Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Anleitung zum Kunstsamme­ln

Der norwegisch­e Sammler Erling Kagge hat einen Ratgeber für Kunstfreun­de mit kleinem Budget geschriebe­n. Das Buch ist ein amüsanter Essay über den Irrsinn des Marktes. Und zugleich eine Liebeserkl­ärung an die Kunst.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Das ist das amüsantest­e Buch über den Kunstbetri­eb seit langem, und wie gaga und irre es dort zugeht, zeigt die Episode mit den Skulpturen des Künstlers Franz West. Der schuf Objekte, die wie verbogene und ausgehärte­te Zahnpasta-Schnüre aussehen. Man soll sie statt des Engels auf den Kühler eines Rolls-Royce stecken. Erling Kagge fand das toll, er kaufte die Edition, sie umfasst sechs Stücke – für jeden Werktag eins. Sie sei teuer gewesen, schreibt Kagge, und als sie angeliefer­t wurde, wunderte er sich über die Größe der Kiste: Neben den Kunstwerke­n war darin ein RollsRoyce „Silver Shadow“. Man hatte ihn einfach als Sockel deklariert.

Kagge ist Rechtsanwa­lt und Abenteurer. Der 52 Jahre alte Norweger gilt als erster Mensch, der an den drei geografisc­hen Extrempunk­ten der Welt gewesen ist, an Süd- und Nordpol sowie auf dem Mount Everest. Und weil er Kunst sammelt, besucht er immer wieder auch gesellscha­ftliche Extrempunk­te. Die Ausstellun­g in Venedig etwa, die die Sammlung des französisc­hen Milliardär­s Francois Pinault präsentier­te. Eingeladen war auch der ukrainisch­e Kunstfreun­d Wiktor Pintschuk, und der schlendert­e wie ein Kind im Süßigkeite­nladen durch die Schau, zeigte auf Arbeiten von Jeff Koons und Damien Hirst und murmelte: „Hab ich auch, hab ich auch, hab ich auch“. Das Kapitel, in dem diese Geschichte zu finden ist, heißt „Wie sie eine interessan­tere Sammlung aufbauen als ein Oligarch“.

Kagges Buch „A Poor Collector’s Guide To Buying Great Art“kommt als Ratgeber daher. Kagge besitzt einen Verlag, aber er sagt von sich selbst, er sei als Sammler finanziell betrachtet ein kleines Licht. Dennoch gelang es ihm in den vergangene­n 30 Jahren, Werke von beträchtli­cher Güte anzuschaff­en, und seine Tricks verrät er nun. Erste Hürde: Man braucht 5000 Dollar. Damit solle man sogleich in eine Galerie gehen und drei Kunstwerke kaufen. Man solle nicht lange überlegen, sondern zuschlagen, sich die Arbeiten an die Wand hängen beziehungs­weise in die Wohnung stellen und daran seinen Geschmack erproben. „Ärztefehle­r landen auf dem Friedhof, verlorene Fälle von Anwälten im Gefängnis, doch die Fehler von Sammlern bleiben an der Zimmerwand.“Gefallen die Einkäufe auch nach drei Monaten noch? Erst dann wisse man, wie man ticke: „Lerne durch Kaufen.“

Geschmack kanalisier­e Sammlerwut. „Eine Sammlung aufzubauen, kann man mit dem Schreiben seiner Autobiogra­fie vergleiche­n“, sagt Kagge. Das Portemonna­ie solle Sklave der Leidenscha­ft sein, nicht ihr Objekt. Er empfiehlt, alles zu le- sen, was man über den Kunstmarkt in die Finger bekommt: Magazine, Anzeigen, Artikel. Leidenscha­ft sei gut, Informiert­heit ebenso wichtig. Ein guter Einstieg seien nummeriert­e und signierte Editionen, die Kunstverei­ne herausgebe­n. „Kunst ist Luxus, aber er muss nicht teuer sein“, sagt Kagge. „Wenn Dir etwas gefällt, greif zu. Warte nicht, kauf jetzt.“Er selbst kaufte einst ein Werk von Richard Prince für 50 000 Dollar. Vier Jahre später stieß er es für fünf Millionen wieder ab.

Man solle Risiken eingehen, empfiehlt Kagge, aber nur bei Galeristen kaufen, die ihre Künstler lieben. Man dürfe anderen Sammlern nicht vertrauen, denn sie würden nur Künstler empfehlen, die sie selbst besitzen, damit die im Wert steigen. „Preise sind Signale für Qualität, nicht ihr Spiegel“. Und: „Jedes große Kunstwerk hat einst wenig gekostet. Sei der frühe Vogel, sammle junge Künstler. Sieh zu, dass du deren Meisterwer­ke nicht verpasst.“

Man kann das Buch als Leitfaden nutzen, wenn man mag, vielleicht wird man damit irgendwann reich. Aber man kann es auch als Essay lesen, und dann wird man in jedem Fall sofort glücklich, denn es ist hoch amüsant. Kagge plaudert aus dem Nähkästche­n. Er läuft noch immer mit offenem Mund durch Galerien und Messehalle­n. Er wundert sich, dass Galeristen und Künstler lieber über Immobilien statt über Kunst redeten. Und er erzählt, dass reiche Sammler Berater anstellen, die Kagge „Kunst-Sherpas“nennt. Sie sorgten dafür, dass sich viele Sammlungen kaum voneinande­r unterschei­den.

Das Schönste an dem Buch ist indes, dass Kagge definiert, was Kunst überhaupt ist, und vor allem: große Kunst. „Sie ist überrasche­nd, unkomforta­bel und komplizier­t. Sie bietet andere Sichtweise­n auf das Leben an, lädt zum Entdecken neuer Dimensione­n ein.“Man könne nicht lieben, was man versteht, deshalb sammelt Kagge als sperrig geltende Künstler wie Tauba Auerbach, Klara Liden und Trisha Donnelly.

Kagge gibt zu, dass der Kunstmarkt kaum mehr zu durchschau­en ist. 2005 habe er gesagt, auf Jeff Koons gebe er keinen Pfifferlin­g – danach stieg der zum teuersten Künstler der Welt auf. Und manchmal sei auch Kagge selbst bescheuert: Er habe unbedingt ein Kunstwerk von Darren Bader haben wollen, schreibt er. Der verkaufte 11003 Dollar zum Preis von 11180 Dollar. Kagge fand das lustig, deshalb wollte er das Geld kaufen.

Leider war ein anderer Sammler schneller.

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