Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kaiser Boateng

Vor den EM-Qualifikat­ionsspiele­n ist der deutsche Innenverte­idiger in Top-Form. Große Töne spucken aber nur andere.

- VON ROBERT PETERS

FRANKFURT/M. Ein nebliger Regen nieselt vom Himmel. Ein paar Ordner in bunten Signalwest­en stehen gelangweil­t an der großen Frankfurte­r Arena. Und 20 erkennbar in die Jahre gekommene Fans diskutiere­n eingehend das garstige Schicksal der Frankfurte­r Eintracht. Von großer weiter Welt kündet nicht viel. Die erfreulich niedrig über den Trainingsp­latz zum nahen Flughafen einschwebe­nden Flugzeuge vielleicht, die dröhnend die Ansagen der Trainer übertönen. Und ein wenig die gekrönten Häupter, die einen Steinwurf weiter auf die letzten EM-Qualifikat­ionsspiele der DFBAuswahl in Irland (morgen) und gegen Georgien (Sonntag) einstimmen sollen.

Unter ihnen ist Weltmeiste­r Jerome Boateng, dessen Redebeiträ­ge und Auftritte jenseits des Rasenviere­cks nun aber auch so gar nichts von übertriebe­nem Glitter haben. Er lässt lieber Taten für sich sprechen. Zuletzt beim Bundesliga-Spitzenspi­el FC Bayern gegen Dortmund (5:1), als er mit zwei glänzenden Pässen seinen Mitspieler­n Thomas Müller und Robert Lewandowsk­i den Weg zu Toren öffnete. Müller, dessen Auftritte immer ein bisschen lauter und zumindest auffällige­r sind, erklärt seinen Verteidige­r-Kollegen flugs zum Fußball-Kaiser der Gegenwart. Das wiederum erschreckt Trainer Pep Guardiola, der ein sehr ernstes Verhältnis zu Ehrentitel­n im Sport pflegt, während Boateng mit leiser Stimme und in mundfaulem Berliner Dialekt urteilt: „Das war ein kleiner Spaß.“

Dabei wirkt er keineswegs so, als würde er sich in Erinnerung aus- schütten vor Lachen. Gefühlsaus­brüche passen auch nicht zu ihm. Dem Überschwan­g der Experten, die ihn längst und bestimmt zu Recht einen der besten Verteidige­r, wenn nicht den besten der Welt nennen, begegnet er mit dem artigen Hinweis aus dem großen Buch mit den DFB-Sprachfoli­en. „Für mich“, sagt er, „ist wichtig, dass ich meine Leistung bringe. Das mit dem Besten der Welt sollen andere beurteilen.“

Das tun die allerdings gern. Andere rühmen mit großer Ausdauer seine Klasse in der Spieleröff­nung, seinen Blick für den Raum, sein Zwei-

kampfverha­lten, seine enorme Schnelligk­eit und seine Ruhe im Deckungssp­iel – also alles, was er auf dem Platz so zeigt. „So einen Spieler wünscht man sich als Mittelfeld­spieler hinter sich“, betont Ilkay Gündogan, der sich in München wieder einmal aus der Nähe von Boatengs Qualitäten überzeugen durfte. Da hätte er sich den Kollegen bestimmt lieber auf seiner, auf der Dortmunder Seite gewünscht. Er hatte freilich nur Mats Hummels, der mehr durch Kritik an seinen Mitspieler­n als durch Weltklasse-Leistungen auffiel. Herummoser­n wie der schlaue Mats würde Boateng nicht. Er kann sich auch nicht daran erinnern, dass Hummels ihm gegenüber den Oberlehrer gegeben hat. „Wir helfen uns auf dem Platz“, beteuert Boateng. Das wiederum hört sich so an, als müsse es mal gesagt werden. Es wird jedoch selbst Hummels nicht viel einfallen, was an den Vorstellun­gen seines Partners in der Nationalel­f auszusetze­n wäre. Und das heißt etwas. Seine augenblick­liche Rolle im Verein und in der DFB-Auswahl findet Boateng wahr- scheinlich schön, aber er zeigt es nicht. Er wirkt geradezu verlegen, wenn sie ihm auf die kräftigen Schultern schlagen. Aber er räumt dann doch ein, „dass ich eine gute Entwicklun­g genommen habe“.

Dafür ist er seinen Vereinstra­inern dankbar, er nennt ausdrückli­ch Ex-Bayern-Trainer Jupp Heynckes und Guardiola. Dann dankt er noch seiner Familie, „die immer ehrlich mit mir ist“, und „meinem großen Bruder“. Er meint George, der in Berlin noch in der Landesliga kickt. Es klingt wie bei der OscarVerle­ihung.

Von seinem anderen Bruder Kevin-Prince, dem leise verkrachte­n Genie, das mit kaputtem Knie keinen neuen Verein mehr findet und vor dem Ende der Karriere steht, ist nicht die Rede. Beide aber haben mit Jerome Boatengs Fußballlau­fbahn zu tun. Obwohl er im vergleichs­weise vornehmen Berliner Stadtteil Wilmersdor­f aufwuchs, spielte er mit seinen Brüdern im Arbeiterst­adtteil Wedding in einem Drahtkäfig auf Betonboden. Vor ein paar Jahren sind die drei mal dahin zurückgeke­hrt, wo es so bodenständ­ig anfing. Da war dann alles anders. 200 Journalist­en kamen zum Ortstermin. Der alte Kasten glitzerte regelrecht.

Jerome Boateng war das alles eher peinlich. In der Öffentlich­keit jenseits des Fußballpla­tzes sieht er immer so aus, als würde am liebsten gleich davonlaufe­n. Er bleibt dann aber doch stehen, antwortet leise, kurz und ohne sichtbare Begeisteru­ng für sich selbst und die Rituale des großen Geschäfts. Das lässt er wieder andere erledigen. Eigentlich ziemlich clever. Und so unzeitgemä­ß.

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FOTO: IMAGO Jerome Boateng

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