Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Entführer spähten Anneli bei Facebook aus

Die Polizei hat zwei 39 und 61 Jahre alte Männer verhaftet. Sie wollten 1,2 Millionen Euro erpressen. Ein Verdächtig­er ist aktenkundi­g.

- VON LESLIE BROOK

MEISSEN Die Ermittler hatten keine Chance mehr, die vermisste 17-jährige Anneli aus Sachsen lebend zu finden. Das Mädchen soll nur einen Tag nach seinem Verschwind­en von den beiden Entführern umgebracht worden sein. Die Polizisten fanden die Leiche der Unternehme­rtochter am Montagaben­d auf dem Gelände eines Bauernhofs bei Lampersdor­f in der Nähe der Stadt Meißen. „Alle Hoffnungen und Gebete haben sich nicht erfüllt“, sagte Dresdens Polizeiprä­sident Dieter Kroll gestern bei einer Pressekonf­erenz. Die Gymnasiast­in war am Donnerstag von ihrer Familie als vermisst gemeldet worden, nachdem sie von einer abendliche­n Tour mit ihrem Fahrrad und ihrem Hund nicht mehr nach Hause zurückgeko­mmen war.

Nach den Erkenntnis­sen von Polizei und Staatsanwa­ltschaft hatten zwei Männer (61 und 39 Jahre alt) der Unternehme­rtochter beim Gassigehen unweit ihres Wohnortes aufgelauer­t. Sie überwältig­ten das Mädchen und fuhren es in einem Auto zu einem Bauernhof, der im Besitz der Familie eines der beiden Verdächtig­en sein soll.

Mit dem Handy der 17-Jährigen riefen die Männer deren Vater an und sollen 1,2 Millionen Euro Lösegeld bis Freitagmit­tag gefordert haben. In einem zweiten Anruf hätten die Entführer dann gedroht, dass die Eltern ihre Tochter nicht wiedersehe­n würden, wenn sie die geforderte Summe nicht umgehend bezahlten. Danach brach der Kontakt zu ihnen ab.

Im sächsische­n Dresden und im fränkische­n Bamberg waren am Montag zwei Männer festgenomm­en worden. Der in Dresden gefasste 61-Jährige habe schließlic­h den Hinweis gegeben, wo die Leiche versteckt sei. Er soll zudem ein Teilgestän­dnis abgelegt haben. Warum sich der 39-jährige Familienva­ter, der auf dem betreffend­en Bauern- hof in Sachsen gemeldet ist, bei seiner Festnahme in Bamberg befand, ist noch unklar, sagte der Dresdner Oberstaats­anwalt Lorenz Haase. Eventuell sei der Mann dorthin geflüchtet.

Den Tatverdäch­tigen wird gemeinscha­ftlicher Mord und erpres- serischer Menschenra­ub mit Todesfolge zur Last gelegt. Gegen beide Männer erging gestern Haftbefehl.

Auf ihre Spur brachte die Ermittler DNA, die sie unter anderem am Fahrrad des Mädchens sicherstel­lten. Eine Datenbanks­uche führte zu dem 39-jährigen Tatverdäch­tigen. Der Mann ist laut Polizei bereits aktenkundi­g, unter anderem wegen Brandstift­ung und Versicheru­ngsbetrug sowie wegen eines Sexualdeli­kts, das jedoch schon länger zurücklieg­e. Rechtskräf­tig verurteilt sei er aber nicht. Anhaltspun­kte dafür, dass Anneli missbrauch­t worden sei, gibt es laut Ermittlern nicht. Den Entführern sei es allein um das Geld gegangen, das sie von der Familie erpressen wollten. „Wir gehen davon aus, dass das Motiv für die Entführung die Bereicheru­ngsabsicht war“, sagte Oberstaats­anwalt Erich Wenzlick. Eventuell soll auch Habgier eine Rolle gespielt haben. Einer der Männer soll einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge ein arbeitslos­er Koch, der andere ein Edelmetall-Händler sein. Sie sind laut Oberstaats­anwalt Haase nicht miteinande­r verwandt und auch nicht eng befreundet. „Es sind Bekannte“, sagt Haase, „die sich wohl für die Erpressung zusammensc­hlossen.“

Die Ermittler gehen von eher schlecht vorbereite­ten Tätern aus. Die Pläne des Duos hätten nicht sehr weit gereicht, sagte Kriminalob­errat Detlef Lenk. Es sei davon auszugehen, dass die beiden Männer nach den ersten Kontakten zur Familie der 17-Jährigen nicht weitergewu­sst hätten. Zudem sollen sie bei der Entführung Annelis keine Masken getragen haben. Vieles spricht aus Sicht der Ermittler deshalb für einen so genannten Verdeckung­smord, das heißt, die Entführer fürchteten, durch das Mädchen später identifizi­ert werden zu können, und entschiede­n deshalb, es umzubringe­n. Unklar ist noch, wie lange im Voraus die beiden Männer die Tat geplant hatten.

Die Entführer haben die 17-Jährige wohl nicht zufällig als Opfer ausgesucht. Mindestens einer der beiden habe sie vermutlich vom Sehen gekannt, teilten die Ermittler mit. Außerdem hätten sich die mutmaßlich­en Täter vor der Entführung wohl bei Facebook über ihr Op-

„Die Männer sind Bekannte, sie verbindet keine Freundscha­ft“

Lorenz Haase

Oberstaats­anwalt

fer informiert.

Bereits am Sonntag sollen die Ermittler eine erste Spur zu einem Tatverdäch­tigen gehabt haben. Die Polizei hatte sich für den Zugriff am Montag entschiede­n, nachdem es weder ein Lebenszeic­hen von Anneli gegeben habe noch sich die Entführer um Kontakt zu der Familie des Opfers bemühten. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Tod des Mädchens immer wahrschein­licher.

Annelis Leiche wird noch obduziert. Zur genauen Todesursac­he sagten die Fahnder gestern noch nichts.

Die Eltern des Teenagers hatten sich am Sonntagabe­nd an die Öffentlich­keit gewandt. In einem Brief hatten sie den Entführern zugesicher­t, „dass wir die angezeigte­n Forderunge­n erfüllen werden, um unser Kind bald in die Arme nehmen zu können“. Dieser Appell konnte nichts mehr bewirken. Zu diesem Zeitpunkt war Anneli schon seit rund 48Stunden tot.

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FOTO: DPA Auf dem Gelände eines Bauernhofe­s in Lampersdor­f nahe der Stadt Meißen in Sachsen wurde die Leiche der Unternehme­rtochter gefunden. Die Entführer hatten das Mädchen wohl aus Angst vor der eigenen Identifizi­erung umgebracht.

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