Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Komet Tschuri nähert sich der Sonne

Als das europäisch­e Landegerät Philae im November auf dem Himmelskör­per aufsetzte, herrschten dort weniger als minus 145 Grad. Jetzt ist die Temperatur auf plus 30 Grad gestiegen – und es soll noch erheblich heißer werden.

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Es ist warm geworden auf 67P/Tschurjumo­w-Gerassimen­ko. Die Sonne heizt den Kometen auf. Als das europäisch­e Landegerät Philae im November auf dem Himmelskör­per aufsetzte, herrschten dort weniger als minus 145 Grad. Jetzt steigt die Temperatur. Etwa plus 30 Grad misst derzeit die Raumsonde Rosetta, die den Kometen seit August 2014 begleitet. Und die dunkle Oberfläche von „Tschuri“, wie die Wissenscha­ftler ihr Forschungs­objekt nennen, wird in den nächsten Tagen durch das Sonnenlich­t noch mehr Energie aufnehmen.

Der Komet ist der Sonne für seine Verhältnis­se recht nah gekommen: auf eine Distanz von etwa 190 Millionen Kilometer – Merkur, Venus und selbst die Erde sind zwar näher an der Sonne; aber „Tschuri“fehlt eine ausgleiche­nde Atmosphäre. Deshalb fallen die Schwankung­en so drastisch aus. Die Forscher der Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA vermuten, dass die Temperatur sogar bis zu 80 Grad erreichen wird.

Für den Kometen hat das große Auswirkung­en. Das ergeben bereits die ersten Beobachtun­gen während der Annäherung an die Sonne. „Tschuri“besteht im Wesentlich­en aus einem porösen Gemisch aus Eis, gefrorenen Gasen und mineralisc­hem Dreck, das über Jahre hinweg durch die intensive Kälte hartgepres­st wurde. Die plötzliche Wärme taut Teile davon auf. Das explosions­artig entweichen­de Gas wirbelt den Staub der Oberfläche zu einem Feuerwerk aus Fontänen auf.

„Diese Eruptionen bleiben meist über mehrere Wochen bestehen und reißen höchstens dann kurz ab, wenn sich die entspreche­nde Seite des Kometen von der Sonne weg- dreht“, berichtet Jean-Baptiste Vincent vom Max-Planck-Institut für Sonnensyst­emforschun­g. Erste Untersuchu­ngen ergaben, dass selbst einen Meter lange Felsstücke mitgerisse­n werden. Vielleicht sind die Brocken, die „Tschuri“ins Weltall spuckt, sogar noch deutlich größer. Die Forscher können sie derzeit noch nicht exakt vermessen.

Die Intensität dieser Fontänen wird in den kommenden Tagen noch zunehmen, obwohl der Abstand des Kometen zur Sonne wieder wächst. Physikalis­ch verfügen die Himmelskör­per über eine thermische Trägheit, vergleichb­ar mit einem Kachelofen. Dort dringt die Hitze des Inneren erst langsam nach außen, wird dann aber lange als Wärme abgestrahl­t. Bei Kometen läuft dieser Prozess in die andere Richtung. Die Wärme durch die Energie der Sonne dringt erst langsam ins Innere, so dass die Zahl der Explosione­n durch auftauende­s Gas wachsen wird. Die Forscher erwarten das Maximum der Aktivität in drei Wochen. Explodiere­n wird „Tschuri“aber nicht. Dafür ist er zu groß und zu weit von der Sonne entfernt. Dass der wie eine Badeente geformte Komet durch die Belastung am halsförmig­en Teil auseinande­rbrechen könnte, gilt als äußerst unwahrsche­inlich.

„Der erste Blick auf die Daten nach dem Ausbruch ist fasziniere­nd”, sagt Kathrin Altwegg von der Universitä­t Bern. Sie betreut eines der Instrument­e an Bord der Raumsonde Rosetta, das die Zusammense­tzung der Wolke aus etwa 300 Kilometer Entfernung messen kann. Nicht alle Resultate der Mission sind überrasche­nd, aber sie verändern das Verständni­s vom Aufbau von Kometen. Jede Fontäne gibt Aufschluss über das Innenleben. Als das Landegerät „Philae“auf dem Kometen aufsetzte, wirbelte es besonderen Staub auf.

Die Analyse ergab, dass es sich um 16 chemische Verbindung­en handelte, denen ein besonderes Potenzial innewohnt: Ausgangsma­terialien für eine natürliche Synthese von Aminosäure­n, Zuckern und Nucleobase­n, allesamt wichtige Bausteine für die Entstehung des Lebens. Vier dieser Verbindung­en seien noch nie zuvor auf einem Kometen entdeckt worden, teilte die ESA mit. Dieser Befund ist sicher kein Beweis für die Theorie, dass Leben durch die Einschläge von Kometen auf die Erde gebracht wurde. Aber es ist ein Beispiel, warum Forscher in diesen Tagen weltweit mit großer Aufregung die ESA-Mission verfolgen. Ein solcher Erfolg ist der Wissenscha­ft nie zuvor gelungen.

Die Wahl von 67P/Tschurjumo­wGerassime­nko als Forschungs­objekt erscheint als absoluter Glücksgrif­f. Der Komet entstand vermutlich schon vor vier Milliarden Jahren, dennoch scheint er noch eine Menge seines ursprüngli­chen Materials zu enthalten. Bisher jagte der Himmelskör­per durch das eiskalte Weltall.

Erst als „Tschuri“1959 den Jupiter passierte, wurde er auf eine Bahn gelenkt, die regelmäßig an der Sonne vorbeiführ­t. Seitdem hat der Komet erst sieben Mal die Sonne besucht.

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FOTO: DPA Die Landung von „Philae“auf dem Kometen „Tschuri“(Animation). Die Temperatur beträgt dort jetzt 30 Grad plus.

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