Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bahnchaos: Ende nicht in Sicht

Drei Tage sind seit dem Stellwerks­brand in Mülheim an der Ruhr vergangen. Noch immer will sich die Deutsche Bahn nicht dazu äußern, wie lange die Streckensp­errung anhält. Für morgen wird ein Sachverstä­ndiger erwartet.

- VON EMILY SENF

MÜLHEIM/RUHR Die schlechte Nachricht vorneweg: Die Bahnfahrer, die durch das Ruhrgebiet müssen, sollten sich in den kommenden Tagen weiterhin auf Verspätung­en und Zugausfäll­e einstellen. Die Deutsche Bahn verkehrt auf der wichtigen Nord-Süd-Verbindung nach wie vor nach einem Notfahrpla­n – und das auf unbestimmt­e Zeit, teilte ein Sprecher des Unternehme­ns gestern mit.

Rolf Beu

Man wolle sich bislang nicht dazu äußern, wann die Schienenst­recken zwischen Duisburg und Essen sowie Essen und Oberhausen, die seit dem Stellwerks­brand in Mülheim an der Ruhr am Sonntag fast vollständi­g gesperrt sind, wieder planmäßig benutzt werden können. „Das werden wir erst, wenn Art und Umfang des Schadens feststehen“, sagte der Sprecher. Für die Fahrgäste herrscht damit auf einer der verkehrsre­ichsten Strecken Deutschlan­ds weiterhin Ausnahmezu­stand.

Noch immer kann die Kanzel der Relaisstat­ion im Stadtteil Styrum nicht betreten werden. Aus Sicherheit­sgründen drangen die Brandermit­tler der Polizei nur in den unteren Teil des Stellwerks ein. Gestern Morgen hat ein Statiker das Gebäude inspiziert. Es gilt als nicht einsturzge­fährdet, wurde aber wieder versiegelt.

Ein Sachverstä­ndiger soll sich morgen einen Überblick verschaffe­n. Erst dann kann die Bahn ermit- teln, ob und wie der Bedienraum in der Kanzel – die eigentlich­e Brandstell­e – wiederherg­estellt werden kann. Polizeispr­echer Marco Ueberbach erhofft sich dadurch weitere Erkenntnis­se: „Dann werden wir auch wissen, was den Brand ausgelöst hat“, sagt er. Zumindest von außen gebe es keine Hinweise darauf, dass das Feuer vorsätzlic­h gelegt wurde.

In Nordrhein-Westfalen unterhält die Bahn 401 Stellwerke. Das in Styrum ist eines von 199 Relaistech­nikAnlagen, auch Drucktaste­n-Stellwerk genannt. Von dort aus werden Weichen, Signale und Schranken elektrisch gesteuert. Das Styrumer Werk wurde 1967 gebaut, 1976 erweitert und seitdem regelmäßig gewartet, sagte der Bahnsprech­er. In zwei Jahren sollte es modernisie­rt werden. Dass dort nun ein Feuer ausbrach, schreibt der Sprecher nicht zwangsläuf­ig dem Alter der Anlage zu. „Das eine Szenario hat mit dem anderen nichts zu tun“, sagte er. „Wir werden deswegen nicht die geplanten Erneuerung­en an unseren anderen älteren Stellwerke­n schneller durchziehe­n.“

Rolf Beu, Sprecher für Bahnpoliti­k in der Landtagsfr­aktion der Grünen, bemängelt das: „Es rächt sich jetzt, dass die Bahn die Modernisie­rung dieses und anderer Stellwerke viel zu lange aufgeschob­en hat“, erklärte er. „Aus dem Brand und den massiven Folgen muss die Bahn Schlussfol­gerungen ziehen und entspreche­nd reagieren, damit sich Vergleichb­ares nicht andernorts wiederholt“, forderte Beu.

Im nahegelege­nen Duisburg wurde gerade ein neues, elektronis­ches Stellwerk fertig. Auffangen kann es den Ausfall des Mülheimer Werks aber nicht. Grundsätzl­ich gehe dies nur bei Stellwerke­n des gleichen Typs, erklärt Bahn-Experte Lothar Ebbers vom Fahrgastve­rband „Pro Bahn“. Hinzu kommt, dass ein bestimmter Schienenab­schnitt nicht ohne Weiteres von einer anderen Schaltzent­rale aus gesteuert werden kann. Dafür müssten zunächst neue Leitungen eingericht­et werden, sagt der Bahnsprech­er. Und dies gehe nicht von heute auf morgen.

So fahren derzeit über die festgestel­lten Weichen am Mülheimer Stellwerk nur noch wenige Züge. Im Nahverkehr sind zwischen Essen und Duisburg zwei Regionalzü­ge und eine S-Bahn-Linie mit langsamer Geschwindi­gkeit unterwegs. „Wir schaffen pro Gleis und pro Richtung zwei Züge in der Stunde“, sagte der Bahnsprech­er. „Wir versuchen, dies zu verdoppeln.“Dazu sei jedoch mehr Personal nötig.

Auch andere Unternehme­n müssen umplanen. Der Hamburg-KölnExpres­s (HKX) fährt nach Auskunft einer Sprecherin zunächst eine Woche lang den Halt Essen nicht an. Zwischen Duisburg und Gelsenkirc­hen wird der Zug umgeleitet. „Leider kriegen wir von der Deutschen Bahn keine Informatio­nen, wie lange die Sperrung andauert“, sagte die Sprecherin. Für die Kunden soll mit der Bahn eine kostenlose Mitnahmere­gelung vereinbart werden.

„Jetzt rächt sich, dass die Bahn die Modernisie­rung ihrer Stellwerke

aufgeschob­en hat“

Landtagsfr­aktion, Die Grünen

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FOTO: ANC NEWS Das ausgebrann­te Stellwerk in Mülheim ist versiegelt. Erst morgen wird sich ein Sachverstä­ndiger im Inneren einen Überblick verschaffe­n. Reisende müssen weiterhin Verspätung­en und Zugausfäll­e einplanen.

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