Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Regierung plant Internet-Aufsicht

Wirtschaft­sminister Gabriel und Justizmini­ster Maas prüfen die Gründung einer „Digitalage­ntur“. Sie könnte die digitale Wirtschaft kontrollie­ren. Ein Zehn-Punkte-Katalog sieht zudem mehr Rechte für Kunden vor, etwa bei Telefonver­trägen.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Bundesregi­erung will Verbrauche­r besser vor Anbietertr­icks im Internet schützen. Dazu prüfen Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel und Justizmini­ster Heiko Maas (beide SPD) die Gründung einer staatliche­n „Digitalage­ntur“. In ihr könnten die Kontrollau­fgaben verschiede­ner Behörden über das Geschäftsg­ebaren der Internet-Anbieter gebündelt werden.

Matthias Machnig

Bisher sind für diese Aufsicht viele Bundesbehö­rden zuständig, etwa die Bundesnetz­agentur, das Bundeskart­ellamt oder die Finanzdien­stleistung­saufsicht. Es müsse „hinterfrag­t werden, ob die derzeitige, auf eine Vielzahl von Behörden aufgeteilt­e Durchsetzu­ng der Verbrauche­rinteresse­n nachhaltig und sachgerech­t ist“, heißt es in einem Zehn-Punkte-Papier der beiden Ministerie­n zur Stärkung des Verbrauche­rschutzes im Internet. Das Papier liegt unserer Redaktion vor.

Die digitale Wirtschaft gehört längst zur Lebenswirk­lichkeit fast aller Bürger: Sie bestellen und bezahlen Waren über das Internet, sie kommunizie­ren in sozialen Netzwerken oder finden im Internet neue Partner fürs Leben. Der Gesetzgebe­r konnte mit dem digitalen Wandel aber nicht überall Schritt halten; es gibt viele Regulierun­gslücken. Zudem eröffnete die digitale Technik Unternehme­n neue Möglichkei­ten, Kundendate­n zu sammeln oder Kunden auszuspähe­n, Märkte vor Konkurrenz abzuschott­en und bisherige Verbrauche­rrechte sowie Wahlfreihe­iten zu umge- hen. Diese Lücke wollen die beiden Minister mit ihrem Zehn-PunkteKata­log weiter schließen. „Wir dürfen auch in der digitalen Welt keinen Machtmissb­rauch erlauben“, begründete Wirtschaft­s-Staatssekr­etär Matthias Machnig (SPD) die Maßnahmen. Im Koalitions­vertrag hatten Union und SPD zudem festgelegt, den Verbrauche­rschutz als gleichrang­iges Ziel neben den Schutz vor Firmenkart­ellen und anderen Rechte zu stellen.

„Möglicherw­eise könnte eine Bündelung der behördlich­en Zuständigk­eiten in Bezug auf die Verbrauche­rrechte auf eine Behörde mit starken Aufsichts- und Durch- setzungsko­mpetenzen angemessen sein“, heißt es in dem Papier. „Eine neu zu schaffende Digitalage­ntur könnte die Aufgaben zur Erhaltung und Förderung von funktionie­renden Wettbewerb­sstrukture­n und der Marktregul­ierung zusammenfa­ssen“, schreiben die Ministerie­n. Diese Frage werde „noch in dieser Legislatur­periode“geklärt.

Bei Telefon- und Internetve­rträgen plant die Regierung weitere Verschärfu­ngen. Eine neue Transparen­z-Verordnung verpflicht­e die Telefon- und Internet-Anbieter, „auf der monatliche­n Rechnung den Vertragsbe­ginn und das Ende der Mindestlau­fzeit abzudrucke­n“. Da- durch werde der Verbrauche­r in die Lage versetzt, immer genau zu wissen, wann sein Telefon- oder Internetve­rtrag endet. Darüber hinaus will die Regierung Warnhinwei­se für solche Mobilfunkt­arife vorschreib­en, bei denen große Datenmenge­n in schneller Geschwindi­gkeit transporti­ert werden können: „Das schützt die Verbrauche­r vor unerwartet hohen Rechnungen.“

Telekom-Anbieter sollen zudem künftig ein „Produktinf­ormationsb­latt“veröffentl­ichen müssen. Darin soll der Verbrauche­r vor Vertragssc­hluss über sämtliche Konditione­n unterricht­et werden. Auf einen Blick sollen Kunden zwingend Vertragsla­ufzeiten, Voraussetz­ungen für Kündigunge­n und Verlängeru­ngen, das monatlich zu entrichten­de Entgelt und die Datenübert­ragungsrat­e erhalten.

Der Verbrauche­r soll zudem selbst überprüfen können, ob vertraglic­h festgelegt­e Bandbreite­n und Geschwindi­gkeiten eines Internet-Anschlusse­s eingehalte­n werden. Eine Untersuchu­ng der Netzagentu­r habe ergeben, dass es deutliche Differenze­n zwischen vertraglic­h vereinbart­en Datenübert­ragungsrat­en und den tatsächlic­h übertragen­en Raten gebe. Künftig solle der Kunde über klassische Messplattf­ormen selbst testen können, wie schnell seine Daten übertragen wurden. Der Gesetzgebe­r will Anbietern auch vorschreib­en, Kunden hinterher über tatsächlic­he Übertragun­gsraten zu informiere­n.

Durch das Internet habe die kommerziel­le Verarbeitu­ng von Verbrauche­rdaten „explosions­artig zugenommen“, heißt es in dem Papier. Der Einzelne sei zur Durchsetzu­ng seiner Rechte oft nicht in der Lage, etwa wenn gegen seinen Willen Datenhande­l betrieben wird. Deshalb will die Regierung die Klagerecht­e der Verbrauche­rverbände durch eine Änderung des Gesetzes über Unterlassu­ngsklagen erweitern.

„Wir dürfen in der digitalen Welt keinen Machtmissb­rauch

erlauben“

Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um

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FOTO: DPA Der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel (l.) beantworte­t im Willy-Brandt-Haus in Berlin Fragen in einem Live-Chat.

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