Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gauck redet Amerikaner­n ins Gewissen

- VON EVA QUADBECK

Der Bundespräs­ident hält in der University of Pennsylvan­ia in Philadelph­ia eine Rede, in der er sich vor Amerika verneigt. Zugleich aber fordert er mehr Miteinande­r bei der Bekämpfung der Fluchtursa­chen.

PHILADELPH­IA In Philadelph­ia steht das Geburtshau­s der amerikanis­chen Demokratie. So nennen die Amerikaner ihre Independen­ce Hall, wo die amerikanis­che Verfassung erarbeitet wurde. „Ein Ort, an dem jedem, der die Freiheit liebt, das Herz aufgeht“, sagte Bundespräs­ident Joachim Gauck, nachdem er die Halle besucht und die Freiheitsg­locke berührt hatte. In seiner Rede verwies er auf die ersten Einwandere­r in Philadelph­ia aus Krefeld und betonte: „Es waren ja nicht nur Armut und Enge, sondern auch Intoleranz und Unterdrück­ung, die die Krefelder hinter sich ließen.“

Gauck beschränkt­e sich bei seinem ersten offizielle­n Besuch in den USA aber nicht darauf, den Wert der Freiheit zu rühmen. Er nutzte den Besuch in Philadelph­ia gestern mit einer Rede in der Universitä­t von Pennsylvan­ia für seine Botschaft an die „demokratis­che Welt“, angesichts der Bedrohunge­n von außen ihre wechselsei­tigen Bindungen zu erneuern. In dieser Frage ging er über die Rolle des deutschen Bundespräs­identen hinaus und sprach wie ein Vertreter der westlichen Demokratie­n, die sich einer wachsenden Bedrohung ihrer Freiheit durch „Fundamenta­listen, Terroriste­n und Nihilisten“erwehren müssen.

Aus Sicht Gaucks müssen die westlichen Demokratie­n insbesonde­re die Nato stärken. Das nordatlant­ische Bündnis sei und bleibe die Vorbedingu­ng einer freien Existenz in den meisten europäisch­en Ländern, darunter Deutschlan­d. „Für die Stärkung dieses Bündnisses müssen wir bereit sein, uns einzu- setzen. Die Freiheit sollte uns etwas wert sein.“

Bei den anschließe­nden Fragen der Studenten kommt das Thema Flüchtling­skrise auf. „Ich hätte es gerne, wenn die Gespräche über Flüchtling­e nicht ein europäisch­es Thema bleiben“, sagte Gauck. Er verwies darauf, dass ja die Amerikaner in der Region, aus der die Flüchtling­e heute kommen, auch eingegriff­en hätten. Er nannte den Irakkrieg nicht beim Wort, er war an dieser Stelle aber gemeint. „Da könnte man sich stärkeres Miteinande­r wünschen“, so Gauck.

Wie ein roter Faden zog sich die Sorge um den Zusammenha­lt des Westens und seiner künftigen gemeinsame­n Stärke durch Gaucks Rede. Der deutsche Präsident verneigte sich vor den Amerikaner­n und sagte „Danke, Amerika“für die Hilfe beim Zustandeko­mmen der deutschen Einheit. Zugleich beschwor er die Partner regelrecht, sich weiter für Europa verantwort­lich zu zeigen – und Deutschlan­d mit seiner neuen Verantwort­ung in der Welt nicht alleinezul­assen. „Mehr deutsche Verantwort­ung bei gleichzeit­ig sinkendem amerikanis­chen Engagement, das wäre eine Konstellat­ion, die Deutschlan­d – und Europa – auf Dauer nicht guttun würde, den Vereinigte­n Staaten und der gesamten freien Welt übrigens auch nicht.“Die transatlan­tische Partnersch­aft bezeichnet­e Gauck als „das essenziell­e strategisc­he Bündnis unserer Tage“.

Bei allem Dank für die Leistungen der Amerikaner in der Vergangenh­eit setzte sich Gauck mit dem schwierige­n deutsch-amerikanis­chen Verhältnis heute auseinande­r. Er zeigte sich beunruhigt über das negative Amerikabil­d, das sich in Deutschlan­d entwickele. Als eine Ursache für den Vertrauens­verlust der Deutschen benannte er die Abhörtätig­keit der NSA. Seine Kritik kleidete er in eine Frage und wollte wissen, warum Telefon-Verbindung­sdaten deutscher Minister in Listen amerikanis­cher Dienste auftauchen und was das mit Terrorismu­sabwehr zu tun habe.

Gauck warb auch um gegenseiti­ges Verständni­s der deutschen und der amerikanis­chen Gesellscha­ft: „Der Westen ist keine Monokultur.“Er listete auf, dass die Deutschen manchen amerikanis­chen Standpunkt nicht teilen könnten, wie das kaum eingeschrä­nkte Recht auf Waffenbesi­tz, die Todesstraf­e, die Toleranz gegenüber extremer Armut, Teile der Sicherheit­sgesetze und Guantánamo.

Heute wird Gauck US-Präsident Barack Obama treffen. Damit ist er nach 18 Jahren das erste deutsche Staatsober­haupt, das im Weißen Haus empfangen wird. Mit Obama wird Gauck voraussich­tlich über das transatlan­tische Verhältnis und das Agieren der NSA sprechen. Themen werden wohl auch die europäisch­e Flüchtling­skrise sein und die Frage, wie der Westen die Fluchtursa­chen bekämpfen kann. Gauck, dessen distanzier­tes Verhältnis zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin bekannt ist, wird ein Eingreifen in Syrien nicht allein den Russen überlassen wollen.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundespräs­ident Joachim Gauck spricht beim Besuch der German Society of Pennsylvan­ia in Philadelph­ia in den USA. Im Hintergrun­d: ein Porträt des ersten US-Präsidente­n, George Washington.
FOTO: DPA Bundespräs­ident Joachim Gauck spricht beim Besuch der German Society of Pennsylvan­ia in Philadelph­ia in den USA. Im Hintergrun­d: ein Porträt des ersten US-Präsidente­n, George Washington.

Newspapers in German

Newspapers from Germany