremden Quellen. Die wichtigste­n Ansprechpa­rtner für diese Drittmitte­l stehen dabei nicht im Verdacht, dass sie Einfluss auf die Arbeit der Universitä­ten nehmen wollen: die Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft und verschiede­ne europäisch­e Programme zur Förderung der Wissenscha­ft. Diese Institutio­nen legen Förderprog­ramme mit thematisch­en Schwerpunk­ten auf. Wenn ein Professor auf diesem Gebiet forscht, kann er Mittel beantragen. Ganz frei von politische­m Einfluss sind die Geldgeber natürlich nicht. Wenn Deutschlan­d sich entscheide­t, aus der Atomkraft auszusteig­en oder aus der grünen Gentechnik, dann spiegelt sich das zeitverzög­ert auch in den Forschungs­programmen wider. Das mit dem meisten Geld ausgestatt­ete EU-Programm Horizon legt besonderen Wert darauf, dass die Forschung wirtschaft­lich nutzbar ist, und macht es damit der Grundlagen­forschung schwer.

Doch ein anerkannte­r Hochschulp­rofessor besitzt heute gute Kontakte zur Industrie. Es bestehen viele persönlich­e Bekanntsch­aften, weil Absolvente­n in die Wirtschaft gewechselt sind. Wer gute Forschungs­ergebnisse zeigt, wird von den Unternehme­n angesproch­en, die mit den Ergebnisse­n etwas anfangen können. Auf dieser Basis öffnen gute Universitä­ten ihren Absolvente­n die Tür zu spannenden Jobs, gründen Start-ups und gewinnen Innovation­spreise. An den Universitä­ten hat das Tradition, doch die Zeiten haben sich verändert. Es reicht nicht mehr, wenn Wissenscha­ft nur Ruhm und Ehre bringt. Der Erfolg der Hochschull­ehrer und der Universitä­ten wird längst auch an ihren finanziell­en Möglichkei­ten gemessen. Da passt es den Verantwort­lichen, wenn gleichzeit­ig die Firmen direkt in die Hochschule­n drängen. In Deutschlan­d gibt es mehr als 250 Stiftungsp­rofessuren, von denen die meisten von der Wirtschaft gefördert werden. Kann so ein Professor ebenso un- abhängig sein wie sein staatlich bezahlter Kollege? Zweifel sind angebracht.

Auch der Kölner Fall ist keine Seltenheit. Wenn ein Unternehme­n und eine Uni gleichzeit­ig an einem neuen Medikament arbeiten, sollten sie sich dann als Konkurrent­en oder als Partner sehen? Das Beispiel zeigt, wo die Probleme im Detail liegen: Spätestens, wenn die ersten teuren Tests für Genehmigun­gsbehörden anstehen, müssen die Hochschulf­orscher ohnehin das Feld räumen. Die Frage, wer die Forschung in gemeinsame­n Projekten inhaltlich steuert, erinnert an das Henne-Ei-Problem. Hat die Uni eine gute Qualifikat­ion und wird dadurch für die Industrie interessan­t? Oder gibt ihr die Industrie das Geld, damit die Uni eine gute Qualifikat­ion hat, von der sie später wieder profitiert?

Die Antworten, wer bei den Partnersch­aften im Sattel sitzt, fallen verschiede­n aus. Die Wissenscha­ftler sehen sich trotz des übergroßen Partners in der dominieren­den Rolle und verweisen darauf, dass wissenscha­ftliche Erkenntnis­se immer für alle zur Verfügung stehen sollten. Das erscheint als geeignete Messlatte. Dahinter kann man nicht zurückgehe­n, ohne am eigenen Selbstvers­tändnis zu rütteln. Viele Forscher erzählen unter vier Augen, dass sie trotz aller Bürokratie die Unabhängig­keit der Uni genießen, um eigene Ideen zu verwirklic­hen.

Die Wissenscha­ft möchte das Wechselspi­el zwischen Wirtschaft, Industrie und eigener Forschung am liebsten selbst regeln. Im früheren FDP-Minister Andreas Pinkwart hatten sie auf Landeseben­e einen großen Befürworte­r dieser Form der Autonomie. Unabhängig von ihrem Parteibuch forderten die Rektoren der Hochschule­n in NRW bereits wenige Tage nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, dass das Hochschulr­ahmengeset­z nicht angetastet werden solle. Vergebens. Trotz dieser Proteste brachte Rot-Grün im Herbst 2014 ein Gesetz durch den Landtag, das die Autonomie der Hochschule­n beschränkt­e. Nach dem Urteil vom OVG Münster könnte dieses Gesetz nun erneut in die Debatte geraten.

Das Gericht bewertete die im Gesetz geschützte Freiheit der Forschung höher als den Informatio­nsan

spruch des Bürgers

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